Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Anordnung, einen Bevollmächtigten zu bestellen
Leitsatz (NV)
1. Auch gegenüber einem Rechtsanwalt kann in einem finanzgerichtlichen Verfahren gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO angeordnet werden, daß ein Bevollmächtigter bestellt oder ein Beistand herangezogen wird, falls es sich um ein Verfahren handelt, das der Rechtsanwalt selbst betreibt.
2. Wird einem Rechtsanwalt aufgegeben, einen Bevollmächtigten zu bestellen, so hat dies zur Folge, daß die Postulationsfähigkeit des Betroffenen mit der Rechtskraft des die Anordnung enthaltenden Beschlusses verloren geht.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Rechtsanwalt. Er hat zusammen mit seiner Ehefrau vor dem Finanzgericht (FG) wegen der Festsetzung der Einkommensteuer für 1971 bis 1976 und 1978 bis 1980 sowie wegen der Festsetzung der Vermögensteuer 1980 Klage erhoben. Die Ehefrau des Klägers wird in diesem Verfahren durch den Kläger vertreten.
Unter Hinweis auf seinen schlechten Gesundheitszustand beantragte der Kläger seit 1979 fortgesetzt Fristverlängerungen für die Abgabe der Klagebegründung und für Gegenäußerungen auf Schriftsätze des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -), ohne die betreffenden Prozeßunterlagen beim FG einzureichen. Auch die von ihm gegebene Zusage, Aufzeichnungen für die Betriebsausgaben aus seiner Rechtsanwaltstätigkeit vorzulegen, hielt er nicht ein. Darauf beschloß das FG am 14. Februar 1985, dem Kläger gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzugeben, einen Bevollmächtigten zu bestellen oder einen Beistand hinzuzuziehen. Zur Begründung seiner Anordnung führte das FG aus, der Kläger sei infolge seines schlechten Gesundheitszustands nicht in der Lage, seine Rechte wahrzunehmen. Infolgedessen gebiete es die richterliche Fürsorgepflicht, die Heranziehung eines Bevollmächtigten oder Beistands anzuordnen.
Gegen diesen Beschluß legte der Kläger Beschwerde ein mit der Begründung, es sei absehbar, daß ,,das der Förderung des Rechtsstreits entgegenstehende Hindernis nicht dauernd sein" werde. Ein Bevollmächtigter werde demnächst bestellt.
Das FA beantragte zunächst, die Beschwerde zurückzuweisen.
Im Laufe des Beschwerdeverfahrens erklärte der Kläger, er habe den Wirtschaftsprüfer und Steuerberater X zum Bevollmächtigten bestellt; inzwischen seien auch die vom FG angeforderten Prozeßunterlagen eingereicht worden.
Das FA erklärte darauf, daß es den Zwischenstreit als erledigt betrachte; es beantragte, die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen.
Der Kläger erklärte schließlich, der Zwischenstreit sei nicht erledigt, ,,es sei denn, meine Rechte, mich nach der . . . Genesung mit allen rechtsanwaltlichen Rechten auch selbst . . . in den im angefochtenen Beschluß aufgeführten Verfahren zu vertreten, sind unberührt".
Entscheidungsgründe
Die Würdigung des Sachverhalts ergibt, daß der Zwischenrechtsstreit nicht erledigt ist. Bei der gegebenen Sachlage ist vielmehr über die im Zwischenrechtsstreit eingelegte Beschwerde zu entscheiden.
1. Gegenstand des Zwischenrechtsstreits ist die Anordnung des FG, gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO einen Bevollmächtigten zu bestellen oder einen Beistand hinzuzuziehen. Die Anordnung betrifft den Kläger nur insoweit, als er in den beim FG anhängigen Verfahren in eigener Sache auftritt. Der Kläger betreibt diese Verfahren zwar auch im Namen seiner Ehefrau als deren anwaltschaftlicher Vertreter; in dieser Eigenschaft wird er indessen von der Anordnung nicht betroffen. Das ergibt sich schon aus dem Tenor des Anordnungsbeschlusses, in dem es heißt, daß ,,dem Kläger A" aufgegeben wird, einen Bevollmächtigten zu bestellen oder einen Beistand zu benennen. Auch die Begründung des Beschlusses läßt erkennen, daß die Anordnung nur gegen den Kläger selbst erlassen werden sollte. In der Begründung wird nämlich ausgeführt, das Gericht sei an der Anordnung nicht dadurch gehindert, daß der Kläger als Rechtsanwalt und Notar zu dem Personenkreis gehöre, der als Bevollmächtigter nach § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO (wegen fehlender Fähigkeit zum geeigneten Vortrag) nicht zurückgewiesen werden könne. § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO verbiete nur die Zurückweisung der dort genannten Personen als Prozeßbevollmächtigte. Soweit sie jedoch selbst Klage erheben, gelte auch für sie die Regelung des § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO (nach der die Bestellung eines Bevollmächtigten angeordnet werden kann) uneingeschränkt.
