Entscheidungsstichwort (Thema)
Summarische Prüfung von Leistungsbeziehungen bei Einschaltung von „Hintermännern“
Leitsatz (NV)
- Hinsichtlich des Vorsteuerabzugsrechts des Leistungsempfängers kommt nach dem BFH-Urteil vom 30. September 1999 V R 8/99 eine Bestimmung der Person des leistenden Unternehmers abweichend von der zivilrechtlichen Leistungsbeziehung möglicherweise in Betracht, wenn der Vertragspartner des Leistungsempfängers die vereinbarte Leistung nicht in eigener Person erbringt und auch nicht als eigene Leistung der Umsatzsteuer unterwirft und der Leistungsempfänger damit rechnet oder rechnen muß, daß die Leistung nicht versteuert wird.
- Im AdV-Verfahren (zum Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers) ist somit nicht nur auf Bedenken abzustellen, ob die in Rechnungen einer als leistender Unternehmerin aufgetretenen GmbH angegebene Geschäftssitze tatsächlich bestanden, sondern auch der Vortrag zu berücksichtigen (der auf Unterlagen - u.a. Lohnsteuer- und Umsatzsteuer-Voranmeldungen - gestützt ist), es gebe keinen Nachweis dafür, daß die GmbH die Umsätze nicht versteuert habe.
Normenkette
FGO § 69; UStG 1993 §§ 14-15
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ―eine GmbH― betreibt ein Bauunternehmen. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) im angefochtenen Beschluß "will sie ―ab Mai 1995― die im März/April 1995 errichtete und im Handelsregister eingetragene N-GmbH als Subunternehmer eingeschaltet haben. Zu der Vertragsbeziehung sei es gekommen, weil ein seit Jahren für sie, die Antragstellerin, tätiger Bautrupp, mit dem man sehr zufrieden gewesen sei, von einer anderen Firma geschlossen zu der neugegründeten N-GmbH übergewechselt sei".
Die Antragstellerin machte die ihr in Rechnungen der N-GmbH ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuerbeträge geltend.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) war "aufgrund diverser Feststellungen der Bußgeld- und Strafsachenstelle zu der Überzeugung gelangt", daß es sich bei der N-GmbH um eine Strohmanngesellschaft handle und ließ unter Änderung des Jahressteuerbescheids für 1995 und der Vorauszahlungsbescheide Januar bis November 1996 und Februar/März 1997 den Vorsteuerabzug nicht zu.
Die Antragstellerin legte gegen die geänderten Bescheide Einspruch ein. Zugleich beantragte sie beim FA Aussetzung der Vollziehung. Nach Ablehnung des Antrags durch das FA stellte die Antragstellerin den Aussetzungsantrag beim FG.
Mit Beschluß vom 25. September 1998 lehnte das FG den nach Erledigungserklärungen verbleibenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 1995 und der Vorauszahlungsbescheide Februar/März 1997 und auf Aufhebung der Vollziehung der Vorauszahlungsbescheide Januar bis November 1996 hinsichtlich der Säumniszuschläge ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestünden nicht. Es sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, daß die als Rechnungsaussteller in Erscheinung getretene N-GmbH die abgerechneten Bauleistungen tatsächlich ausgeführt habe. Vielmehr bestünden erhebliche Anhaltspunkte dafür, daß sie ein Scheinunternehmen sei, das die tatsächlich leistenden Personen nur vorgeschaltet hätten, um unerkannt Steuern hinterziehen zu können.
Einen weiteren Antrag zur Änderung des Beschlusses gemäß § 69 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) lehnte das FG mit Beschluß vom 18. Dezember 1998 zwar ab, es ließ aber die Beschwerde gegen den Beschluß vom 25. September 1998 zu.
Mit der Beschwerde rügt die Antragstellerin Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―), Versagung von Akteneinsicht, verfassungswidrige Auslegung von § 15 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) durch Nichtberücksichtigung der zivilrechtlichen Gegebenheiten und greifbare Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, das FG lege § 15 UStG als Haftungsnorm bei Steuerhinterziehung auf seiten des Leistenden aus.
Die Antragstellerin hält an ihrem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung fest.
Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO, die auf folgenden Erwägungen beruhen:
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann ein Unternehmer die in Rechnungen i.S. von § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein. Regelmäßig ergibt sich aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist. Leistender ist danach derjenige, der die Lieferung oder sonstige Leistung im eigenen Namen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber dem Leistungsempfänger bei Ausführung der Leistung im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen aufgetreten ist.
Nach den Feststellungen des FG hatte die Antragstellerin die Subunternehmerverträge mit der N-GmbH und nicht mit möglichen "Hintermännern" ("Kolonnenschiebern") abgeschlossen. Selbst wenn "Hintermänner" tätig geworden sein sollten, wären diese (berechtigt) im Namen der N-GmbH tätig geworden.
Der Senat hat zuletzt im Urteil vom 30. September 1999 V R 8/99 ausgeführt, eine Bestimmung der Person des leistenden Unternehmers abweichend von den zivilrechtlichen Leistungsbeziehungen komme möglicherweise in Betracht, wenn der Vertragspartner des Leistungsempfängers die vereinbarte Leistung nicht in eigener Person erbringe und auch nicht als eigene Leistung der Umsatzsteuer unterwerfe und der Leistungsempfänger damit rechne oder rechnen müsse, daß die Leistung nicht versteuert werde.
Die Antragstellerin hat insoweit vorgetragen, im Verfahren seien u.a. Kopien der Umsatzsteuervoranmeldungen Mai 1995 bis Oktober 1997, jeweils von der N-GmbH beim FA eingereicht (Aktenkonvolut K 34 FG-Akte), vorgelegt worden; es gebe keinerlei vom FA vorgelegte Nachweise dafür, daß die an sie, die Antragstellerin, ausgeführten Umsätze darin nicht enthalten seien.
Davon abweichend ist das FG davon ausgegangen, daß trotz der umfangreichen Unterlagen (Lohnsteuer- und Umsatzsteuer-Voranmeldungen, Versicherungs- und Lohnkontennachweise, Unbedenklichkeitsbescheinigungen der AOK, Auszüge aus dem Handels- und Gewerberegister sowie der Handwerksrolle, Vereinbarung zwischen der Antragstellerin und der N-GmbH vom 4. Mai 1995, Nachweis über die Eintragung der N-GmbH im Telefonbuch etc.) aufgrund überschlägiger Überprüfung der vorliegenden Unterlagen keine ernstlichen Zweifel daran bestünden, daß die N-GmbH vorgeschoben worden sei, insbesondere weil andere als der Gesellschafter-Geschäftsführer N die gesamte Geschäftstätigkeit der GmbH als "Hintermänner" gesteuert haben dürften und nicht glaubhaft gemacht worden sei, daß die in den Rechnungen der N-GmbH angegebenen Geschäftssitze tatsächlich bestanden hätten.
2. Der auf einem anderen rechtlichen Ausgangspunkt beruhende Beschluß des FG wird aufgehoben. Der Senat entscheidet nicht selbst über den Aussetzungsantrag, sondern verweist die Sache an das FG zurück. Die Zurückverweisung ist auch im Beschwerdeverfahren betreffend die Aussetzung der Vollziehung zulässig (Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 26. März 1991 VIII B 83/90, BFHE 163, 510, BStBl II 1991, 463, m.N.). Sie erscheint zweckmäßig, um dem FG Gelegenheit zu geben, die summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel und des festgestellten Sachverhalts unter Berücksichtigung der neueren Grundsätze des Senatsurteils vom 30. September 1999 V R 8/99, aber auch des Vortrags der Antragstellerin zur Zeichnungsberechtigung über das Konto der N-GmbH und zur Einlösung von Verrechnungsschecks der Antragstellerin auf diesem Konto vorzunehmen.
Mit den dabei gewonnenen Erkenntnissen sind dann die bisher vom FG als ausschlaggebend herangezogenen Indizien ―u.a., daß bei summarischer Prüfung davon auszugehen sei, die N-GmbH habe keine eigenen Geschäftsräume gehabt, sie habe wohl lediglich versucht, die Existenz von Geschäftsräumen (z.B. durch einen "Büroservice") vorzutäuschen― abzuwägen.
Fundstellen
BFH/NV 2000, 611 |
UVR 2000, 223 |