Ortsübliche Marktmiete im Sinne des § 21 Abs. 2 EStG
Hintergrund: Verbilligte Vermietung an die Tochter
Streitig war, ob das FA von einer teilentgeltlichen Vermietung ausgehen konnte und die erklärten Werbungskosten entsprechend kürzen durfte.
Die Vermieterin V vermietete in 2015 (Streitjahr) eine im ersten Obergeschoss gelegene Eigentumswohnung (Wohnfläche 57 qm) mit Einbauküche unbefristet an ihre Tochter (T) für monatlich 300 EUR zuzüglich Nebenkostenpauschale von 70 EUR.
Im zweiten Obergeschoss vermietete V eine Wohnung gleicher Größe und Ausstattung an einen Fremdmieter (F) für monatlich 500 EUR zuzüglich Nebenkostenpauschale von 78 EUR.
Das FA ging – nach einem Vergleich mit der für die Obergeschosswohnung gezahlten Miete (578 EUR) – davon aus, die mit T vereinbarte Miete (370 EUR) betrage nur 64,01% und damit weniger als 66% der ortsüblichen Miete. Dementsprechend berücksichtigte es die von V erklärten Werbungskosten für die an T vermietete Wohnung nur anteilig mit 64,01%.
Das FG wies die dagegen erhobene Klage ab. Die ortsübliche Miete sei nicht vorrangig anhand des Mietspiegels festzustellen. Sie könne ebenso durch den Vergleich mit einer gleichwertigen fremdvermieteten Wohnung ermittelt werden.
Entscheidung: Vorrangigkeit des Mietspiegels
Der BFH widerspricht dem FG. Die ortsübliche Miete ist nicht vorrangig anhand einer Vergleichsmiete für eine an einen Fremdmieter im selben Haus vermietete Wohnung zu bestimmen, sondern ergibt sich grundsätzlich aus dem örtlichen Mietspiegel. Nur ausnahmsweise kann auf einen Sachverständigen, eine Mietdatenbank oder einzelne vergleichbare Wohnungen zurückgegriffen werden.
Grundsätzliche Ableitung aus dem Mietspiegel
Die ortsübliche Marktmiete für Wohnungen vergleichbarer Art, Lage und Ausstattung ergibt sich grundsätzlich aus dem örtlichen Mietspiegel (BFH v. 6.2.2018, IX R 14/17, BStBl II 2018, 522, Rz 18). Dazu gehören sowohl der einfache Mietspiegel (§ 558c BGB) als auch der qualifizierte Mietspiegel (§ 558d BGB). Der Mietspiegel gehört zu den Informationsquellen, die eine leichte und schnelle Ermittlung der ortsüblichen Miete auf der Grundlage eines breiten Spektrums ermöglichen. Diesem Zweck liefe es zuwider, wenn bei einer Miete innerhalb der vom Mietspiegel vorgesehenen Spanne gleichwohl im Einzelfall ermittelt werden müsste, ob nicht ein anderer Wert innerhalb der Spanne der angemessenere wäre. Die Schwankungsbreite innerhalb des Mietspiegels lässt deshalb die Feststellung zu, dass jeder Mietzins innerhalb der berücksichtigten Spanne die ortsübliche Marktmiete i.S. des § 21 Abs. 2 EStG darstellt.
Ausnahmsweise Nichtanwendung des Mietspiegels
Der örtliche Mietspiegel kann allerdings nicht zugrunde gelegt werden, wenn er nur mangelhaften Erkenntniswert hat, z.B. wenn er nicht regelmäßig angepasst wird oder die Datenerhebung fehlerhaft ist. Entsprechendes gilt bei Sonderobjekten, die nicht unter den im Mietspiegel definierten Anwendungsbereich fallen. Gibt ein Mietspiegel nur Richtwerte für eine bestimmte Art von Wohnungen an, kann die gesteigerte Wohnqualität des Vergleichsobjekts durch einen entsprechenden Zuschlag berücksichtigt werden. Kann ein örtlicher Mietspiegel ausnahmsweise nicht zugrunde gelegt werden oder ist er nicht vorhanden, bestehen für das FA bzw. das FG mehrere Möglichkeiten, wobei jeder Ermittlungsweg grundsätzlich gleichrangig ist:
- Zugrundelegung eines mit Gründen versehenen Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen i.S. des § 558a Abs. 2 Nr. 3 BGB,
- Rückgriff auf die Auskunft aus einer Mietdatenbank i.S. des § 558a Abs. 2 Nr. 2 BGB i.V.m. § 558e BGB,
- Berücksichtigung der Entgelte für einzelne vergleichbare Wohnungen i.S. des § 558a Abs. 2 Nr. 4 BGB. Dafür müssen zumindest drei Wohnungen nach Adresse, Lage und Stockwerk benannt werden (BGH v. 20.9.1982, VIII ARZ 1/82, BGHZ 84, 392).
Zurückverweisung an das FG
Hiervon ausgehend hob der BFH das FG-Urteil auf. Das FG hat die ortsübliche Marktmiete nicht anhand des vorhandenen Mietspiegels ermittelt, sondern allein auf die Miete für die im selben Haus vermietete Wohnung gleicher Art, Größe und Ausstattung abgestellt, ohne ein breites Spektrum von Vergleichswohnungen heranzuziehen. Das FG hat diese unterlassene Sachaufklärung nachzuholen. Es hat die ortsübliche Kaltmiete für Wohnungen vergleichbarer Art, Lage und Ausstattung unter Einbeziehung der Spannen des örtlichen Mietspiegels zuzüglich der nach der Betriebskostenverordnung (BetrKV) umlagefähigen Kosten festzustellen. Die von T getragenen Kosten für die Wärme sind nach § 2 Nr. 4 BetrKV umlagefähig und daher zu berücksichtigen (sog. abgekürzter Zahlungsweg). Auf dieser Grundlage hat das FG die Entgeltlichkeitsquote und damit die Höhe des Werbungskostenabzugs neu zu ermitteln.
Hinweis: Geänderte Auffassung des BFH
In einem Beschluss aus 2008 hat der BFH es für die Sachverhaltsaufklärung als ausreichend angesehen, dass das FG als Maßstab für die Ortsüblichkeit auf eine (einzige) vergleichbare, im gleichen Haus liegende, fremdvermietete Wohnung abgestellt hat (BFH v. 19.9.2008, IX B 102/08, BFH/NV 2009, 246). An dieser Auffassung hält der BFH nicht fest. Ohne Mietspiegel verlangt die ortsübliche Marktmiete die Heranziehung von mindestens drei Vergleichswohnungen.
Herabsetzung der Entgeltlichkeitsquote ab 2021
Mit dem JStG 2020 wurde die Aufteilungsgrenze in § 21 Abs. 2 Satz 1 EStG ab 2021 von 66% auf 50% der ortsüblichen Miete herabgesetzt. Beträgt die Miete mindestens 50% aber weniger als 66% der ortsüblichen Miete ist eine Totalüberschussprognose vorzunehmen.
BFH Urteil vom 22.02.2021 - IX R 7/20 (veröffentlicht am 06.05.2021)
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