Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung des Klagerechts auch bei Annahme eines wesentlichen Zustellungsmangels mit Eintritt der Festsetzungsverjährung
Leitsatz (NV)
Ein Rechtssatz des Inhalts: "Das Klagerecht kann auch dann verwirkt werden, wenn das Finanzamt weiß, daß der Steuerpflichtige die Veranlagung nicht bestandskräftig werden lassen will und auch für die Vorjahre und die nachfolgenden Jahre Klagen zur Verhinderung des Eintritts der Bestandskraft erhoben hat, so daß dem Finanzamt bekannt sein muß, daß die nicht erfolgte Klageerhebung nur auf unrichtiger Einschätzung des Verfahrensumstands beruhen kann", betrifft keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, sondern nur die Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls.
Normenkette
FGO § 55 Abs. 2, § 56 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 1; AO 1977 § 110 Abs. 3, § 356 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine der Aufstellgesellschaften eines Geldspielgerätevermieters und Herstellers solcher Geräte.
Gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre 1985 bis 1987 legte die Klägerin Einsprüche ein. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hob mit Bescheiden vom 2. Januar 1991 den Vorbehalt der Nachprüfung für diese Steuerfestsetzungen auf. Die Bescheide wurden an den in den Briefbögen der Klägerin bezeichneten Firmensitz der Klägerin übersandt, ebenso die Einspruchsentscheidung vom 13. Februar 1991 mit Postzustellungsurkunde.
Nach Veröffentlichung des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 5. Mai 1994 Rs. C-38/93 (BStBl II 1994, 548) wurden die Klägervertreter anläßlich einer Unterredung beim FA darauf hingewiesen, daß für die Streitjahre bereits Bestandskraft eingetreten sei.
Am 22. August 1994 erhob die Klägerin Klage und beantragte Wiedereinsetzung in die Klagefrist mit der Begründung, sie sei versehentlich davon ausgegangen, daß die Steuerfestsetzungen noch unter Vorbehalt der Nachprüfung gestanden hätten.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab mit der Begründung, die Klagefrist sei versäumt; Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren. In einer der Begründungsalternativen führte das FG aus, selbst bei Annahme wesentlicher Zustellungsmängel wäre das Klagerecht -- in Anwendung des Rechtsgedankens der §55 Abs. 2, §56 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und §110 Abs. 3, §356 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) -- jedenfalls verwirkt (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 3. Dezember 1975 I R 144/74, BFHE 117, 350, BStBl II 1976, 194), also nach Ablauf eines Jahres nach unstreitiger Empfangnahme der Einspruchsentscheidung durch die Klägerin, spätestens aber mit Eintritt der Festsetzungsverjährung (31. Dezember 1993).
Wiedereinsetzung scheide aus, weil bei Klageerhebung am 22. August 1994 die Zwei- Wochen-Frist des §56 Abs. 2 FGO abgelaufen gewesen sei. Darüber hinaus sei jedenfalls die Jahresfrist gemäß §56 Abs. 3 FGO abgelaufen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 387 veröffentlicht.
Die Klägerin beantragt mit der Beschwerde Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, Abweichung und Verfahrensmangels (§115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO).
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Eine Zulassung der Revision ist durch die vorgetragenen Gründe nicht gerechtfertigt.
Hinsichtlich der vom FG angenommenen Verwirkung des Klagerechts macht die Klägerin geltend, das FG lege seiner Entscheidung folgenden Rechtssatz zugrunde: "Das Klagerecht kann auch dann verwirkt werden, wenn das Finanzamt weiß, daß der Steuerpflichtige die Veranlagung nicht bestandskräftig werden lassen will und auch für die Vorjahre und die nachfolgenden Jahre Klagen zur Verhinderung des Eintritts der Bestandskraft erhoben hat, so daß dem Finanzamt bekannt sein muß, daß die nicht erfolgte Klageerhebung nur auf unrichtigen Einschätzungen des Verfahrensumstands beruhen kann." Diese Rechtsfrage sei bisher höchstrichterlich nicht entschieden worden. Sie habe eine weit über den vorliegenden Fall hinausgehende Bedeutung.
Abgesehen davon, daß das Urteil einen so formulierten Rechtssatz nicht enthält, ergibt auch der von der Klägerin formulierte Rechtssatz keine Rechtsfrage, die das (abstrakte) Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt und damit "grundsätzliche Bedeutung" hat (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, §115 Rz. 7, m. N.). Es handelt sich um nur die besonderen Fragen des Einzelfalles betreffende Umstände und deren Würdigung.
Auf die weiter geltend gemachten Zulassungsgründe braucht der Senat nicht einzugehen. Sie betreffen Fragen der Zustellung, die das FG bei seinen anderen Begründungsalternativen abgehandelt hat. Diese weiteren Zulassungsgründe sind in einem künftigen Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich, weil das FG-Urteil jedenfalls von der Begründungsalternative der Versäumung der Klagefrist, die nicht wirksam angegriffen wurde (s. o.), getragen wird (vgl. Gräber/Ruban, a. a. O., §115 Rz. 11, 21, 34).
Im übrigen ergeht die Entscheidung ohne Wiedergabe von Gründen (Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).
Fundstellen