Verfassungswidrigkeit der Zinsschranke

Der BFH gewährt Aussetzung der Vollziehung wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die sog. Zinsschranke gem. § 4h EStG.

Hintergrund

Die Entscheidung betrifft zum einen die materiell-rechtliche Frage der Verfassungsmäßigkeit der sog. Zinsschranke (§ 4h EStG) und zum anderen die verfahrensrechtliche Frage, unter welchen Voraussetzungen Aussetzung der Vollziehung (AdV) wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer steuerlichen Vorschrift zu gewähren ist.

An der A-GmbH waren teils unmittelbar, teils mittelbar Mitglieder der Familie A beteiligt. Die GmbH hatte 13 Tochtergesellschaften im Ausland. Ihr entstanden im Streitjahr 2008 Zinsaufwendungen von rd. 9,6 Mio. EUR. Das FA vertrat die Auffassung, von diesem Betrag könnten lediglich rd. 3,3 Mio. EUR als Betriebsausgabe abgezogen werden. Der restliche Zinsaufwand von rd. 6,3 Mio. EUR sei wegen der Zinsschranke (§ 4h EStG i.V.m. § 8a KStG) nicht abziehbar und könne nur als Zinsvortrag festgestellt werden. Hiervon ausgehend setzte das FA die KSt mit rd. 12.000 EUR fest. 

Die GmbH legte gegen den KSt-Bescheid Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Den parallel dazu gestellten Antrag auf AdV lehnte das FA ab. Auch der anschließend beim FG gestellte AdV-Antrag wurde zurückgewiesen. Das FG bejahte zwar verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Zinsschranke. Es meinte jedoch, das öffentliche Interesse am Gesetzesvollzug gehe dem Aussetzungsinteresse vor. Dagegen wandte sich die GmbH mit der Beschwerde an den BFH. Das FG hatte die Beschwerde gegen seinen Beschluss ausdrücklich zugelassen.

Entscheidung

Der BFH widerspricht dem FG. Er hob den ablehnenden FG-Beschluss auf und gewährte der GmbH die AdV des strittigen Betrags. 

Der BFH bejaht ebenso wie das FG verfassungsrechtliche Zweifel im Hinblick auf den Gleichheitssatz. Die Lastengleichheit bemisst sich bei der Unternehmensbesteuerung nach dem objektiven Nettoprinzip (Saldo aus Einnahmen und Betriebsausgaben). Diese systematische Grundentscheidung hat der Gesetzgeber dadurch verletzt, dass im konkreten Veranlagungszeitraum einerseits die gesamten Einnahmen erfasst werden, andererseits aber die Zinsaufwendungen wegen der Zinsschranke nur eingeschränkt abgezogen und im Übrigen in spätere Veranlagungszeiträume vorgetragen werden können. Der BFH sieht es insbesondere als zweifelhaft an, ob die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips zur Verstetigung des Steueraufkommens und zur Missbrauchsabwehr gerechtfertigt ist.  

Entgegen der Ansicht des FG anerkennt der BFH auch ein besonderes Aussetzungsinteresse der GmbH. Zum einen erscheinen die Gefahren für die öffentliche Haushaltsführung durch die AdV vergleichsweise gering. Zum anderen betont der BFH, die im Schrifttum überwiegend vertretene Auffassung von der Verfassungswidrigkeit sei überzeugend. Gegenerwägungen könnten bei der AdV nur eine Rolle spielen, wenn ihnen überragendes Gewicht zukomme. 

Hinweis

Der BFH schließt sich damit der von einigen FG und auch im Schrifttum ganz überwiegend vertretenen Auffassung von der Verfassungswidrigkeit der Zinsschranke an. Er bestätigt damit die schon in dem Beschluss v. 13.3.2012, I B 111/11 (BStBl II 2012, 611) geäußerten verfassungsrechtlichen Zweifel. Es darf allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass auch innerhalb des BFH konträre Ansichten bestehen (für Verfassungswidrigkeit Gosch, I. Senat; a.A. Heuermann, X. Senat). 

Einige BFH-Senate hatten früher vertreten, im AdV-Verfahren könne keine weitere Entscheidung getroffen werden als vom BVerfG in einem Normenkontrollverfahren zu erwarten sei. Sei nicht zu gewärtigen, dass das BVerfG eine Vorschrift rückwirkend für nichtig erklären werde, scheide daher eine AdV aus. Diese Rechtsprechung hat der BFH, wie in dem aktuellen Beschluss ausdrücklich nochmals hervorgehoben wird, inzwischen aufgegeben. Denn der vorläufige Rechtsschutz darf nicht deshalb leerlaufen, weil das BVerfG möglicherweise in einem Normenkontrollverfahren die Weitergeltung einer verfassungswidrigen Norm anordnen könnte. 

Im Hinblick auf die vom BFH eindeutig geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken sind entsprechende Fälle bis zur endgültigen Klärung jedenfalls offen zu halten.