Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung: Stellung eines Investitionszulagenantrags beim unzuständigen FA, höhere Gewalt
Leitsatz (NV)
1. Die Rechtsfrage, ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn der Anspruchsberechtigte den Antrag auf Investitionszulage beim unzuständigen Finanzamt gestellt hat, die Unzuständigkeit für das Finanzamt bei gehöriger Prüfung erkennbar gewesen und die Frist bei Weiterleitung an das zuständige Finanzamt gewahrt worden wäre, ist im Revisionsverfahren nicht klärbar, wenn der Anspruchsberechtigte den Wiedereinsetzungsantrag erst nach Ablauf der Jahresfrist gestellt hat und die Antragstellung nicht vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
2. Eine Fristversäumung aufgrund höherer Gewalt kann nach der Rechtsprechung des BVerfG vorliegen, wenn der Antragsteller durch das Verhalten der Behörde von der fristgerechten Antragstellung abgehalten wird, sofern er selbst die größtmögliche, zumutbare Sorgfalt hat walten lassen.
3. Keine höhere Gewalt ist anzunehmen, wenn der sachkundig vertretene Antragsteller den Antrag auf Investitionszulage nicht bei dem dafür zuständigen Wohnsitz-Finanzamt stellt und für das Finanzamt aus dem Antragsformular nicht ohne weiteres erkennbar ist, dass der Antragsteller seinen Wohnsitz nicht im Bezirk dieses Finanzamts hat.
Normenkette
AO 1977 § 110 Abs. 1, 3; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Gründe
Von der Darstellung des Sachverhalts sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab.
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfene Rechtsfrage, ob eine Wiedereinsetzung gemäß § 110 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) dann in Betracht komme, wenn ein Antrag auf Investitionszulage beim unzuständigen Betriebsstätten-Finanzamt eingereicht worden sei, dieser Irrtum bei gehöriger Prüfung für das Finanzamt (FA) erkennbar gewesen sei und bei Weiterleitung des Antrages an das zuständige FA die Frist gewahrt worden wäre, könnte in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Denn die Wiedereinsetzung scheitert jedenfalls daran, dass die Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO 1977 zum Zeitpunkt der Antragstellung verstrichen war. Diese Jahresfrist gilt nur dann nicht, wenn die versäumte Handlung infolge höherer Gewalt innerhalb dieser Frist nicht nachgeholt werden konnte.
2. Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu erwartenden Sorgfalt nicht verhindert werden konnte. Es muss sich um ein von außen kommendes Ereignis, das vom Betroffenen nicht zu beherrschen war, handeln; es umfasst auch die sog. unabwendbaren Zufälle.
Hierzu gehört nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auch ein Umstand, der dem Beteiligten die rechtzeitige Vornahme einer fristgebundenen Handlung unzumutbar macht und damit aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Bereich der höheren Gewalt zuzuordnen ist (BVerfG-Beschluss vom 18. Dezember 1985 2 BvR 1167, 1185, 1636/84, 308/85, und 2 BvQ 18/84, BVerfGE 71, 305, 347; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. Februar 2001 VII R 59/99, BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506). Absolute Unmöglichkeit setzt höhere Gewalt jedenfalls nicht voraus. Sie verlangt lediglich, dass der Betroffene die größte nach den Umständen von ihm unter Berücksichtigung objektiver Maßstäbe vernünftigerweise zu erwartende und ihm zumutbare Sorgfalt walten lässt (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 30. Oktober 1997 3 C 35.96, BVerwGE 105, 288). Demgemäß kann nach der Rechtsprechung des BFH höhere Gewalt auch vorliegen, wenn ein Verfahrensbeteiligter durch ein Verhalten des Gerichts oder einer Behörde von einer fristgerechten Verfahrenshandlung abgehalten wird.
Allerdings entschuldigt mangelnde Rechtskenntnis des Beteiligten eine Fristversäumnis in der Regel nicht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige sachkundig vertreten ist.
3. Höhere Gewalt liegt im Streitfall nicht vor. Es mag für das FA erkennbar gewesen sein, dass es für die Bearbeitung des Antrags nicht zuständig gewesen war. Dies war jedoch nicht so offenkundig, dass die Nichtweiterleitung des Antrags als treuwidrig zu beurteilen wäre (vgl. Beschluss des BVerfG vom 2. September 2002 1 BvR 476/01, Neue Juristische Wochenschrift 2002, 3692). Da sich aus dem Gesetz ergibt, dass der Antrag auf Investitionszulage beim Wohnsitz-FA zu stellen ist, und im Antragsformular darauf hingewiesen wird, wäre es für den sachkundig vertretenen Kläger auch erkennbar gewesen, dass der Antrag bei seinem Wohnsitz-FA zu stellen war.
Fundstellen
Haufe-Index 1293388 |
BFH/NV 2005, 327 |