Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit der Grundsätze über die Anscheins vollmacht im steuerlichen Rechtsbehelfsverfahren
Leitsatz (NV)
1. Nach den Grundsätzen über die Anscheinsvollmacht gilt auch derjenige als Bevollmächtigter, der ohne Vollmacht wie ein Bevollmächtigter auftritt, wenn der von ihm durch sein Auftreten erzeugte Rechtsschein der Bevollmächtigung dem Vertretenen zurechenbar ist (vgl. BFH-Urteile vom 28. Januar 1976 IV R 168/73, BFHE 118, 49, BStBl II 1976, 344; vom 25. September 1990 IX R 84/88, BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120).
2. Die Grundsätze über die Anscheinsvollmacht gelten auch im öffentlichen Verfahrensrecht.
Normenkette
AO 1977 § 80 Abs. 1
Gründe
Es kann dahingestellt bleiben, ob die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) bezeichnete Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat. Diese Rechtsfrage ist im vorliegenden Verfahren nicht klärungsfähig, da der Kläger nach den Grundsätzen über die Anscheinsvollmacht an die von Rechtsanwalt W in seinem Namen erklärte Rücknahme des Einspruchs gebunden ist. Diese Grundsätze, die auch im öffentlichen Verfahrensrecht gelten, besagen, daß als Bevollmächtigter i. S. der § 80 Abs. 1 Satz 1, § 122 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung (AO 1977) auch derjenige gilt, der ohne Vollmacht gegenüber den Finanzbehörden wie ein Bevollmächtigter auftritt, wenn der von ihm durch sein Auftreten erzeugte Rechtsschein der Bevollmächtigung dem Vertretenen zurechenbar ist (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH --) vom 28. Januar 1976 IV R 168/73, BFHE 118, 49, 54, BStBl II 1976, 344). Eine Anscheinsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene das Handeln eines angeblichen Vertreters nicht bzw. nicht nachgewiesenermaßen kennt, er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, und wenn ferner der "Geschäftsgegner" nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Vertretene billige das Handeln seines Vertreters (BFH-Urteil vom 25. September 1990 IX R 84/88, BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120 unter IV. 1.).
Diese Voraussetzungen sind hier nach den Feststellungen des Finanzgerichts gegeben. Dem Kläger war bekannt, daß das Schöffengericht nachdrücklich ein Junktim hergestellt hatte zwischen einer Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 a der Strafprozeßordnung (StPO) und der herbeizuführenden Bestandskraft der Steuerbescheide. Er hatte sich in der Hauptverhandlung vom ... 1991 dazu verpflichtet, die gegen diese Bescheide eingelegten Einsprüche zurückzunehmen, war dieser Zusage jedoch nicht nachgekommen. Daraufhin hatte der Vorsitzende des Schöffengerichts mit Schreiben vom 2. März 1992 mit Fristsetzung bis zum 1. April 1992 die Abgabe dieser Erklärung unter Androhung einer Fortsetzung des Strafverfahrens angemahnt. Auch wenn man die Richtigkeit des klägerischen Vortrags unterstellt, der als Strafverteidiger bestellte Rechtsanwalt W habe am 27. März 1992 die Rücknahme der Einsprüche ohne diesbezügliche Vollmacht des Klägers erklärt, mußte sich der Kläger diese Erklärung im Hinblick auf den eindeutigen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang der Geschehnisse zurechnen lassen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) durfte daher davon ausgehen, daß der Kläger Rechtsanwalt W bevollmächtigt habe, jedenfalls aber das Auftreten des Vertreters dulde.
Im übrigen ergeht der Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung.
Fundstellen
Haufe-Index 423785 |
BFH/NV 1997, 542 |