Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederholungshonorare und Erlösbeteiligungen der Mitarbeiter von Hörfunk- und Fernsehproduktionen als Arbeitslohn; Ermessen bei Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftungsschuldner
Leitsatz (NV)
1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob Wiederholungshonorare und Erlösbeteiligungen, die an Mitarbeiter von Hörfunk- oder Fernsehproduktionen ausgezahlt werden, immer dann Arbeitslohn und nicht Einnahmen aus selbständiger Arbeit sind, wenn das Ersthonorar den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zuzurechnen war.
2. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftungsschuldner für die Lohnsteuer ermessensgerecht ist, wenn der Lohn erst zufließt, nachdem die Arbeitnehmer aus den Diensten des Arbeitgebers ausgeschieden sind, und wenn deshalb die Berechnung der Lohnsteuer für den Arbeitgeber wegen des Fehlens der Lohnsteuerkarten der Arbeitnehmer einen Verwaltungsaufwand verursachen würde, der deutlich höher wäre als es die Versendung einer Kontrollmitteilung für die Finanzverwaltung wäre.
Normenkette
EStG §§ 18-19, 42d Abs. 1, 3; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3; AO 1977 § 162; UrhG § 73 ff.
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) zahlte in den Jahren 1986 bis 1990 aufgrund entsprechender Vereinbarungen an zahlreiche sog. freie Mitarbeiter Wiederholungshonorare für die nochmalige Ausstrahlung von Hörfunk- oder Fernsehproduktionen, die mit ihrer Hilfe entstanden waren. Soweit die Produktionen an nicht der ARD angehörende Sendeunternehmen oder zum Zwecke der Kino-, Film-, AV- oder Tonträgerverwertung entgeltlich abgegeben wurden, erhielten die Mitwirkenden Erlösbeteiligungen. Der Antragsteller zahlte diese Wiederholungshonorare oder Erlösbeteiligungen unabhängig davon, zu welcher Einkunftsart das Ersthonorar gehört hatte, ohne Lohnsteuerabzug aus.
Anläßlich einer Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat der Prüfer unter Hinweis auf ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 5. Oktober 1990 IV B 6 -- S 2332 -- 73/90 (BStBl I 1990, 638) die Ansicht, die Wiederholungshonorare und Erlösbeteiligungen seien der Einkunftsart zuzurechnen, zu der das Ersthonorar gehöre. Soweit die Ersthonorare den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zuzurechnen seien, seien daher auch die Wiederholungshonorare und Erlösbeteiligungen lohnsteuerpflichtig. Zur Höhe der nach seiner Ansicht lohnsteuerpflichtigen Vergütungen führte der Prüfer aus, diese werde für die Jahre 1986 bis 1989 im Einvernehmen mit dem Antragsgegner anhand des für das Jahr 1990 ermittelten Anteils an den gesamten Wiederholungshonoraren geschätzt. Der Bruttosteuersatz sei einvernehmlich mit 30 v. H. angenommen worden. Da der Antragsteller die Steuern nicht an die Arbeitnehmer habe weiterbelasten wollen, erfolge im Jahr der Steuerübernahme die Nettoversteuerung (Nettosteuersatz 42,8 v. H.).
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) erließ u. a. wegen der Wiederholungshonorare und Erlösbeteiligungen am 28. Dezember 1992 einen mit einem Pauschalierungsbescheid zusammengefaßten Haftungsbescheid, der auf § 42 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) gestützt war.
Der Antragsteller begehrte beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides. Zur Begründung machte er geltend, eine Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer habe nicht bestanden, weil es sich bei den Wiederholungshonoraren und Erlösbeteiligungen nicht um Arbeitslohn i. S. des § 38 EStG handele. Außerdem sei entgegen der Darstellung im Prüfungsbericht die Bemessungsgrundlage sowie der Bruttosteuersatz nicht im Einvernehmen mit ihm ermittelt worden. Er habe auch nicht erklärt, die Arbeitnehmer nicht mit den Steuern weiterbelasten zu wollen.
