Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an Revisionsbegründung; FG-Entscheidung mit Widersprüchen
Leitsatz (NV)
Für die Geltendmachung eines Revisionsgrundes i. S. v. §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 FGO genügt es nicht, wenn der Revisionskläger vorträgt, die FG-Entscheidung enthalte Widersprüche. Nur wenn nicht mehr zu erkennen ist, welche Überlegungen für das FG maßgebend waren, liegt ein Mangel i. S. d. Vorschriften vor.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6, § 120 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Geschäftsführer der Firma R-GmbH, die ihrerseits Komplementärin der Firma R-GmbH & Co. KG (KG) war. Durch Haftungsbescheid vom 11. Juli 1981 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Kläger wegen angemeldeter, aber nicht abgeführter Lohn- und Kirchensteuer nebst Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt . . . DM für den Zeitraum Dezember 1980 bis Februar 1981 als Haftenden in Anspruch. Im Einspruchsverfahren wurde der Haftungszeitraum auf Dezember 1980 bis Januar 1981 beschränkt und die Haftungssumme auf . . . DM herabgesetzt.
Über das Vermögen der KG wurde am 19. Februar 1981 das Vergleichsverfahren und am 16. März 1981 das Konkursverfahren eröffnet.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seiner Entscheidung aus, das FA habe den Kläger zu Recht als Geschäftsführer der GmbH nach §§ 69, 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) in Anspruch genommen. Die GmbH sei nach § 41 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) verpflichtet gewesen, die von den Einkünften ihrer Arbeitnehmer durch Abzug von Arbeitslohn zu erhebende Lohnsteuer einzubehalten und an das FA abzuführen. Dieser Verpflichtung sei der Kläger im Streitfall schuldhaft nicht nachgekommen, weil er die angemeldete Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt nicht abgeführt habe, obwohl nach seinem Vortrag genügend Mittel für die Zahlung vorhanden gewesen seien. Die Nichtabführung oder nicht rechtzeitige Abführung der einbehaltenen Lohnsteuerabzugsbeträge stelle im allgemeinen ohne weiteres eine schuldhafte Pflichtverletzung i. S. der §§ 69, 34 AO 1977 dar, denn die abzuführende Steuer sei nur ein bei der Lohnzahlung zurückbehaltener Teil des Arbeitnehmerlohns, der nicht ausgezahlt, sondern zurückzubehalten und an das FA abzuführen sei. Unter diesen Umständen könne sich der Kläger auch nicht darauf berufen, daß die Verkaufsverhandlungen über sein in finanzielle Schwierigkeiten geratenes Unternehmen so viel Zeit in Anspruch genommen hätten, daß er dadurch in der Wahrnehmung seiner Geschäftsführertätigkeit eingeengt gewesen sei.
Mit seiner (weder vom FG noch vom Bundesfinanzhof - BFH -, vgl. Beschluß vom 11. Juli 1989 VII B 112/88, zugelassenen) Revision rügt der Kläger, daß das FG-Urteil nicht mit Gründen versehen sei (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Der Tatbestand der Vorentscheidung entspreche nicht den gesetzlichen Erfordernissen, da nicht zweifelsfrei festzustellen sei, von welchen Tatsachen das FG ausgegangen sei. Eigene tatsächliche Feststellungen habe der Senat nicht getroffen. Im Tatbestand werde einerseits auf den Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung Bezug genommen, ohne daß erklärt werde, inwieweit das Gericht den Verwaltungsentscheidungen folge. Andererseits werde der ,,Vortrag" der Parteien kurz dargestellt, so daß nicht klar werde, ob das Gericht die in diesem Vortrag enthaltenen Tatsachenbehauptungen als erwiesen ansehe. Eine eindeutige Erklärung des Gerichts zu den Grundlagen seiner Entscheidung wäre aber erforderlich gewesen.
Es bleibe offen, ob das FG der Einspruchsentscheidung darin folge, daß für den Kläger vorhersehbar gewesen sei, daß die Lohnsteuer bei Fälligkeit von der KG nicht mehr hätte bezahlt werden können. Dies sei mit den Bankbescheinigungen, die der Kläger vorgelegt habe und die das Gericht im Tatbestand aufgeführt habe, nicht zu vereinbaren, da sich aus den Bescheinigungen ein gewisser finanzieller Spielraum der KG ergeben habe. Falls das Gericht der Einspruchsentscheidung nicht hätte folgen wollen, fehle die Auseinandersetzung mit den vorgelegten Bescheinigungen. Das Urteil sei somit hinsichtlich eines wesentlichen Verteidigungsmittels des Klägers ohne Begründung und daher ohne Gründe i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.
