Leitsatz (amtlich)
Die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ist schuldhaft versäumt, wenn der bevollmächtigte Rechtsanwalt kein Fristenkontrollbuch führt, sondern lediglich eine Wiedervorlagefrist für die Bearbeitung der Sache in einem dafür bestimmten Fristenkalender einträgt (Organisationsmangel).
Normenkette
FGO §§ 56, 115
Tatbestand
Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) am 22. März 1979 zugestellt worden. Das FG hat die Revision nicht zugelassen.
Mit Schreiben vom 16. Mai 1979 (beim FG eingegangen am 17. Mai 1979) legte die Klägerin Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein und beantragte zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil sie ohne Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist zur Einlegung der Beschwerde einzuhalten. Ihr Prozeßbevollmächtigter trägt dazu vor, die Klägerin habe seinem Urlaubsvertreter und langjährigen Mitarbeiter, Rechtsanwalt R, anläßlich eines Gesprächs in der Kanzlei am 10. April 1979 die Weisung erteilt, Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen. Wegen der schwierigen Rechtsfragen habe Rechtsanwalt R, statt sofort die Beschwerde abzufassen, in der Akte verfügt, daß durch das Büro zunächst eine 3-Tages-"Rotfrist" in den dafür vorgesehenen Fristenkalender einzutragen sei. "Rotfrist" bedeute, daß die Akte unbedingt am Tage des Fristablaufs dem Prozeßbevollmächtigten bzw. seinem Urlaubsvertreter vorzulegen sei. Hierauf würden die beiden zuständigen Angestellten des Büros, Rechtsanwalts- und Notargehilfen, die seit mehr als 10 bzw. 15 Jahren bei ihm beschäftigt seien, regelmäßig hingewiesen. Außerdem habe er durch Stichproben festgestellt, daß die Fristen auch tatsächlich eingetragen und beachtet werden. Als die Klägerin am 4. Mai 1979 erneut in der Kanzlei bei Rechtsanwalt R als dem zuständigen Sachbearbeiter des Falles erschien, habe dieser festgestellt, daß die Frist nicht eingetragen worden war.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht zulässig.
Sie ist verspätet eingelegt. Nach § 115 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils angefochten werden. Danach lief die Beschwerdefrist am 23. April 1979 ab (§ 54 FGO, § 222 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB), denn das Urteil ist am 22. März 1979 zugestellt worden (§§ 104 Abs. 2, 53 Abs. 2 FGO, § 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -).
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann der Klägerin nicht gewährt werden (§ 56 FGO), denn sie hat die Frist schuldhaft versäumt.
Das Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten muß sie sich wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO, § 85 Abs. 2 ZPO; vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Oktober 1972 I R 99/72, BFHE 107, 107). Das gilt in gleicher Weise für das Verschulden des Rechtsanwalts R des Urlaubsvertreters des Prozeßbevollmächtigten (BFH-Urteil vom 7. Oktober 1964 I 117/63 U, BFHE 80, 498, BStBl III 1964, 653; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 110 AO, Anm. 22), der die Sache selbständig bearbeitete (vgl. v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 56 FGO Anm. 18).
Das Verschulden des Rechstanwalts R liegt darin, daß er es unterlassen hat, den Ablauf der Beschwerdefrist in einem Fristenkalender oder Fristenkontrollbuch einzutragen oder eintragen zu lassen. Falls ein solcher Fristenkalender in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten nicht geführt und täglich überwacht werden sollte, liegt bereits darin der Grund für die schuldhafte Versäumung der Frist, denn ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung ist unerläßliche Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Büroorganisation zur Wahrung der Fristen (BFH-Urteil vom 9. Mai 1961 I 237/60 S, BFHE 73, 491, BStBl III 1961, 445). Wurde es jedoch geführt, dann hätte auch der Ablauf der gesetzlichen Beschwerdefrist (§ 115 Abs. 3 FGO) eingetragen werden müssen; bei der gebotenen täglichen Überwachung des Fristenkalenders (BFH-Urteil I 237/60 S) wäre sie nicht versäumt worden. Die Eintragung einer Wiedervorlagefrist allein genügte nicht (BFH-Urteil vom 11. November 1972 VIII R 8/67, BFHE 107, 486 BStBl II 1973, 169). Die Klägerin hat nicht vorgetragen, daß in diesem Falle die Rechtsmittelfrist eingetragen oder eine Anweisung dafür gegeben worden ist und nicht einmal, daß ein Fristenkontrollbuch neben dem für die Rotfristen vorgesehenen Kalender geführt wurde.
Fundstellen
BStBl II 1979, 743 |
BFHE 1979, 483 |