Zum Rechnungsmerkmal "vollständige Anschrift" bei der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug
Hintergrund: Keine geschäftliche Aktivitäten unter der Rechnungsanschrift
Eine im Dezember 2007 gegründete GmbH handelte im Streitjahr 2008 mit Kfz. In ihrer Umsatzsteuererklärung für 2008 erklärte sie u.a. steuerfreie innergemeinschaftliche Kfz-Lieferungen und Vorsteuerbeträge, die 122 von der D erworbene Fahrzeuge betrafen. Das FA folgte den Angaben der GmbH nicht und setzte die USt für 2008 entsprechend den Feststellungen von zwei USt-Sonderprüfungen fest.
Die als umsatzsteuerfrei erklärten innergemeinschaftlichen Kfz-Lieferungen nach Spanien an die B seien steuerpflichtig, weil die betreffenden Fahrzeuge tatsächlich nicht nach Spanien verbracht, sondern im Inland vermarktet worden seien. Die geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus Rechnungen der D seien nicht abziehbar, weil es sich dabei um eine „Scheinfirma“ handele, die unter ihrer Rechnungsanschrift keinen Sitz gehabt habe. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Vorabentscheidung durch den EuGH
Das FG gab der Klage nur insoweit statt, als die Lieferung eines Porsche 997 S Cabrio besteuert worden war. Im Übrigen wies es die Klage als unbegründet ab. Auf die von der Klägerin eingelegte Revision setzte der BFH das Verfahren aus und legte dem EuGH zwei Fragen zum Rechnungsmerkmal "vollständige Anschrift" und zur Berücksichtigung des Gutglaubensschutzes beim Vorsteuerabzug zur Vorabentscheidung vor (BFH Beschluss vom 06.04.2016 - XI R 20/14). Hierauf hat der EuGH u.a. wie folgt geantwortet: „Es ist für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug durch den Empfänger von Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erforderlich, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist“ (EuGH Urteil vom 15.11.2017 - C-374/16 und C-375/16, Rs. Geissel).
Entscheidung: Rechnungen der D erfüllen die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug
Die Revision der GmbH ist begründet. Der BFH hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Das FG hat den Abzug der aus den Rechnungen der D geltend gemachten Vorsteuerbeträge zu Unrecht mit der Begründung versagt, dass die fraglichen Rechnungen nicht die nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG erforderliche zutreffende vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers enthielten. Die Feststellungen des FG lassen jedoch keine Beurteilung zu, ob die materiellen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG erfüllt sind. Es steht nicht fest, ob sämtlichen Rechnungen der D tatsächlich Fahrzeuglieferungen zugrunde gelegen haben. Im Übrigen hat das FG zu Recht entschieden, dass es sich bei den Lieferungen an die B – mit Ausnahme eines Porsche 997 S Cabrio – um steuerpflichtige Lieferungen gehandelt hat.
Hinweis: Änderung der Rechtsprechung
Im Urteilsfall reichen die Feststellungen des FG nicht aus, um zu entscheiden, ob ein Recht zum Abzug der aus den Rechnungen der D geltend gemachten Vorsteuerbeträge besteht. Die Klägerin besitzt – entgegen der Auffassung der Vorinstanz – nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnungen der D. Eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung erfordert, dass die Rechnung den Anforderungen des §14 Abs. 4 UStG entspricht, was gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG die Angabe des vollständigen Namens und der vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers sowie des Leistungsempfängers notwendig macht. Nach bisheriger Rechtsprechung des BFH wird das Merkmal "vollständige Anschrift" in § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nur durch die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers erfüllt, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet. Hieran hält der BFH nach Ergehen des EuGH-Urteils Geissel (EU:C:2017:867, UR 2017, 970 = BFH/NV 2018, 173) nicht mehr fest.
§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG sind richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass der Vorsteuerabzug nicht den Besitz einer Rechnung mit der Anschrift des leistenden Unternehmers voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübt. Vielmehr reicht jede Art von Anschrift einschließlich einer Briefkastenanschrift aus, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist. Darüber hinaus entschied der BFH, dass der Begriff "Bestimmungsort" i.S. von § 17a Abs. 2 Nr. 2 UStDV unionsrechtskonform nicht dahingehend auszulegen ist, dass die Angabe des Ziellandes ausreicht. Die Nachweispflichten i.S.v. § 17a Abs. 2 UStDV 2005 sind mit dem Unionsrecht vereinbar.
BFH Urteil vom 13.06.2018 - XI R 20/14 (veröffentlicht am 19.09.2018)
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