Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentliche Zustellung wegen unbekannten Aufenthalts
Leitsatz (NV)
Eine Behörde muß sich, bevor sie den Weg der öffentlichen Zustellung einschlägt, durch die nach Sachlage gebotenen Ermittlungen Gewißheit darüber verschaffen, daß der Aufenthaltsort des Zustellungsempfängers nicht nur ihr, sondern allgemein unbekannt ist. Den Anforderungen an die Prüfungspflicht wird die Behörde in aller Regel gerecht, wenn sie versucht, die Anschrift des Adressaten durch die Polizei bzw. durch das Einwohnermeldeamt zu ermitteln.
Normenkette
VwZG § 15
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war an der im Jahre 1971 gegründeten X GmbH & Co. Beteiligungs-KG (KG) beteiligt. Die Firma der KG ist im Januar 1976 im Handelsregister gelöscht worden.
Aufgrund einer Mitteilung, nach der die KG im Jahre 1974 Einkünfte von einer Grundstücksgesellschaft in Höhe von . . . DM bezogen hat, verfügte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) den Erlaß eines Änderungsbescheids über die einheitliche Feststellung der Einkünfte der KG für das Jahr 1974. Nach dem Inhalt dieses Bescheids entfiel von dem Gesamtbetrag der von der KG erzielten Einkünfte ein Anteil von . . . DM auf die Klägerin.
Laut Verfügung des FA vom 12. Mai 1981 sollte der Bescheid den beiden früheren Kommanditisten der KG, nämlich der Klägerin und Z, durch die Post zugestellt werden.
Die Versuche, der Klägerin den Bescheid unter ihren früheren Anschriften zuzustellen, scheiterten. Die Zustellungsunterlagen kamen jeweils mit dem Vermerk ,,Unbekannt verzogen" an das FA zurück. Das FA wendete sich deshalb an den Polizeipräsidenten von A (Referat Meldeangelegenheiten, Paß- und Ausweiswesen) mit der Bitte, die Wohnung der Klägerin zu ermitteln.
Auf die Mitteilung des Polizeipräsidenten, daß die Klägerin unbekannt verzogen sei, verfügte das FA am 20. Juli 1981 die öffentliche Zustellung des Bescheids gemäß § 15 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Als Tag des Aushangs wurde der 22. Juli 1981 beurkundet.
Auch gegenüber dem anderen Kommanditisten der KG (Z) wurde am 20. Juli 1981 die öffentliche Zustellung des Bescheids gemäß § 15 Abs. 2 VwZG verfügt, nachdem auch bei ihm ein Versuch, den Bescheid mit der Post zuzustellen, erfolglos geblieben war und eine anschließend vom Polizeipräsidenten von Y eingeholte Auskunft ergeben hatte, daß Z unbekannt verzogen ist.
Gegen den geänderten Feststellungsbescheid für 1974 legte die Klägerin mit Schreiben vom 18. Juli 1984 Einspruch ein. Sie machte geltend, ihr Einspruch sei nicht verspätet, da die Zustellung des Bescheids durch öffentliche Bekanntmachung nicht zulässig gewesen sei; es seien nicht alle zu Gebote stehenden Mittel zur Ermittlung ihres Aufenthaltes ausgeschöpft worden.
Den Einspruch verwarf das FA als unzulässig. Die Frist für die Einlegung des Einspruchs sei am 7. September 1981 abgelaufen. Es sei davon auszugehen, daß der Bescheid durch die öffentliche Zustellung der Klägerin wirksam bekanntgegeben worden sei.
Mit der Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie stellte außerdem vor dem Finanzgericht (FG) den Antrag, ihr für das Klageverfahren Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten zu gewähren.
Diesen Antrag lehnte das FG durch Bescheid vom 19. April 1985 ab mit der Begründung, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -, § 114 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Das FA habe die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung zu Recht bejaht. Eine öffentliche Zustellung sei zwar nur dann zulässig, wenn sich die Behörde zuvor aller ihr zu Gebote stehenden Mittel zur Erforschung des Aufenthalts des Betroffenen bedient habe. Die Anforderungen würden aber überspannt, wenn man von der Behörde verlangen würde, bei jeder nur denkbaren Stelle nachzufragen, ohne daß Anhaltspunkte dafür gegeben seien, daß dort der Aufenthalt des Steuerpflichtigen bekannt sei. Die Zustellung sei daher wirksam und der angefochtene Bescheid als bestandskräftig zu behandeln.
Gegen den Beschluß vom 19. April 1985 legte die Klägerin durch ihren Prozeßbevollmächtigten Beschwerde ein. Sie beantragt sinngemäß, ihr für das Klageverfahren unter Beiordnung ihres Prozeßbevollmächtigten Prozeßkostenhilfe zu gewähren.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Nach § 142 FGO i. V. m. §§ 114 f. ZPO erhalten Prozeßbeteiligte, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können, auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht im Streitfall nicht. Es muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß die öffentliche Zustellung des Änderungsbescheids für das Jahr 1974 an die Klägerin wirksam war und der Bescheid deshalb der Klägerin gegenüber als bekannt gilt, mit der Folge, daß die Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs (§ 355 der Abgabenordnung - AO 1977 -) gegen den Bescheid in Gang gesetzt und nach deren fruchtlosem Ablauf der Bescheid in Bestandskraft erwachsen ist.
