Entscheidungsstichwort (Thema)
Folgen der Änderung des angegriffenen Steuerbescheids im Aussetzungsverfahren
Leitsatz (NV)
1. Für das finanzgerichtliche Aussetzungsverfahren wird § 68 FGO entsprechend angewandt, und zwar auch dann, wenn die Hauptsache sich noch im Vorverfahren (hier Einspruchsverfahren) befindet und der Änderungsbescheid Gegenstand dieses Hauptverfahrens geworden ist.
2. Hat der Antragsteller i. S. d. § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO beim Erlaß eines Änderungsbescheids keinen Antrag entsprechend § 68 FGO gestellt und hat das Gericht deshalb über die Aussetzung der Vollziehung des geänderten Bescheids entschieden, dann kann er nicht erneut einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Änderungs bescheids gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO stellen.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, 6
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) betreibt ein Unternehmen. Zur Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen beauftragt die Antragstellerin Subunternehmer. Unter Berufung auf Er kenntnisse der Finanzverwaltung, der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes erkannte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) in einer Reihe von Fällen den Abzug der der Antragstellerin von angeblichen Subunternehmern in Rechnung gestellten Beträge als Betriebsausgaben nicht an. Durch geänderte Gewinnfeststellungsbescheide vom 13. April 1992 erhöhte das FA den Gewinn der Antragstellerin für die Streitjahre um die Beträge der Subunternehmerrechnungen der A-GmbH um 255 789 DM (1989) und 102 037 DM (1990).
Nachdem die Antragstellerin Einspruch eingelegt hatte, setzte das Finanzgericht (FG) auf ihren Antrag hin die Vollziehung der streitigen Bescheide durch Beschluß vom 16. Oktober 1992 ... in Höhe von 255 789 DM (1989) und 102 037 DM (1990) aus. Auf die Beschwerde des FA hin hob der Senat im Beschluß vom 6. Oktober 1993 (VIII B 122/92, BFH/NV 1994, 173) den Beschluß des FG auf und lehnte die Aussetzung der Vollziehung ab.
Vor der Beschwerdeentscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) hatte das FA die Ge winnfeststellungsbescheide für die Jahre 1989 und 1990 durch die Bescheide vom 4. Juni 1993 geändert und den Gewinn um weitere 1 125 502 DM (1989) und 1 483 692 DM (1990) erhöht. Diese Gewinnerhöhung beruhte auf der Nichtanerkennung von an geblichen Zahlungen an die A-GmbH (300 550 DM statt bisher 255 789 DM bzw. 120 403 DM statt bisher 102 037 DM) sowie an weitere Firmen als Betriebsausgaben.
Nunmehr beantragt die Antragstellerin, die Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 1989 und 1990 vom 4. Juni 1993 für 1989 in Höhe eines Betrags von 1 381 502 DM und für 1990 in Höhe eines Betrags von 1 585 729 DM von der Vollziehung auszusetzen.
Das FG setzte die Vollziehung der streitigen Bescheide im gewünschten Umfang gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und ferner gemäß § 69 Abs. 6 FGO aus, soweit die Subunternehmerrechnungen der A-GmbH betroffen waren.
Das FG hat die Beschwerde zugelassen. Das FA hat Beschwerde eingelegt. Es ist der Ansicht, der Antrag sei weder zulässig noch begründet.
Die Antragstellerin beantragt, die Be schwerde zurückzuweisen.
Sie hält den Änderungsantrag für zulässig. Der Antrag sei nur teilweise ein Änderungsantrag. Entscheidend sei nicht, daß ein Än derungsbescheid erlassen worden sei. Entscheidend sei vielmehr der Umstand, daß in diesem Bescheid den Zahlungen an sämtliche Subunternehmer der Betriebsausgabenabzug versagt worden sei. Daß die Betriebsausgabenkürzung sämtliche Subunternehmerleistungen betraf, sei jedenfalls dem BFH nicht bekannt gewesen. Es habe keine Veranlassung bestanden, auf diesen Um stand im ursprünglichen Verfahren besonders hinzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Gewinnfeststellungsbescheide 1989 und 1990 vom 4. Juni 1993 gemäß § 69 Abs. 3 und 6 FGO kann keinen Erfolg haben.
1. Er ist allerdings zu Recht beim FG als dem Gericht der Hauptsache gestellt worden (§ 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 FGO). Das FG ist Gericht der Hauptsache auch dann, wenn Klage noch nicht erhoben worden ist (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO; BFH-Beschlüsse vom 5. Februar 1985 VIII S 11/84, BFH/NV 1986, 108; vom 10. De zember 1993 I B 207/93, nicht veröffentlicht -- NV --; vgl. auch Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 69 Rdnr. 125). Das FG als Gericht der Hauptsache ist auch für die Aufhebung der Be schwerdeentscheidung des BFH zuständig (BFH-Beschluß vom 21. August 1975 VIII S 9/75, BFHE 116, 528, BStBl II 1976, 21).
