Leitsatz (amtlich)
Begehrt ein Steuerpflichtiger mit der Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid in einem Streitpunkt eine Erhöhung der Steuer und in einem anderen Streitpunkt eine Herabsetzung der Steuer, so sind zur Ermittlung des Streitwerts der Betrag der Erhöhung und der Betrag der Herabsetzung nicht zu saldieren, sondern zu addieren.
Normenkette
FGO § 140 Abs. 3
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin ist die alleinige Erbin des am 17. August 1964 verstorbenen Bankiers Dr. N. (Steuerpflichtiger), der Inhaber der Firma N. war. Bei dieser Firma fand im Jahr 1965 eine Betriebsprüfung statt, die sich auf die Jahre 1956 bis 1963 erstreckte. Daraus entstand zwischen den Beteiligten Streit in folgenden beiden Punkten:
1. Der Steuerpflichtige hatte die Wertpapiere im Girosammeldepot nach der Lifo-Methode bewertet. Der Prüfer wandte das Durchschnittsverfahren an. Nach der Staffelrechnung ergab sich für das Streitjahr 1961 ein Mindergewinn von 3 320,55 DM.
2. Der Steuerpflichtige hatte den Ankauf und Verkauf von Versicherungsaktien als Privatgeschäfte behandelt. Der Prüfer ordnete die Geschäfte dem betrieblichen Bereich zu. Daraus ergab sich für das Streitjahr 1961 ein Mehrgewinn von 4 701,20 DM.
Gegen den Einkommensteuerbescheid 1961, in dem der Beschwerdegegner (das FA) der Auffassung des Prüfers folgte, legte der Testamentsvollstrecker des Steuerpflichtigen Sprungberufung ein, mit der er eine Gewinnminderung von 4 701,20 DM - 3 320,55 DM = 1 380,65 DM begehrte.
In einem Erörterungstermin vom 11. Februar 1969 räumte der Beschwerdegegner ein, daß zwei Aktien einer Versicherungsgesellschaft, die der Prüfer beim Betriebsvermögen angesetzt hatte, am 31. Dezember 1961 niedriger zu bewerten waren. Dadurch ergab sich im Streitpunkt Nr. 2 anstelle des Mehrgewinns von 4 701,20 DM ein Mehrgewinn von 38,30 DM. Der Gewinn des Folgejahres erhöhte sich entsprechend. Der Beschwerdegegner erließ am 7. Oktober 1969 auf der Grundlage der geänderten Gewinne einen Berichtigungsbescheid nach § 94 AO für die Jahre 1961 und 1962. Dieser Bescheid, soweit er das Streitjahr 1961 betraf, wurde nach § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens.
Nach dem Tod des Testamentsvollstreckers wurde das Verfahren ausgesetzt. Die Beschwerdeführerin als Erbin des Steuerpflichtigen nahm es wieder auf. Bald darauf erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Das FG hat die Kosten des Verfahrens der Beschwerdeführerin auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei im Rechtsstreit gegen den Berichtigungsbescheid vom 7. Oktober 1969 dadurch unterlegen, daß sie den Rechtsstreit nicht weiterverfolgt, sondern ihn in der Hauptsache für erledigt erklärt habe. Daher seien ihr nach § 138 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Ob die Änderung des ursprünglichen Bescheids auf einem verspäteten Vorbringen des Testamentsvollstreckers beruhe, brauche nicht geprüft zu werden, da durch den Berichtigungsbescheid keine Kosten entstanden seien.
Das FG hat auch den Streitwert festgesetzt. Da der am weitesten gehende Antrag maßgeblich sei, könne nicht von dem ursprünglichen Begehren nach einer Gewinnminderung von 1 380,65 DM ausgegangen werden. Nachdem der Berichtigungsbescheid vom 7. Oktober 1969 Gegenstand des Verfahrens geworden sei, seien nach den Erklärungen der Beteiligten die Gewinnminderung von 3 320,55 DM (Streitpunkt Nr. 1) und die Gewinnerhöhung von 38,30 DM (Streitpunkt Nr. 2) im Streit gewesen. Der Testamentsvollstrecker habe damit im Ergebnis eine Erhöhung des Gewinns um 3 282,25 DM beantragt. Da das Einkommen des Steuerpflichtigen oberhalb der Progressionsgrenze des Einkommensteuertarifs gelegen habe, sei der Streitwert auf 53 v. H. des beantragten Mehrgewinns festzusetzen.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Erbin des Steuerpflichtigen. Die Beschwerdeführerin erklärt, sie habe bei Fortsetzung des Verfahrens dessen Gegenstand der Berichtigungsbescheid vom 7. Oktober 1969 gewesen sei, allein um den Mehrgewinn von 38,30 DM gestritten. Vorher habe sie eine Gewinnminderung von 1 380,65 DM begehrt. In dem Streit, dessen Gegenstand der ursprüngliche Steuerbescheid gewesen sei, habe sie obgesiegt, da das FA den Bescheid zu ihren Gunsten berichtigt habe. Gleichgültig sei, aus welchen Gründen die Berichtigung erfolgt sei.