2. Ein Bescheid kann durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist (§ 15 VwZG).
Zwar ist der Aufenthaltsort des Zustellungsempfängers nicht schon deshalb unbekannt, weil die Behörde die Anschrift im Zeitpunkt der beabsichtigten Bekanntgabe nicht kennt. Der Aufenthaltsort muß vielmehr allgemein unbekannt sein. Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. März 1971 V R 25/67, BFHE 102, 20, BStBl II 1971, 555). Die Behörde muß sich, bevor sie den Weg der öffentlichen Zustellung einschlägt, durch die nach Sachlage gebotenen Ermittlungen Gewißheit darüber verschaffen, daß der Aufenthaltsort des Empfängers nicht nur ihr, sondern allgemein unbekannt ist. Erst wenn solche Ermittlungen zu keinem Erfolg geführt haben und weitere - zumutbare - Ermittlungen nicht mehr möglich sind oder keine Aussicht auf Erfolg versprechen, ist Raum für eine öffentliche Zustellung (Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 28. Juli 1983 1 Ob OWi 122/83, Bayerische Verwaltungsblätter 1984, 121). Den Anforderungen an die Prüfungspflicht wird die Behörde in aller Regel gerecht, wenn sie versucht, die Anschrift des Adressaten durch die Polizei bzw. durch das Einwohnermeldeamt zu ermitteln.
Im Streitfall hat das FA mehrere Versuche unternommen, der Klägerin (und ihrem früheren Mitgesellschafter Z) den geänderten Bescheid durch die Post zustellen zu lassen. Es hat dann durch Anfrage beim Polizeipräsidenten von A erfahren, daß die Klägerin (und ihr Mitgesellschafter Z) ,,unbekannt verzogen" sind. Unter diesen Umständen kann angenommen werden, daß das FA alles nach Sachlage Zumutbare getan hat, um den Aufenthalt der Klägerin in Erfahrung zu bringen.
Die Auffassung der Klägerin, das FA hätte sich nicht mit einer Anfrage beim Einwohnermeldeamt begnügen dürfen, sondern auch noch weitere Erkenntnismöglichkeiten benutzen müssen, trifft nicht zu. Insbesondere war das FA nicht gehalten, die Anschrift der Klägerin über ihren Arbeitgeber zu ermitteln. Aus den Einkommensteuerakten der Klägerin, die beim FA B geführt wurden, war nicht ersichtlich, bei wem die Klägerin gearbeitet hat; sie hatte für das Jahr 1976 und die Zeit danach keine Einkommensteuererklärungen abgegeben. - Die Behauptung der Klägerin, ihr Arbeitsverhältnis sei ,,steuerlich gemeldet" gewesen, kann wohl nur so zu verstehen sein, daß ihr Arbeitgeber eine entsprechende Lohnsteueranmeldung gegenüber dem zuständigen FA abgegeben hat (vgl. § 41 a Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Es ist indessen nicht erkennbar, warum das beklagte FA verpflichtet gewesen sein sollte, die Anschrift der Klägerin über das für die Lohnsteueranmeldung zuständige FA in Erfahrung zu bringen. Für das beklagte FA bestanden keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin ein Arbeitsverhältnis eingegangen war und welches FA - im Hinblick auf den unbekannten Wohnsitz - zuständig war.
Auch die Behauptung der Klägerin, ihre Anschrift hätte beim Schuldnerverzeichnis (§ 915 ZPO) des Amtsgerichts C in Erfahrung gebracht werden können, da sie dort im Jahre 1981 eine eidesstattliche Versicherung (§ 807 ZPO) abgegeben hatte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn das FA konnte nicht wissen, daß die Klägerin in das Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts C aufgenommen worden war.
Bei dieser Sachlage hat das FA die Voraussetzungen für die Vornahme einer öffentlichen Zustellung (unbekannter Aufenthalt des Empfängers) zu Recht als gegeben angesehen. Die öffentliche Zustellung konnte damit die im Gesetz vorgesehene Bekanntgabewirkung entfalten (BFHE 102, 20, BStBl II 1971, 555). Das bedeutet, daß durch den öffentlichen Aushang der in § 15 Abs. 2 VwZG vorgeschriebenen Benachrichtigung in der Zeit vom 22. Juli 1981 bis 6. August 1981 der Feststellungsbescheid am 5. August 1981 der Klägerin gegenüber als zugestellt gilt (§ 15 Abs. 3 Satz 2 VwZG). Die Einspruchsfrist von einem Monat (§ 335 AO 1977) war daher am 7. September 1981 abgelaufen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen fehlenden Verschuldens an der Einhaltung der Frist (§ 110 Abs. 1 AO 1977) war schon deshalb nicht möglich, weil die Wiedereinsetzung nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist nicht mehr beantragt werden kann, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 110 Abs. 3 AO 1977). Da im Streitfall der Einspruch erst etwa drei Jahre nach Ablauf der Einspruchsfrist eingelegt wurde, kam eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht. Der Einspruch ist damit wegen seiner verspäteten Einlegung zu Recht als unzulässig verworfen worden. Die mit der Klage geltend gemachte gegenteilige Rechtsauffassung hat daher keine Aussicht auf Erfolg.
Fundstellen