2. Ändert das FA während des Einspruchsverfahrens den angefochtenen Steuerbescheid durch Erlaß eines Änderungsbescheids, wird dieser gemäß § 365 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Der geänderte Bescheid geht in dem neuen Bescheid auf und verliert seine Wirkung (BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, zu III. 4.). So war es im Streitfall, denn über den Einspruch der Antragstellerin ist noch nicht entschieden. Die Gewinnfeststellungsbescheide 1989 und 1990 vom 13. April 1992 wurden durch die Bescheide vom 4. Juni 1993 geändert, zu einem Zeitpunkt also, zu dem § 365 Abs. 3 AO 1977 bereits in Kraft getreten war (vgl. Steuerbereinigungsgesetz vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436, 2441, 2459).
Für das außergerichtliche Aussetzungsverfahren gemäß § 361 AO 1977 gibt es keine besondere gesetzliche Regelung für den Fall, daß ein Änderungsbescheid den angegriffenen Bescheid ersetzt. Auch das finanzgerichtliche Verfahren -- darunter das finanzgerichtliche Aussetzungsverfahren gemäß § 69 FGO -- kennt eine dem § 365 Abs. 3 AO 1977 entsprechende Vorschrift nicht. Wird während des finanzgerichtlichen Verfahrens ein Änderungsbescheid erlassen, gilt § 68 FGO, d. h., der Änderungsbescheid wird nur dann Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens, wenn der Kläger dies beantragt.
Für das finanzgerichtliche Aussetzungsverfahren wird § 68 FGO entsprechend angewandt, und zwar auch dann, wenn die Hauptsache sich noch im Vorverfahren (hier Einspruchsverfahren) befindet (BFH- Beschluß vom 29. April 1971 V B 71/70, BFHE 102, 429, BStBl II 1971, 632; BFH- Urteil vom 5. November 1971 IV R 242/70, BFHE 103, 546, BStBl II 1972, 218) und der Änderungsbescheid Gegenstand dieses Hauptverfahrens geworden ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29. September 1976 I B 15/76, BFHE 120, 139, BStBl II 1977, 37, zu 2. b; vom 6. November 1987 III B 101/86, BFH/NV 1988, 312; vom 25. Mai 1988 IX B 110/86, BFH/NV 1989, 176). Im Streitfall hatte die Antragstellerin auch im ursprünglichen Aussetzungsverfahren gegen die Gewinnfeststellungsbescheide 1989 und 1990 vom 13. April 1992 die Möglichkeit, durch einen Antrag entsprechend § 68 FGO die Änderungsbescheide vom 4. Juni 1993 zum Gegenstand des Aussetzungsverfahrens vor dem BFH zu machen. Das hat sie jedoch nicht getan, sondern vielmehr vor dem BFH die Aussetzung der Vollziehung der ursprünglichen Bescheide vom 13. April 1992 beantragt.
Nachdem das ursprüngliche Aussetzungsverfahren mit dem Beschluß des FG vom 16. Oktober 1992 und dem Beschluß des BFH vom 6. Oktober 1993 (VIII B 122/92) abgeschlossen wurde, ist der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Änderungsbescheide vom 4. Juni 1993 gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO nicht mehr zulässig.
Die sachkundig vertretene Antragstellerin hat hier von der prozessualen Möglichkeit, zu einer Entscheidung über die Aussetzung der Änderungsbescheide zu gelangen, ohne erkennbaren Grund keinen Gebrauch gemacht. Sie hat ohne Rechtsschutzbedürfnis den Beschluß vom 6. Oktober 1993 erwirkt, der von Anfang an gegenstandslos war, nachdem mit den Änderungsbescheiden vom 4. Juni 1993 die ursprünglichen Bescheide vom 13. April 1992 ihre Wirkung verloren hatten (vgl. dazu BFH- Beschluß in BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, zu III. 3.; ferner Beschluß des FG Baden-Württemberg in Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1982, 313). Sie kann nicht besser gestellt werden als ein Beteiligter, der den Antrag gemäß § 68 FGO rechtzeitig gestellt hat. Dieser hätte eine Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung der Änderungsbescheide er wirkt, die nur unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO hätte aufgehoben oder geändert werden können.
3. Wie sich aber aus § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO ergibt, setzt eine Änderung des gerichtlichen Beschlusses nach dieser Vorschrift veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände voraus. Insofern haben sich zunächst durch Art. 3 § 7 Abs. 2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit und dann durch die Änderung des § 69 Abs. 3 FGO sowie die Einführung des Abs. 6 die Voraussetzungen eines Antrags auf Änderung des gerichtlichen Aussetzungsbeschlusses geändert. Dem BFH-Beschluß vom 23. Januar 1985 I S 4/84 (BFH/NV 1987, 385) ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen (vgl. BFH-Beschluß vom 23. Juli 1990 IV B 60/89, BFH/NV 1991, 699). Es kann daher dahinstehen, ob das Begehren der Antragstellerin rechtsmißbräuchlich ist (zu dieser Voraussetzung noch BFH-Beschluß vom 24. Oktober 1968 IV B 40/68, BFHE 93, 543, BStBl II 1969, 40).