Das FG gab dem Antrag statt. Es bejahte ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides bereits aus formellen Gründen und führte aus: Die im Haftungsbescheid festgestellten Beträge seien durch Schätzung der Bemessungsgrundlagen und durch Anwendung eines durchschnittlichen Steuersatzes ermittelt worden; im Haftungsbescheid seien weder die Steuerschuldner (Empfänger der Zuwendungen) noch die auf jeden einzelnen von ihnen entfallenden Steuerschulden angegeben worden, für die der Antragsteller haften solle. Da die Haftung des Arbeitgebers gemäß § 42 d EStG akzessorisch sei, müßten grundsätzlich der einzelne Steuerschuldner und die einzelne Steuerschuld im Haftungsbescheid genannt werden. Nur so sei es dem Arbeitgeber auch möglich, gegenüber seinen Arbeitnehmern Regreß zu nehmen. Im Streitfall seien die Namen der begünstigten Arbeitnehmer sowie die Höhe der auf sie entfallenden Zuwendungen bekannt.
Das FA macht zur Begründung seiner Beschwerde geltend: Die Aussetzung der Vollziehung werde insoweit akzeptiert, als die Lohnsteuer mit dem niedrigeren Bruttosteuersatz und nicht mit dem höheren Nettosteuersatz zu berechnen sei. Im übrigen wichen jedoch die Gründe, aus denen das FG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides angenommen habe, von den Grundsätzen ab, die der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 17. März 1994 VI R 120/92 (BFHE 174, 89, BStBl II 1994, 536) aufgestellt habe. Danach sei für die inhaltliche Bestimmtheit eines Haftungsbescheides i. S. des § 119 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht erforderlich, daß aus ihm hervorgehe, in welcher Höhe die nachgeforderte Lohnsteuer jeweils einem konkreten Arbeitnehmer zuzuordnen sei. Diese Frage sei vielmehr der materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides zuzuordnen. Aus dieser Begründung des Urteils folge, daß das FG die Aussetzung der Vollziehung jedenfalls nicht in vollem Umfang hätte gewähren dürfen. Es habe sich bei den Wiederholungshonoraren und Erlösbeteiligungen entgegen der Ansicht des Antragstellers auch um Arbeitslohn gehandelt.
Die Inanspruchnahme des Antragstellers sei ermessensgerecht gewesen, weil dieser bereits mit Schreiben des BMF vom 22. Juni 1977 auf die Lohnsteuerpflicht hingewiesen worden sei. Die Anwendung eines durchschnittlichen Steuersatzes stelle einen Unterfall der Schätzung dar. Der Antragsteller sei mit der gewählten Vorgehensweise einverstanden gewesen. Nach Angaben des Prüfers sei eine genaue Ermittlung des Steuersatzes anhand der Unterlagen des Antragstellers nicht möglich gewesen, so daß der Steuersatz im Schätzungswege ermittelt worden sei. Der Antragsteller hätte einer Schätzung entgehen können, wenn er Aufzeichnungen vorgelegt hätte, aus denen sich die individuellen Merkmale jedes einzelnen Arbeitnehmers und die auf ihn entfallenden Beträge ergeben hätten. Dies sei nicht geschehen. Die Feststellung des FG in dem angefochtenen Beschluß, daß die Namen der begünstigten Arbeitnehmer sowie die Höhe der auf sie entfallenden Zuwendungen bekannt seien, widerspreche der Feststellung des Prüfers, daß es sich für die Jahre 1986 bis 1989 um geschätzte Beträge handele. Außerdem habe das FG nicht festgestellt, daß auch die individuellen Besteuerungsmerkmale der betroffenen Arbeitnehmer bekannt seien. Zu bedenken sei dabei, daß viele Werke wiederholt würden, bei denen Arbeitnehmer mitgewirkt hätten, die inzwischen längst ausgeschieden seien.