Die Beschwerdeführerin beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und dem Beschwerdegegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Kostenentscheidung des FG beruht auf einer unrichtigen Auffassung über die Höhe des Streitwerts. Bevor der Berichtigungsbescheid vom 7. Oktober 1969 Gegenstand des Verfahrens wurde, war das Klagebegehren auf zwei wirtschaftliche Ziele gerichtet. Einmal erstrebte der Kläger die Gewinnminderung von 4 701,20 DM im Streitpunkt Nr. 2. Außerdem verfolgte er mit dem Begehren nach Gewinnerhöhung von 3 320,55 DM im Streitpunkt Nr. 1 das Ziel, sich die Vorteile zu sichern, die ihm die Anwendung der Lifo-Methode bei der Bewertung der Wertpapiere in künftigen Jahren bieten würde. Angesichts der Schwierigkeit, diese Vorteile einigermaßen zuverlässig zu schätzen (vgl. Urteil des BFH I 49/64 vom 11. Januar 1967, BFH 87, 431, BStBl III 1967, 215), hat der Senat - jedenfalls im Streitfall - keine Bedenken, mit dem BFH-Urteil IV 204/64 vom 26. Januar 1970 (BFH 99, 4, BStBl II 1970, 493) den Betrag der erstrebten Erhöhung der Steuer als Streitwert anzusetzen. Danach sind die begehrte Gewinnminderung von 4 701,20 DM im Streitpunkt Nr. 2 und die begehrte Gewinnerhöhung von 3 320,55 DM im Streitpunkt Nr. 1 nicht zu saldieren, sondern zu addieren. Der Streitwert beträgt dann 53 v. H. von (3 320,55 DM + 4 701,20 DM =) 8 021,75 DM = 4 251 DM.
Folgerichtig beträgt der Streitwert, nachdem der Berichtigungsbescheid vom 7. Oktober 1969 Gegenstand des Verfahrens geworden ist, 53 v. H. von (3 320,55 DM + 38,30 DM =) 3 358,85 DM = 1 779 DM.
Von diesen Streitwerten her gesehen ist die Steuerpflichtige auf Grund ihrer Erledigungserklärung im Streitfall nicht voll, sondern nur in bezug auf den Streitwert von 1 779 DM als unterlegen anzusehen. In bezug auf den ursprünglichen Streitwert von 4 251 DM hat sie durch den Berichtigungsbescheid vom 7. Oktober 1969 in Höhe von 53 v. H. von (4 701,20 DM - 38,30 DM =) 4 662,90 DM = 2 471 DM recht bekommen. Das ist bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen, die hier, da zwei Streitwerte vorliegen, nach den Grundsätzen des BFH-Urteils IV 311/62 vom 15. November 1967 (BFH 92, 305, BStBl II 1968, 534) zu treffen ist. Dabei spielt auch die Frage eine Rolle, ob das Obsiegen der Beschwerdeführerin durch den Berichtigungsbescheid vom 7. Oktober 1969 auf einem verspäteten Vorbringen beruht (§§ 137, 138 FGO). Das FG hat diese Frage nicht geprüft und brauchte sie von seinem Standpunkt aus auch nicht zu prüfen. Damit der Beschwerdeführerin in dieser Frage, die zwischen den Beteiligten streitig ist, keine Instanz genommen werde, hält es der Senat - wie in einem ähnlichen Fall der BFH-Beschluß VI B 47/67 vom 25. April 1968 (BFH 92, 469, BStBl II 1968, 608) - für angezeigt, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird die Beteiligten zur Frage des verspäteten Vorbringens nochmals hören, eine Beweisaufnahme findet aber nicht mehr statt (BFH-Beschluß I B 37, 39/70 vom 1. April 1971, BFH 102, 30).
Fundstellen
BStBl II 1971, 691 |
BFHE 1971, 451 |