Entscheidungsstichwort (Thema)
Erledigung des Rechtsstreits wegen einstweiliger Anordnung
Leitsatz (NV)
1. Erklärt in einem Verfahren wegen einstweiliger Anordnung lediglich der Antragsteller den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, so beschränkt sich der Streit auf die Erledigungsfrage.
2. Zur Einstellung der Vollstreckung wegen Erlöschens der Steueransprüche.
3. Zum Erfordernis eines auf eine vorläufige Maßnahme gerichteten Begehrens als Voraussetzung für eine einstweilige Anordnung.
Normenkette
AO 1977 § 257 Abs. 1 Nr. 3; FGO § 114 Abs. 1
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Beschwerdegegner) stellte beim Finanzgericht (FG) den Antrag, dem Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt - FA -) durch einstweilige Anordnung aufzugeben, sofort jegliche Zwangsvollstreckung gegen den Beschwerdegegner einzustellen, bis das FA gegenüber dem Beschwerdegegner ordnungsgemäß abgerechnet habe. Zur Begründung dieses Antrags führte der Beschwerdegegner im wesentlichen folgendes aus: Ein Vergleich mit dem FA habe zu dem Ergebnis geführt, daß für die Jahre 1969 bis 1972 eine Steuerschuld in Höhe von 137 511,70 DM zu seinen Lasten entstanden sei. Unabhängig von diesem Ergebnis habe er in der - dem Vergleich - vorangegangenen Zeit aufgrund von Berichtigungsbescheiden als Folge einer Betriebsprüfung nicht unerhebliche Zahlungen geleistet. Weitere Tilgungen der Steuerschulden ergäben sich aus Umbuchungen und aus der Verwertung gepfändeter Gegenstände. Trotz wiederholter Anforderungen, die sich über mehrere Jahre hinzögen, habe das FA es bis dahin abgelehnt, ihm - dem Beschwerdegegner - eine Abrechnung über die bis dahin geleisteten Zahlungen, Verrechnungen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu erteilen. Er sei der Auffassung, daß er aus den Jahren bis 1972 keine Steuern mehr schulde. Trotz dieses Sachverhalts behaupte das FA nicht nur, daß er weiterhin nicht unerhebliche Steuerbeträge schulde. Das FA habe vielmehr auch weitere Pfändungsmaßnahmen ergriffen, wie sich aus der Pfändungsverfügung vom 25. November 1983 ergebe.
In dem Verfahren vor dem FG erklärte das FA, daß es dem Beschwerdegegner ,,nunmehr in sinngemäßer Auslegung seines Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung Vollstreckungsaufschub hinsichtlich der gesamten . . . Rückstände bis zur Erteilung eines Abrechnungsbescheides" gewährt habe. Der Beschwerdegegner erklärte daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das FA widersprach der Erledigungserklärung mit der Begründung, der Antrag auf einstweilige Anordnung sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Das FG entschied, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei und daß das FA die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. In den Gründen führt das FG aus: Es gehe davon aus, daß der Antrag auf einstweilige Anordnung zulässig sei. Das Rechtsschutzbedürfnis sei zu bejahen. Obwohl der Beschwerdegegner im Abrechnungsstreit jegliche Steuerschuld bestritten habe, habe das FA noch kurz vor Stellung des Antrags auf einstweilige Anordnung eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme gegen den Beschwerdegegner getroffen.
Das FA legte gegen den Beschluß des FG im wesentlichen mit folgender Begründung Beschwerde ein: Das FG sei fälschlicherweise davon ausgegangen, daß der ursprünglich gestellte Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung durch einstweilige Anordnung zulässig sei. Eine einstweilige Anordnung nach § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dürfe nur eine einstweilige Regelung enthalten und nicht das Ergebnis des Hauptprozesses vorwegnehmen oder diesem endgültig vorgreifen. Der gestellte Antrag, jegliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Beschwerdegegner einzustellen, enthalte ein Begehren, das auf eine endgültige Regelung gerichtet sei. Der Beschwerdegegner strebe in Wirklichkeit einen Vollstreckungsaufschub i. S. des § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) an und hätte zunächst den hierfür vorgesehenen Antrag beim FA stellen müssen. Im übrigen sei die einstweilige Anordnung auch deshalb unzulässig, weil die beantragte Vollstreckungseinstellung i. S. des § 258 AO 1977 eine Ermessensentscheidung beinhalte und die erstrebte Regelung einen unzulässigen Vorgriff auf das Hauptverfahren darstelle.