Falls das FG aber entsprechend dem Vortrag des Klägers davon ausgegangen sei, daß gewisse Mittel zur Verfügung gestanden hätten, hätte das Gericht darlegen müssen, daß die vorhandenen Mittel zur Zahlung der Lohnsteuer ausgereicht hätten, und zwar auch unter Berücksichtigung sonstiger gleich- oder vorrangiger Verpflichtungen (Sozialversicherungsbeiträge, sonstige Steuern) oder aber, daß der Kläger es unterlassen habe, für die Einbehaltung ausreichender Mittel zu sorgen.
Das FG-Urteil enthalte keine Ausführungen, warum im konkreten Fall eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung i. S. des § 69 AO 1977 vorgelegen haben solle. Gehe man entgegen den Ausführungen in der gleichzeitig eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde (VII B 112/88) davon aus, daß das Gericht den Begriff der schuldhaften Pflichtverletzung i. S. des § 69 AO 1977 nicht verkannt habe, so fehlten auch hier die erforderlichen Urteilsgründe. Besondere Ausführungen dazu seien aber erforderlich gewesen, da zumindest im Streitfall Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nicht aus der Nichtabführung der Lohnsteuer gefolgert werden könne.
Weiterhin geht der Kläger in seiner Revisionsbegründung auf die finanzielle Situation seines Unternehmens gegen Ende des Jahres 1980 ein und legt im einzelnen dar, warum in seinem Verhalten keine grob fahrlässige Pflichtverletzung i. S. von § 69 AO 1977 gesehen werden könne.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
Die Begründung ist unzulässig.
Da die Revision nicht zugelassen worden ist (vgl. dazu Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985, BGBl I 1985, 1274), hängt deren Zulässigkeit davon ab, daß wesentliche Verfahrensmängel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO gerügt worden sind. Daran fehlt es jedoch.
Der Kläger macht zwar geltend, es lägen wesentliche Verfahrensmängel vor. Das reicht zur Rüge von Verfahrensmängeln i. S. des § 116 Abs. 1 FGO aber nicht aus. Dazu ist nach § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO erforderlich, daß die Tatsachen bezeichnet werden, die den Mangel ergeben (BFH-Urteile vom 28. November 1968 I R 101/68, BFHE 94, 207, BStBl II 1969, 115, und vom 5. März 1970 V R 135/68, BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384). Derartige Tatsachen hat der Kläger nicht vorgetragen.
Soweit der Kläger den Tatbestand des FG-Urteils für unvollständig oder widersprüchlich hält, ist dieser Vortrag nicht geeignet, einen Verfahrensverstoß i. S. von §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 FGO zu belegen. Diese Vorschriften betreffen nicht den Fall, daß eine Entscheidung Fehler im Tatbestand enthält. Sind die tatsächlichen Grundlagen einer Entscheidung im Urteil nicht ausreichend dargestellt, so handelt es sich regelmäßig um einen materiell-rechtlichen Fehler (BFH-Urteil vom 20. August 1986 I R 87/83, BFHE 147, 521, 522, BStBl II 1987, 75; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Juni 1963 IV ZR 273/62, BGHZ 40, 84, 86, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1963, 2070; Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Juni 1970 5 AZR 460/69, NJW 1970, 1812; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 119 Rdnr. 23). Ein Verstoß i. S. der §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO liegt demnach nur vor, wenn dem angefochtenen Urteil die rechtliche Begründung fehlt. Fehler im Tatbestand der FG-Entscheidung hätte der Kläger durch einen Antrag nach § 108 Abs. 1 FGO (Tatbestandsberichtigung) korrigieren lassen müssen.
Der Kläger macht mit seiner Revision sinngemäß geltend, die Begründung des FG-Urteils sei nicht stichhaltig. Zur Rüge eines Verfahrensmangels nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO reicht das aber schon deshalb nicht aus, weil dazu erforderlich ist, daß die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Der Kläger trägt nichts dafür vor, daß diese Voraussetzung erfüllt ist. Vielmehr gesteht er selbst zu, daß die Vorentscheidung mit Gründen versehen ist, diese aber nicht ausreichten, die getroffene Entscheidung rechtlich zu begründen. Ein Verfahrensverstoß des FG i. S. der §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 FGO ist mit diesen Ausführungen nicht schlüssig dargetan.
Selbst wenn man den Vortrag des Klägers als ausreichend ansehen würde, könnte die Revision keinen Erfolg haben. Für den geltend gemachten Revisionsgrund genügt es nicht, daß in der Vorentscheidung Widersprüche enthalten sind. Nur wenn nicht mehr zu erkennen ist, welche Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren, ist ein Mangel i. S. der §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 FGO gegeben (BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325; BStBl II 1985, 417).
Fundstellen
Haufe-Index 416526 |
BFH/NV 1990, 176 |