Vorsteueraufteilung bei gemischt genutzten Gebäuden
Hintergrund: Supermarkt und umsatzsteuerfrei vermietete Wohnanlage
Die X-KG errichtete in 2009/2010 einen Gebäudekomplex ("Stadtteilzentrum") mit einem umsatzsteuerpflichtig verpachteten Supermarkt und einer umsatzsteuerfrei vermieteten Wohnanlage. Zur Vorsteueraufteilung wählte sie in ihren USt-Erklärungen zunächst den Flächenschlüssel, der dazu führte, dass nur rund 1/3 der Vorsteuer abziehbar war. Das FA folgte dieser Aufteilung. Später machte X geltend, wegen der stark unterschiedlichen Ausstattung der Gebäudeteile sei der Umsatzschlüssel anzuwenden. Damit sei rund die Hälfte der Vorsteuer abziehbar.
Das FA und ihm folgend das FG lehnten den Umsatzschlüssel ab. Der Flächenschlüssel sei sachgerecht. Denn die Eingangsbezüge seien trotz der erheblichen Ausstattungsunterschiede der Flächen (Supermarkt und Wohnanlage) im Wesentlichen gleichartig.
Entscheidung: Aufteilung nach dem Umsatzschlüssel
Der BFH widerspricht der Auffassung des FA und des FG. Bei erheblichen Unterschieden in der Ausstattung der Räumlichkeiten ist nicht der Flächenschlüssel, sondern der (objektbezogene) Umsatzschlüssel sachgerecht.
Richtlinienkonforme Aufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG
Nach der Rechtsprechung des EuGH und ihm folgend des BFH gelten für die Aufteilung folgende Grundsätze (BFH v. 10.8.2016, XI R 31/19, BFHE 254, 461, BFH/NV 2016, 1654, Rz 31 ff):
- In einer ersten Phase (Phase der direkten und unmittelbaren Zuordnung) sind die auf der Eingangsstufe erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen zunächst den verschiedenen Ausgangsumsätzen zuzuordnen. Das ist bei Aufwendungen für die Nutzung, Erhaltung und Unterhaltung des gemischt genutzten Gebäudes regelmäßig unproblematisch (BFH v. 10.8.2016, XI R 31/19, BFHE 254, 461, BFH/NV 2016, 1654, Rz 39 ff.). Für die Herstellungskosten ist dagegen davon auszugehen, dass nicht ein bestimmter Gebäudeteil, sondern ein bestimmter Prozentsatz des Gebäudes für steuerpflichtige/steuerfreie Umsätze genutzt wird. Eine räumlich-gegenständliche Zuordnung scheidet hier aus. Denn bei einem späteren Tausch solcher Räume (der zu keiner prozentualen Änderung der Quote führt) besteht keine Möglichkeit zur Vorsteuerberichtigung (BFH v. 10.8.2016, XI R 31/19, BFHE 254, 461, BFH/NV 2016, 1654, Rz 37).
- In einer zweiten Phase (Aufteilung der in Phase 1 nicht direkt und unmittelbar zugeordneten Vorsteuerbeträge) ist bei der Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes grundsätzlich eine Vorsteueraufteilung nach dem objektbezogenen Flächenschlüssel vorzunehmen. Bestehen aber erhebliche Unterschiede in der Ausstattung der verschiedenen Zwecken dienenden Räume oder ist eine Aufteilung nach dem Flächenschlüssel aus sonstigen Gründen nicht präziser, sind die Vorsteuerbeträge nach einem (objektbezogenen) Umsatzschlüssel aufzuteilen (BFH v. 10.8.2016, XI R 31/19, BFHE 254, 461, BFH/NV 2018, 1205. Rz 46, 48 ff.; BFH v. 27.3.2019, V R 43/17, BFH/NV 2019, 719, Rz 9). Bei zeitlich abwechselnder Nutzung derselben Flächen kann auch eine Aufteilung nach Nutzungszeiten erforderlich sein (vgl. BFH, Urteil v. 26.4.2018, V R 23/16, BFHE 261, 444, Rz 22 und 23). Die (vom Mitgliedstaat angeordnete) abweichende Methode muss eine präzisere Bestimmung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs als die Umsatzmethode gewährleisten, muss aber nicht zwingend die genauestmögliche sein (BFH v. 23.10.2019, XI R 18/17, BFHE 267, 146, BFH/NV 2020, 593, Rz 20).
Im Streitfall ist der Flächenschlüssel nicht sachgerecht
Das FG hat angenommen, dass die Eingangsleistungen nicht nach dem Umsatzschlüssel, sondern nach dem Flächenschlüssel aufzuteilen seien, weil sich die Eingangsleistungen gleichmäßig auf die Flächen verteilten. Das widerspricht der Rechtsprechung des BFH, nach der bei erheblichen Ausstattungsunterschieden die Aufteilung nach dem (objektbezogenen) Umsatzschlüssel vorzunehmen ist (BFH v. 10.8.2016, XI R 31/19, BFHE 254, 461, BFH/NV 2018, 1205, Rz 46, 48 ff), Dabei hat das FG auch nicht ausreichend beachtet, dass die Aufteilung der Eingangsleistungen für die Errichtung prozentual und nicht räumlich-gegenständlich vorzunehmen ist (BFH v. 10.8.2016, XI R 31/19, BFHE 254, 461, BFH/NV 2018, 1205). Dies verbietet die Betrachtung von konkreten Baukosten einzelner konkreter Teile des einheitlichen Gebäudes, weil keine Berichtigung vorzunehmen ist, wenn z.B. später Räume getauscht werden, ohne dass sich der prozentuale Anteil der steuerpflichtigen Nutzung ändert.
Regel-Ausnahmeverhältnis des § 15 Abs. 4 UStG
Indem das FG von der grundsätzlichen Anwendung des Flächenschlüssels ausgeht und den Umsatzschlüssel nur gelten lassen will, wenn er präziser ist als der Flächenschlüssel ist, kehrt das FG das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 15 Abs. 4 UStG unzutreffend um. Nicht der Steuerpflichtige muss beweisen, dass der Umsatzschlüssel präziser ist als ein Flächenschlüssel, sondern der Flächenschlüssel ist nur anzuwenden, wenn er präziser ist als ein Umsatzschlüssel. Der BFH hat dies dahingehend geklärt, dass dies nur dann gilt, wenn der Flächenschlüssel nicht nur präziser ist als der Gesamtumsatzschlüssel, sondern auch präziser ist als ein objektbezogener Umsatzschlüssel (BFH v. 10.8.2016, XI R 31/19, BFHE 254, 461, BFH/NV 2018, 1205, Rz 46, 48 ff; BFH v. 27.03.2019 – V R 43/17, BFH/NV 2019, 719, Rz 9).
Zurückverweisung an das FG
Die Beteiligten hatten sich – ausgehend von dem objektbezogenen Umsatzschlüssel – dahin verständigt, dass 50% der Vorsteuer abziehbar sind. Gleichwohl musste der BFH die Sache an das FG zurückverweisen, da die Höhe der Vorsteuerbeträge und das Vorliegen entsprechender Rechnungen unklar geblieben waren.
Hinweis: Keine Bindung an den gewählten Schlüssel
Die KG hatte zunächst einen Flächenschlüssel gewählt. Der BFH stellt klar, dass an diese Wahl keine Bindung besteht, wenn der Schlüssel sich als nicht sachgerecht erweist (BFH v. 27.3.2019, V R 43/17, BFH/NV 2019, 719, Rz 12).
BFH Urteil vom 11.11.2020 - XI R 7/20 (veröffentlicht am 18.02.2021)
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