Soweit die Antragstellerin in diesem Verfahren auch eine Änderung des BFH- Beschlusses vom 6. Oktober 1993 (VIII B 122/92) erstrebt, kann dies allenfalls in entsprechender Anwendung des § 69 Abs. 6 FGO geschehen. § 69 Abs. 6 FGO geht von einem wirksamen Beschluß des Gerichts aus; im Streitfall handelt es sich aber bei dem BFH-Beschluß um einen wirkungslosen Beschluß, der eine begrenzte Wirkung allenfalls insofern hat, als er einem erneuten Antrag auf Aussetzung der Änderungsbescheide unter den hier gegebenen besonderen Umständen entgegenstehen kann.
4. Die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO sind hier ebenfalls nicht gegeben. Es liegen keine veränderten Umstände im Sinne dieser Vorschrift vor, d. h., die vorgetragenen Tatsachen und Beweismittel sind nicht erst nach dem Aussetzungsbeschluß des BFH entstanden oder bekannt geworden (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Juli 1992 V S 3/90, BFH/NV 1995, 327). Es wird schließlich auch keine geänderte Rechtsprechung geltend gemacht (vgl. dazu Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rdnr. 181).
Den Umstand, daß das FA geänderte Bescheide erlassen hat, hätte die Antragstellerin im ursprünglichen Beschwerdeverfahren (VIII B 122/92) geltend machen können und ihren Antrag entsprechend ändern müssen. Dies allein schon aus dem Grunde, weil eine gerichtliche Entscheidung nach § 69 FGO zur Aussetzung der Vollziehung der geänderten Bescheide keine Wirkung mehr entfalten konnte. Daß auch das FA durch einen eindeutigen Hinweis den überflüssigen Beschluß des BFH hätte verhindern können, entlastet die Antragstellerin nicht.
Wenn daneben ein Umstand i. S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO darin liegen sollte, daß das FA in den Änderungsbescheiden vom 4. Juni 1993 den Gewinn der Antragstellerin deshalb erhöhte, weil es alle Zahlungen an die angeblichen Subunternehmer nicht zum Abzug zuließ, so hätte die Antragstellerin auch diesen Umstand im ursprünglichen Verfahren vortragen können. Entgegen der Ansicht des FG entfiel diese Möglichkeit nicht deshalb, weil die Antragstellerin nicht im vorhinein wußte, auf welche Gründe das Beschwerdegericht seine Entscheidung stützen würde. Schon aufgrund der Vielfalt der Argumentationsansätze des FA war es geboten, Tatsachen und Argumente in diesem summarischen Verfahren möglichst erschöpfend vorzutragen (vgl. auch BFH-Beschluß vom 22. Juli 1986 VII B 149/85, BFH/NV 1987, 258).
Soweit die Antragstellerin neue rechtliche Gesichtspunkte vorträgt, können diese nach dem Gesetzeszweck des § 69 Abs. 6 FGO grundsätzlich nicht zu einer Änderung des ursprünglichen Senatsbeschlusses führen (ausführlich Hessisches FG, Beschluß vom 11. Oktober 1990 -- 10 V 3789/88, EFG 1991, 141; Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rdnr. 181; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 69 FGO Rdnr. 33). Die BFH- Beschlüsse in BFHE 93, 543, BStBl II 1969, 40 und vom 1. Juli 1981 I S 4/81 (NV), die noch von der uneingeschränkten Änderungsmöglichkeit nach der früheren Fassung des § 69 Abs. 3 FGO ausgehen, sind insoweit überholt. Abgesehen davon hätte die Antragstellerin die rechtlichen Gesichtspunkte bereits im ursprünglichen Verfahren vortragen können, sofern sie mit der Ablehnung aller geltend gemachten Aufwendungen an die angeblichen Sub unternehmer zusammenhängen.
5. Der Senat hält es auch nicht für gerechtfertigt, den im ursprünglichen Verfahren ergangenen Beschluß auf Anregung der Antragstellerin gemäß § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO von Amts wegen zu ändern. Eine Än derung von Amts wegen aufgrund der von der Antragstellerin geltend gemachten Gründe, die den Anforderungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht genügen, würde dem Zweck des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zuwiderlaufen (BFH-Beschluß vom 7. Juli 1992 V S 3/90, NV).
Fundstellen
Haufe-Index 420336 |
BFH/NV 1995, 611 |