2. Der durch den Anordnungsbeschluß des FG ausgelöste Zwischenrechtsstreit ist nicht erledigt.
a) Eine Erledigung ist nicht durch übereinstimmende Erledigungserklärungen eingetreten. Denn nur das beklagte FA hat uneingeschränkt erklärt, daß es den Zwischenstreit als erledigt betrachte. Der Kläger hat dagegen ausgeführt, er sehe den Zwischenstreit nicht als erledigt an, es sei denn, seine Rechte, sich nach der Genesung auch selbst in den im Beschluß genannten Verfahren zu vertreten, seien unberührt. Der Kläger wollte hiernach eine Erledigungserklärung nur für den Fall abgeben, daß er nach seiner Genesung ohne weiteres in den ihn betreffenden Verfahren neben dem von ihm bevollmächtigten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater X selbst auftreten kann. Eine derartige Möglichkeit widerspricht aber der gesetzlichen Wirkung, die einer gerichtlichen Anordnung nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO zukommt. Solange eine solche Anordnung in Kraft ist, fehlt dem Kläger in diesen Verfahren die Fähigkeit, neben seinem Bevollmächtigten oder an dessen Stelle aufzutreten (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Februar 1971 V K 1/69, BFHE 101, 357, BStBl II 1971, 370). Dies ändert sich erst dann, wenn die Anordnung wieder aufgehoben wird.
b) Es liegen auch sonst keine Umstände vor, die den Zwischenrechtsstreit als erledigt erscheinen lassen. Eine Erledigung setzt voraus, daß das Rechtsschutzbegehren gegenstandslos geworden ist (vgl. BFH-Beschluß vom 5. März 1979 GrS 3/78, BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378). Hinsichtlich des Beschwerdebegehrens des Klägers ist dies indessen nicht der Fall. Der Kläger ist zwar der im Beschluß des FG getroffenen Anordnung dadurch nachgekommen, daß er einen Bevollmächtigten bestellt hat. Sein Begehren, seine Verfahren ohne Bestellung eines Bevollmächtigten weiterführen zu können, ist aber damit nicht gegenstandslos geworden.
Bei dieser Sachlage ist über die Beschwerde des Klägers sachlich zu entscheiden.
3. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
a) An der Zulässigkeit der Beschwerde bestehen keine Bedenken. Die Beschwerde ist insbesondere nicht deshalb unzulässig, weil sie vom Kläger selbst eingelegt wurde. Die Voraussetzungen des Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG), wonach ein Rechtsmittel zum BFH nur durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer eingelegt werden kann, liegen im Streitfall vor. Der Kläger ist als Rechtsanwalt zugelassen; der Umstand, daß ihm vom FG aufgegeben wurde, für gewisse Verfahren einen Bevollmächtigten zu bestellen oder einen Beistand hinzuzuziehen, ändert hieran nichts. Zwar hat die vom FG getroffene Anordnung, einen Bevollmächtigten zu bestellen, zur Folge, daß die Postulationsfähigkeit des Betroffenen mit der Rechtskraft des die Anordnung enthaltenden Beschlusses verloren geht (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 62 FGO Tz. 2 und 4). Die Postulationsfähigkeit bleibt jedoch bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Rechtskraft des Beschlusses eintritt, erhalten. Der von der Anordnung Betroffene kann also, sofern er - wie der Kläger im Streitfall - die Voraussetzungen nach Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG in eigener Person erfüllt, selbst Beschwerde einlegen.
b) Die hiernach zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO kann durch Beschluß angeordnet werden, daß ein Bevollmächtigter bestellt oder ein Beistand hinzugezogen werden muß. Eine solche Anordnung ist u. a. dann angezeigt, wenn der Beteiligte selbst die Streitsache nicht so vertreten kann, daß eine sachgerechte Abwicklung des Verfahrens gewährleistet ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 8. März 1967 VI 107-108/64, VI 306-308/65, BFHE 88, 24, BStBl III 1967, 258, und vom 9. August 1974 V B 23/74, BFHE 113, 267, BStBl II 1975, 17). Dabei kann der Grund für das Unvermögen des Beteiligten vor allem in einer nachhaltigen Erkrankung liegen, die den Beteiligten für längere Zeit an der prozessualen Mitwirkung hindert.
Im Streitfall hat der bisherige Ablauf der Verfahren vor dem FG gezeigt, daß der Kläger dort nicht in der nach Sachlage gebotenen Weise mitgewirkt hat. Nach seinen Angaben beruhte dieser Mangel an Mitwirkung auf seinem angegriffenen Gesundheitszustand. Mit Rücksicht hierauf war das FG zu der Anordnung berechtigt, gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO einen Bevollmächtigten zu bestellen oder einen Beistand heranzuziehen.
Der Umstand, daß der Kläger als Rechtsanwalt zu den Personen gehört, die als Bevollmächtigte nach § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht zurückgewiesen werden können, stand der Anordnung nicht entgegen. Soweit Angehörige dieses Personenkreises selbst ein gerichtliches Verfahren betreiben, kann gegen sie bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen die Anordnung ergehen, einen Bevollmächtigten zu bestellen oder einen Beistand hinzuzuziehen (vgl. BFH-Beschluß vom 20. September 1979 VII B 20/79, BFHE 128, 489, BStBl II 1979, 778).
Das FG wird zu gegebener Zeit zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für den Fortbestand der Vertretungsanordnung noch vorliegen.
Fundstellen
Haufe-Index 414407 |
BFH/NV 1986, 616 |