Das FA beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und den Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen.
Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.Er führt aus, abweichend von der Darlegung des FA habe er im Verfahren vor dem FG beantragt, jegliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ihm gegenüber einzustellen, bis das FA ihm gegenüber ordnungsgemäß abgerechnet habe. Dieser Antrag sei nicht auf eine endgültige Regelung gerichtet gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Zutreffend hat das FG eine Entscheidung darüber getroffen, ob der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Nachdem allein der Beschwerdegegner als Rechtsbehelfsführer (Antragsteller) den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und das FA dieser Erklärung widersprochen hatte, beschränkte sich der Streit auf die Erledigungsfrage (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 19. Januar 1971 VII R 32/69, BFHE 101, 201, BStBl II 1971, 307).
Dagegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, die Entscheidung über die Erledigungsfrage hätte deshalb nicht ergehen dürfen, weil der Antrag auf einstweilige Anordnung unzulässig sei. Auf die Frage, ob die Entscheidung hätte ergehen dürfen, wenn der Antrag auf einstweilige Anordnung von vornherein unzulässig gewesen wäre (vgl. dazu Urteil des erkennenden Senats vom 9. August 1977 VII R 123/74, BFHE 122, 443, BStBl II 1977, 697), kommt es im Streitfall nicht an. Denn gegen die Zulässigkeit des Antrags auf einstweilige Anordnung bestehen keine Bedenken.
Der Auffassung des FA, der Beschwerdegegner habe mit der einstweiligen Anordnung eine endgültige Regelung angestrebt, kann nicht gefolgt werden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die beantragte einstweilige Anordnung so hätte behandelt werden müssen, als sei sie auf eine endgültige Regelung gerichtet, wenn das Begehren des Beschwerdegegners dahin zu deuten wäre, daß er eine einstweilige Einstellung der Vollstreckung nach § 258 AO 1977 mit der Begründung angestrebt hätte, die Vollstreckung sei unbillig. Von einem solchen Begehren des Beschwerdegegners kann aber nicht ausgegangen werden. Den Ausführungen des Beschwerdegegners ist vielmehr zu entnehmen, daß er Zwangsvollstreckungsmaßnahmen deshalb nicht mehr für gerechtfertigt gehalten hat, weil er der Auffassung war, die Steueransprüche seien durch Zahlungen, Verrechnungen und durch Verwertung von gepfändeten Gegenständen erloschen gewesen. Waren die Steueransprüche erloschen, so hatte der Beschwerdegegner - ohne Rücksicht auf die Frage, ob die Vollstreckung unbillig ist - nach § 257 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 einen Anspruch auf Einstellung der Zwangsvollstreckung. Es ist demnach davon auszugehen, daß der Beschwerdegegner eine einstweilige Anordnung in bezug auf diesen Streitgegenstand - also auf den Anspruch nach § 257 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 - angestrebt hat.
Der Beschwerdegegner weist aber auch mit Recht darauf hin, daß er nicht eine endgültige Einstellung der Vollstreckung durch einstweilige Anordnung begehrt hat. Er hat ausdrücklich beantragt, die Vollstreckung einzustellen, bis ihm gegenüber ordnungsgemäß abgerechnet worden sei. Daraus folgt, daß das FA durch einstweilige Anordnung lediglich gezwungen werden sollte, bis zum Erlaß eines Abrechnungsbescheids von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen. Damit hat der Beschwerdegegner lediglich eine vorläufige und nicht eine endgültige Maßnahme nach § 257 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 durch einstweilige Anordnung angestrebt.
Mit dem Einwand, die beantragte Vollstreckungseinstellung wäre eine Ermessensentscheidung gewesen, kann das FA schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 257 AO 1977 - anders als die einstweilige Einstellung der Vollstreckung nach § 258 AO 1977 - nicht in das Ermessen der Verwaltung gestellt ist.
Das FG hat den Rechtsstreit auch zu Recht als in der Hauptsache erledigt angesehen, nachdem das FA eine Erklärung dahin abgegeben hatte, daß weitere Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Beschwerdegegner bis zur Erteilung eines Abrechnungsbescheids nicht getroffen würden.
Fundstellen
Haufe-Index 413748 |
BFH/NV 1986, 749 |