Der Antragsteller macht unter Hinweis auf seine Ausführungen im Einspruchsverfahren und auf die Einspruchsbegründung geltend, daß ihm entgegen der Darstellung des FA nicht der Vorwurf eines Fehlverhaltens zu machen sei. Im übrigen sei darauf hinzuweisen, daß die Mitteilungsverordnung gemäß § 93 a AO 1977 zum 1. Januar 1994 in Kraft getreten sei (BStBl I 1993, 799). Der Gesetzgeber habe trotz der bereits seit 1986 bestehenden Ermächtigungsgrundlage seine Möglichkeit zur Sicherung der Steuereinnahmen und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung durch Kontrollmitteilungen erst zu Beginn des Jahres 1994 ausgeschöpft. Dieses Unterlassen des Gesetzgebers sei bei der Ermessensausübung gemäß § 42 d EStG zu berücksichtigen. Außerdem sehe er sich in seiner Auffassung, daß die Wiederholungshonorare und die Erlösbeteiligungen kein Arbeitslohn seien, durch das BFH-Urteil vom 6. März 1995 VI R 63/94 bestätigt. Die Honorare würden wegen der wiederholten Nutzung, also nicht "für eine Beschäftigung" gezahlt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des FA ist unbegründet. Die Entscheidung des FG, den angefochtenen Haftungsbescheid insoweit in vollem Umfang und nicht nur teilweise von der Vollziehung auszusetzen, als er die auf die Wiederholungshonorare und die Erlösbeteiligungen entfallende Lohnsteuer betrifft, ist nicht zu beanstanden.
1. Es bestehen bereits ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), ob es sich bei den Wiederholungshonoraren und Erlösbeteiligungen überhaupt um Arbeitslohn i. S. des § 19 EStG handelt. Deshalb ist zweifelhaft, ob der Antragsteller -- wie § 42 d Abs. 1 Nr. 1 EStG dies voraussetzt -- verpflichtet war, von diesen Vergütungen Lohnsteuer einzubehalten (§ 38 Abs. 3 EStG) und abzuführen (§ 41 a Abs. 1 EStG).
Der Senat hat mit Urteil vom 6. März 1995 VI R 63/94 (BFHE 177, 116, BStBl II 1995, 471) die Vergütungen für Leistungsschutzrechte betreffend Fernsehausstrahlungen, die ein Musiktheater an seine angestellten Orchestermusiker zahlt, den Einnahmen aus selbständiger Arbeit i. S. des § 18 EStG zugeordnet und nicht als Arbeitslohn i. S. des § 19 EStG gewertet. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt dieses Urteils Bezug genommen.
Es erscheint keineswegs von vornherein als ausgeschlossen, sondern durchaus als erwägenswert, die in diesem Urteil aufgestellten Grundsätze für die Zuordnung von Vergütungen für Leistungsschutzrechte i. S. der §§ 73 ff. des Urheberrechtsgesetzes bei Arbeitnehmern eines Musiktheaters auf die Verhältnisse des Streitfalles zu übertragen. Auf jeden Fall ist dem Urteil zu entnehmen, daß die Vergütungen für Leistungsschutzrechte nicht stets der Einkunftsart zuzuordnen sind, der die Tätigkeitsvergütung zuzurechnen ist. Die nach alledem bestehenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides rechtfertigen die vom FG ausgesprochene Aussetzung der Vollziehung.
