Arbeitstägliches Aufsuchen eines vom Arbeitgeber festgelegten Sammelpunkts
Hintergrund: Fahrten zu einem Sammelpunkt
A ist bei einem Bauunternehmen als Baumaschinenführer angestellt. Er fuhr im Streitjahr (2014) jeweils von seiner Wohnung – einer betriebsinternen Weisung folgend – zunächst zum Betriebssitz des Arbeitgebers. Von dort wurde er mit einem Sammelfahrzeug des Arbeitgebers an die jeweilige Baustelle gefahren. Dies betraf sowohl Fahrten mit täglicher Rückkehr als auch Fahrten zu sonstigen Arbeitsorten ("Fernbaustellen"), an denen A (mehrtägig) übernachtete. Die Einsätze auf den Fernbaustellen dauerten in der Regel die gesamte Woche.
A machte die Kosten für die Fahrten zwischen der Wohnung und dem Betriebssitz (Sammelpunkt) für 145 Tage bei einer Entfernung von 15 km mit 0,30 EUR je gefahrenem km geltend (1.305 EUR).
Das FA berücksichtigte die Aufwendungen nur mit der Entfernungspauschale in Höhe 0,30 EUR je Entfernungs-km (653 EUR).
Das FG wies die Klage ab. Bei einem Verhältnis der Fahrten zwischen Wohnung und Sammelpunkt zu den Gesamtarbeitstagen von 82 % habe A den von seinem Arbeitgeber bestimmten Ort "typischerweise arbeitstätlich" aufgesucht (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG).
Entscheidung: Typischerweise bedeutet "im Normalfall"
Typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des vom Arbeitgeber bestimmten Orts oder Gebiets erfordert kein ausnahmsloses Aufsuchen an sämtlichen Arbeitstagen.
Rechtslage ab 2014
Nach der Neuregelung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG kann ein Arbeitnehmer – in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG – für die Fahrten zu dem vom Arbeitgeber dauerhaft festgelegten Ort lediglich die Entfernungspauschale in Anspruch nehmen, wenn er
- keine erste Tätigkeitsstätte hat
- und nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen (sowie den diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen) zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen hat (sog. Sammelpunkt).
Keine erste Tätigkeitsstätte
Nach den Feststellungen des FG hatte A keine erste Tätigkeitsstätte i.S.v. § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG. Es fehlt an einer Zuordnung zu einer betrieblichen Einrichtung durch den Arbeitgeber. A hatte auch keine erste Tätigkeitstätte i.S.v. § 9 Abs. 4 Satz 4 Nr. 1 oder 2 EStG. Danach ist, wenn eine arbeitsrechtliche Festlegung fehlt, die Einrichtung erste Tätigkeitsstätte, an der der Arbeitnehmer dauerhaft typischerweise arbeitstäglich oder je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn A hatte am Betriebssitz (Sammelpunkt) nicht als Baumaschinenführer tätig werden sollen.
Kein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des Sammelpunkts aufgrund der Anzahl der Fahrten
Das FG hat ein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des Sammelpunkts i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG allein aufgrund der Anzahl der dorthin unternommenen Fahrten im Verhältnis zu den Gesamtarbeitstagen des A (82 %) bejaht. Dem widerspricht der BFH. Durch den Zusatz "typischerweise arbeitstäglich" sollte klargestellt werden, dass die Regelung lediglich für die Berufsgruppen gilt, die im Normalfall arbeitstäglich, z.B. an einem vom Arbeitgeber festgelegten Ort ein Fahrzeug übernehmen oder im Rahmen der Sammelbeförderung abgeholt werden.
Bedeutung des Wortes typischerweise
Nach dem Wortlaut "typischerweise" ist nicht maßgebend, dass der Arbeitnehmer den vom Arbeitgeber bestimmten Ort oder das Gebiet ausnahmslos aufzusuchen hat. Vielmehr erfordert das Gesetz nur, dass er den Ort nach der Anweisung "typischerweise arbeitstäglich" aufzusuchen hat. Typischerweise meint "in der Regel üblich", "im Normalfall". Damit bringt der Wortsinn zum Ausdruck, dass das Gesetz gerade kein ausnahmsloses Aufsuchen an sämtlichen Arbeitstagen voraussetzt.
Kriterien für die Abgrenzung
Für die Abgrenzung typischerweise und nicht typischerweise kann entscheidend sein:
- Stand von vornherein fest, dass A nicht nur auf eintägigen Baustellen, sondern auch auf mehrtägigen Fernbaustellen eingesetzt wird, würde aus ex ante Sicht kein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des Betriebssitzes vorliegen. Denn dann hätte von vornherein festgestanden, dass A den Betriebssitz nur an den Fahrtagen aufsuchen sollte. Ein nur typischerweise fahrtägliches Aufsuchen ist nicht ausreichend.
- Wurde A dagegen aus ex ante Sicht grundsätzlich nur tageweise auf lokalen Baustellen und nur ausnahmsweise auf Fernbaustellen eingesetzt, wäre der Tatbestand des typischerweise arbeitstäglichen Aufsuchens erfüllt. Denn ein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen setzt nur voraus, dass dies in der Regel zu erfolgen hatte, ohne dass ein ausnahmsloses Aufsuchen erforderlich wäre.
Zurückverweisung an das FG
Die Sache wurde an das FG zurückverwiesen. Dieses hat insbesondere die Feststellungen dazu nachzuholen, ob A regelmäßig oder nur ausnahmsweise auch auf Fernbaustellen tätig war.
Hinweis: Ausrichtung am Normalfall
Der BFH stellt klar, dass für die Abgrenzung nicht allein auf die Anzahl der zum Sammelpunkt unternommenen Fahrten im Verhältnis zu den Gesamtarbeitstagen abgestellt werden kann. Entscheidend ist, welcher Sachverhalt dem Normalfall entspricht. In der Praxis dürfte gleichwohl die Zahl der Fahrten nicht unberücksichtigt bleiben können.
BFH Urteil vom 19.04.2021 - VI R 6/19 (veröffentlicht am 19.08.2021)
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