Durchschnittssatzbesteuerung nur für inländische land- und forstwirtschaftliche Betriebe
Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG (i.d.F. des Streitjahres 2018) ist die Umsatzsteuer "für die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze" mit 10,7% festzusetzen, wenn es sich nicht um Lieferungen oder sonstige Leistungen i.S.d. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 UStG handelt. Die Vorsteuer ist in diesem Fall ebenfalls auf 10,7% der Bemessungsgrundlage für diese Umsätze festzusetzen (§ 24 Abs. 1 Satz 3 UStG). Somit gleichen sich Umsatzsteuer und Vorsteuer aus, sodass keine Zahllast für den steuerpflichtigen Land- und Forstwirt entsteht.
Sachverhalt: Unterliegen inländische Umsätze einer ausländischen Landwirtin der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG?
Die Klägerin ist Landwirtin. Ihr land- und forstwirtschaftlicher Betrieb mit Viehbestand (Ziegen) befindet sich in Österreich. Dort wird sie auch als pauschalbesteuerte Landwirtin geführt. Sie verkaufte im Streitjahr 2018 selbst erzeugte Produkte aus eigener Ziegenhaltung auf einem Wochenmarkt im Inland.
In der Umsatzsteuererklärung erklärte sie steuerpflichtige Umsätze nach § 24 UStG, für die keine Steuer zu entrichten sei.
Das Finanzamt unterwarf die von der Klägerin erklärten Umsätze dem ermäßigten Steuersatz von 7%, da die Voraussetzungen für eine Besteuerung nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 UStG nicht vorlägen.
Das Finanzgericht gab der Klage gegen die Einspruchsentscheidung statt. Insbesondere stehe der Anwendung des § 24 UStG nicht entgegen, dass sich der Betrieb im Ausland befände.
Entscheidung: BFH gibt dem Finanzamt Recht
§ 24 Abs. 1 UStG ist richtlinienkonform entsprechend den Art. 295 ff. MwStSystRL auszulegen.
Die Regelung des § 24 UStG bezieht sich in unionsrechtskonformer Auslegung jedoch allein auf inländische land- und forstwirtschaftliche Unternehmer.
Dafür sprechen die Regelungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, die auf eine Beschränkung auf die im jeweiligen Mitgliedstaat ansässigen Land- und Forstwirte hindeuten.
Nationale Begriffsbestimmung
So gilt nach Art. 295 Abs. 1 Nr. 2 MwStSysRL als land-, forst- und fischwirtschaftlicher Betrieb ein Betrieb, der in den einzelnen Mitgliedstaaten unter weiteren Voraussetzungen als solcher eingestuft wird. Dies spricht für eine nationale Begriffsbestimmung und damit für eine Beschränkung auf nationale Betriebe.
Von Mitgliedstaaten festgelegte Pauschalausgleichs-Prozentsätze
Insbesondere spricht der Wortlaut der Art. 297 bis 299 MwStSystRL für eine Beschränkung auf im jeweiligen Mitgliedstaat ansässige Land- und Forstbetriebe. Danach werden die von den Mitgliedstaaten festgelegten Pauschalausgleichs-Prozentsätze anhand der allein für die Pauschallandwirte geltenden makroökonomischen Daten der letzten drei Jahre bestimmt. Die Ermittlung dieser Daten kann von jedem Mitgliedstaat nur in Bezug auf die im jeweiligen Mitgliedstaat ansässigen Land- und Forstwirte erfolgen. Damit beziehen sich die Pauschalausgleichs-Prozentsätze auf die wirtschaftliche Tätigkeit der im jeweiligen Mitgliedstaat ansässigen Land- und Forstwirte. Dies spricht gegen eine Anwendung auf im EU-Ausland ansässige Land- und Forstwirte.
Pauschaler Ausgleich der Vorsteuerbelastung
Nach Art. 296 Abs. 1 MwStSystRL besteht der Sinn und Zweck der Pauschalbesteuerung der Land- und Forstwirte darin, die Vorsteuerbelastung aus Vereinfachungsgründen pauschaliert auszugleichen. Dieser Zweck wird mit einer Erfassung ausländischer Land- und Forstwirte durch eine nationale Pauschalierungsregelung nicht erreicht. Da sich die Pauschalausgleichs-Prozentsätze in einem anderen Mitgliedstaat von denen in Deutschland unterscheiden können, widerspricht die Anwendung des § 24 UStG auf diese Fälle dem Sinn und Zweck der Regelungen der MwStSystRL, die nur auf einen Ausgleich von den im jeweiligen Mitgliedstaat festgestellten Vorsteuerbelastungen abzielen.
Zudem fehlt es bei Land- und Forstwirten aus Mitgliedstaaten ohne eine Pauschalbesteuerungsregelung, welche landwirtschaftliche Produkte ins Inland verbringen und hier veräußern, an den aufgrund makroökonomischer Daten im Mitgliedstaat ermittelten Pauschalausgleichs-Prozentsätzen gemäß Art. 298 Satz 1 MwStSystRL völlig, sodass eine Durchschnittssatzbesteuerung im Inland überhaupt nicht mit den Regelungen der Art. 297 bis 299 MwStSystRL in systematischen Einklang zu bringen ist.
Keine Erstattung über die Mehrwertsteuer-Vorbelastung
Schließlich spricht auch die Regelung des Art. 299 MwStSystRL für den systembedingten Ausschluss von im EU-Ausland ansässigen Land- und Forstwirten. Soweit Art. 299 MwStSystRL bestimmt, dass die Berechnung der Pauschalausgleichs-Prozentsätze nicht dazu führen darf, dass die Pauschallandwirte insgesamt Erstattungen erhalten, die über die Mehrwertsteuer-Vorbelastung hinausgehen, spricht dies ebenfalls für einen Anwendungsbezug auf im jeweiligen Mitgliedstaat ansässige Land- und Forstwirte. Denn ein im anderen Mitgliedstaat ansässiger Land- und Forstwirt wäre bei der dortigen Produktion ganz anderen Mehrwertsteuer-Vorbelastungen unterworfen, die in die nach Art. 299 MwStSystRL erforderliche Berechnung des Mitgliedstaats nicht eingeflossen ist.
Hinweis: Grundsatz der Wettbewerbsneutralität
Diese Auslegung widerspricht auch nicht dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität. Ein EU-Ausländer, der einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb im Inland betreibt, profitiert von der Durchschnittssatzbesteuerung ebenso wie ein Inländer. Auch ist der Unternehmer aus einem anderen Mitgliedstaat nicht dadurch benachteiligt, dass er bei einer Besteuerung der Umsätze in Deutschland mit 7% keinen Vorsteuerausgleich in Deutschland erlangen kann. Abgesehen davon, dass er die Vorsteuer aus in Deutschland vollzogenen Eingangsumsätzen in seinen Steuererklärungen in Deutschland geltend machen kann, ist zu beachten, dass er bereits von der Vorsteuer im EU-Ausland durch die dort durch das Verbringen nach Deutschland (Art. 17 Abs. 1 MwStSystRL) ausgelöste Pauschalbesteuerung entlastet wurde.
BFH Urteil vom 22.03.2023 - XI R 14/21 (veröffentlicht am 07.09.2023)
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