2. Doch selbst wenn die Wiederholungshonorare und Erlösbeteiligungen als Arbeitslohn zu beurteilen wären, bestünden an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 FGO. Der Senat hat in dem vom FA angeführten Urteil in BFHE 174, 89, BStBl II 1994, 536 entschieden, daß beim Erlaß eines Haftungsbescheides die Lohnsteuer wegen Zuwendungen in einer Vielzahl von Fällen grundsätzlich trotz des damit verbundenen Arbeitsaufwandes zu berechnen und nicht zu schätzen ist. Er hat diese Auffassung mit Urteil vom 1. Juli 1994 VI R 101/93 (BFH/NV 1995, 297) bestätigt. Nach diesen Urteilen ist eine Schätzung der Bemessungsgrundlage und Berechnung der Steuer mit einem durchschnittlichen Steuersatz nur dann zulässig, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Schätzung (§ 162 AO 1977) vorliegen oder der Arbeitgeber als der Haftungsschuldner damit einverstanden ist. Im Streitfall ist zwischen den Beteiligten streitig, ob die für eine Berechnung der Lohnsteuer erforderlichen Unterlagen vorlagen und ob der Antragsteller sein Einverständnis zu der vom Prüfer und dem FA gewählten Vorgehensweise erteilt hat. Diese Frage wird im Verfahren über die Hauptsache zu klären sein. Diese Unklarheit in tatsächlicher Hinsicht begründet ernstliche Zweifel daran, ob der Haftungsbescheid mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen und einem durchschnittlichen Steuersatz rechtmäßig ist.
Die Zweifel an der Rechtmäßigkeit beziehen sich, soweit der Haftungsbescheid die Wiederholungshonorare und Erlösbeteiligungen betrifft, auf die volle Höhe und nicht nur auf einen bestimmten Teil. Denn sollte sich im Hauptsacheverfahren nicht die Richtigkeit der Behauptung des FA herausstellen, daß der Antragsteller mit der Schätzung der Bemessungsgrundlage und der Anwendung eines durchschnittlichen Steuersatzes einverstanden war, und sollten die Unterlagen zur Verfügung stehen, die dem FA unter Mitwirkung des Antragstellers eine konkrete Ermittlung der zutreffenden Lohnsteuer erlauben, so ist der auf Schätzungen beruhende Haftungsbescheid solange insgesamt materiell-rechtswidrig, wie die bei dieser Fallgestaltung gebotenen Berechnungen nicht unter namentlicher Angabe des jeweiligen Steuerschuldners zur Begründung des Bescheides nachgereicht werden. Diese Auffassung folgt auch aus den Entscheidungsgründen des Senatsurteils in BFH/NV 1993, 297, 298. Danach ist dann, wenn das FA im zweiten Rechtsgang die individuelle Berechnung der Lohnsteuer verweigern sollte, der Haftungsbescheid insgesamt mit der Maßgabe aufzuheben, daß das FA die Lohnsteuer (Haftungsschuld) individuell zu berechnen hat.
3. Selbst wenn die Vergütungen für die Leistungsschutzrechte als Arbeitslohn zu beurteilen wären und selbst wenn die für eine Berechnung der individuellen Lohnsteuer erforderlichen Unterlagen der einzelnen Arbeitnehmer der Antragstellerin deshalb nicht vorliegen sollten, weil nach dem eigenen Vortrag des FA viele Werke wiederholt werden, bei denen Arbeitnehmer mitgewirkt haben, die inzwischen längst ausgeschieden sind, wäre ernstlich zweifelhaft, ob die Inanspruchnahme des Antragstellers insoweit ermessensgerecht i. S. des § 42 d Abs. 3 Satz 2 EStG wäre. Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftungsschuldner anstelle der Inanspruchnahme der einzelnen Arbeitnehmer auch dann noch ermessensfehlerfrei ist, wenn der Verwaltungsaufwand, der dem Arbeitgeber bei der Einbehaltung der Lohnsteuer von solchen Arbeitnehmern entstünde, die nicht mehr in seinen Diensten stehen, deutlich höher wäre als es die Versendung einer Kontrollmitteilung für die Finanzverwaltung wäre.
Fundstellen
Haufe-Index 420857 |
BFH/NV 1996, 32 |