Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, Nebenberufliche Lehrtätigkeit an einer ausländischen Universität
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Lehrtätigkeit, die ein in einem Mitgliedstaat Steuerpflichtiger im Dienst einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, hier einer Universität, ausübt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet, fällt auch dann in den Anwendungsbereich von Art. 49 EG, wenn die Tätigkeit nebenberuflich und quasi ehrenamtlich ausgeübt wird.
2. Die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, die darin liegt, dass nach einer nationalen Regelung nur das Entgelt, das im Inland ansässige Universitäten, die juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, als Gegenleistung für eine nebenberufliche Lehrtätigkeit zahlen, von der Einkommensteuer befreit ist, während diese Befreiung versagt wird, wenn ein solches Entgelt von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Universität gezahlt wird, ist nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt.
3. Der Umstand, dass die Mitgliedstaaten selbst für die Gestaltung ihres Bildungssystems zuständig sind, ist nicht geeignet, eine nationale Regelung, nach der eine Steuerbefreiung denjenigen Steuerpflichtigen vorbehalten ist, die im Dienst oder Auftrag inländischer öffentlicher Universitäten tätig sind, mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang zu bringen.
Normenkette
EGVtr Art. 49
Beteiligte
Verfahrensgang
Tatbestand
„Freier Dienstleistungsverkehr ‐ Nebenberufliche Lehrtätigkeit ‐ Begriff des Entgelts ‐ Aufwandsentschädigungen ‐ Steuerbefreiungsregelung ‐ Voraussetzungen ‐ Von einer inländischen Universität gezahltes Entgelt“
In der Rechtssache C-281/06
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 1. März 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Juni 2006, in dem Verfahren
Hans-Dieter Jundt,
Hedwig Jundt
gegen
Finanzamt Offenburg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter J. N. Cunha Rodrigues und J. Klŭcka, der Richterin P. Lindh und des Richters A. Arabadjiev,
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von Herrn und Frau Jundt, vertreten durch Rechtsanwalt H.-D. Jundt,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma als Bevollmächtigten,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und W. Mölls als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Oktober 2007
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 59 EWG-Vertrag (später Art. 59 EG-Vertrag, jetzt nach Änderung Art. 49 EG) und Art. 128 EWG-Vertrag (später nach Änderung Art. 126 EG-Vertrag, jetzt Art. 149 EG).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn und Frau Jundt (im Folgenden: Eheleute Jundt), beide mit Wohnsitz in Deutschland, und dem Finanzamt Offenburg wegen dessen Weigerung, Aufwandsentschädigungen für die nebenberufliche Ausübung einer Lehrtätigkeit an einer Universität in einem anderen Mitgliedstaat im Steuerjahr 1991 als einkommensteuerfreie Einnahmen einzustufen, weil das nationale Einkommensteuerrecht die entsprechende Befreiung nur für Entgelte vorsehe, die von inländischen Körperschaften des öffentlichen Rechts stammten.
Nationales Recht
3
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in seiner für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
4
Nach § 2 Abs. 2 EStG sind Einkünfte entweder der Gewinn oder der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten.
5
§ 3 Nr. 26 EStG, der sich im Abschnitt „Steuerfreie Einnahmen“ des Einkommensteuergesetzes befindet, bestimmt:
„Steuerfrei sind
…
26. Aufwandsentschädigungen für nebenberufliche Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher oder für eine vergleichbare nebenberufliche Tätigkeit, für nebenberufliche künstlerische Tätigkeiten oder für die nebenberufliche Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen im Dienst oder Auftrag einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallenden Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung). Als Aufwandsentschädigungen sind Einnahmen für die in Satz 1 bezeichneten Tätigkeiten bis zur Höhe von insgesamt 2.400 Deutsche Mark im Jahr anzusehen …“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
6
Die Eheleute Jundt werden in Deutschland zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Herr Jundt, der im Hauptberuf als Rechtsanwalt in Deutschland arbeitet, wo er auch wohnt, nahm 1991 einen 16 Stunden umfassenden Lehrauftrag an der Univers...