Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung; Verfahrensfehler; gemeinschaftliches Versandverfahren
Leitsatz (NV)
1. Die Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer Norm entbindet nicht von der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage in der Nichtzulassungsbeschwerde.
2. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht deswegen offenkundig, weil ein Verstoß der Vorschriften über das gemeinschaftliche Versandverfahren gegen das Grundgesetz behauptet wird.
3. Zur ausreichenden Bezeichnung der Verfahrensfehler mangelnder Sachverhaltsaufklärung und der Verletzung rechtlichen Gehörs.
Normenkette
EWGVtr Art. 235; EWGV 222/77; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), die ein Speditionsunternehmen betreibt, ließ im Januar 1992 als Hauptverpflichtete drei externe Versandverfahren (T 1) für den Versand von Zigaretten bzw. Spirituosen nach Polen eröffnen. Nachdem die Rückscheine nicht eingegangen und auch Eintragungen im Gestellungsbuch der Bestimmungsstellen nicht zu ermitteln waren, setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt -- HZA --), der die von der Klägerin vorgelegten Eingangsbescheinigungen für gefälscht hielt, Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und Tabak- bzw. Branntweinsteuer fest.
Das von der Klägerin angerufene Finanzgericht (FG) wies die Klage im ersten Rechtszug ab. Auf die daraufhin eingelegte Revision der Klägerin hob der erkennende Senat das Urteil des FG auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück (Urteil vom 24. September 1996 VII R 107/95, BFH/NV 1997, 452). Die Klägerin blieb auch im zweiten Rechtszug bei ihrer Behauptung, daß die Waren ausweislich der vorgelegten Eingangsbescheinigungen bei der Bestimmungsstelle wieder gestellt worden seien.
Nachdem die vom FG durchgeführte Beweisaufnahme ergeben hatte, daß die Eingangsbescheinigungen gefälscht waren, kam das FG zu dem Ergebnis, daß die Klägerin Schuldnerin des Zoll-EURO, der Einfuhrumsatzsteuer und der Tabak- bzw. Branntweinsteuer in der festgesetzten Höhe geworden sei. Die Abgabenschulden seien nicht aufgrund des Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Anstrich 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 des Rates vom 13. Juli 1987 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- 1987 Nr. L 201/15) entfallen. Es liege weder ein Fall der Vernichtung noch des unwiederbringlichen Verlorengehens vor. Die Klägerin sei auch nicht nach Art. 34 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 222/77 (VersandVO) des Rates vom 13. Dezember 1976 (ABlEG 1977 Nr. L 38/1) von der Entrichtung der Abgaben zu befreien, weil die Waren nicht als im Sinne dieser Vorschrift untergegangen zu betrachten seien. Die Bescheide seien des weiteren nicht deswegen rechtswidrig, weil sie aufgrund einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage ergangen seien. Die ZollschuldVO und die zu deren Durchführung erlassene Verordnung (EWG) Nr. 597/89 der Kommission vom 8. März 1989 (ABlEG Nr. L 65/11) seien im Rahmen von Art. 235 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) ergangen, der nicht gegen Art. 24 des Grundgesetzes (GG) verstoße. Die erst in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Zweifel der Klägerin an der Höhe der Abgabenberechnung seien nicht nachzuvollziehen. Anhaltspunkte für die Verfassungswidrigkeit des Versandrechts seien nicht ersichtlich.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin dagegen, daß das FG die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen hat. Sie macht grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und rügt als Verfahrensfehler mangelnde Sachaufklärung (§76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) sowie Verletzung rechtlichen Gehörs (§96 Abs. 1 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG).
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt wird, ist sie unzulässig, weil die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung nicht ausreichend dargelegt hat (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Abgesehen davon, daß es die Klägerin bereits unterlassen hat, eine konkrete Rechtsfrage zu formulieren, die in dem angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden soll (vgl. zu diesem Erfordernis Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rz. 8, 61), reichen auch die Ausführungen, nach denen das gemeinschaftliche Versandverfahren (insgesamt) gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG, die Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 Abs. 1 GG sowie gegen die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG verstoßen soll, nicht aus, um eine grundsätzliche Bedeutung darzulegen.
Auch die Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer Norm entbindet nicht von der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage gemäß §115 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die hiernach erforderliche Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung muß zu erkennen geben, daß eine Entscheidung im angestrebten Revisionsverfahren geeignet ist, im Hinblick auf weitere Streitfälle Rechtsklarheit zu schaffen, zur Wahrung der Rechtseinheit beizutragen oder die Rechtsfortbildung zu fördern. Es muß also erkennbar sein, daß über den konkreten Fall hinaus ein Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts besteht (vgl. dazu u. a. Senatsbeschluß vom 18. August 1992 VII B 227/91, BFH/NV 1993, 312). Die Klägerin hat nicht dargelegt, daß diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind. Sie hat in ihrer Beschwerdeschrift lediglich ihre Auffassung begründet, daß das gemeinschaftliche Versandverfahren gegen die genannten Grundrechte verstoße.
Allerdings ist in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) anerkannt, daß von einer Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer aufgeworfenen Rechtsfrage dann abgesehen werden kann, wenn diese offenkundig ist und das Verlangen, konkrete Angabe zur Grundsätzlichkeit der Sache zu machen, eine unnötige Förmelei bedeuten würde (vgl. u. a. BFH-Beschlüsse vom 9. Mai 1988 IV B 35/87, BFHE 153, 378, BStBl II 1988, 725, und vom 26. Januar 1993 VII B 188/92, BFH/NV 1993, 673).
Im Streitfall ist die grundsätzliche Bedeutung jedoch nicht offenkundig; sie drängt sich nicht auf. Allein daraus, daß die Klägerin einen Verstoß des gemeinschaftlichen Versandverfahrens gegen die angeführten Bestimmungen des GG geltend macht, ergibt sich kein Anspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG auf Zulassung der Grundsatzrevision (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 19. November 1991 2 BvR 1545/91, Neue Juristische Wochenschrift 1992, 224; Senatsbeschluß in BFH/NV 1993, 673). Da das gemeinschaftliche Versandverfahren auf der VersandVO beruht, die als sekundäres Gemeinschaftsrecht aufgrund der in Art. 235 EWGV enthaltenen Verordnungsermächtigung ergangen ist, kann sich die Frage der Verletzung der im GG verbürgten Grundrechte nämlich nur ausnahmsweise stellen, wenn der im GG verbürgte Grundrechtsschutz durch die Gemeinschaftsrechtsordnung nicht in dem erforderlichen Maße gewährleistet ist (vgl. BVerfG, Beschluß vom 22. Oktober 1986 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, und Urteil vom 12. Oktober 1993 2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155). Von solchen in der Rechtsprechung des BVerfG vorgegebenen Ausnahmen abgesehen kann Gemeinschaftsrecht im Regelfall nur im Hinblick auf die Einhaltung der sich aus der Gemeinschaftsrechtsordnung ergebenden Grundrechte -- ggf. aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) -- geprüft werden (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1979 44/79, EuGHE 1979, 3727). Dazu, daß eine Verletzung gemeinschaftsrechtlich verbürgter Grundrechte vorliegen soll, enthält die Beschwerde der Klägerin aber keinerlei Ausführungen. Sie setzt sich folglich auch nicht mit der die Einhaltung solcher Grundrechte betreffenden umfangreichen Rechtsprechung des EuGH auseinander. Ebenso geht die Klägerin nicht auf die Problematik des Verhältnisses zwischen nationalem und gemeinschaftsrechtlichem Grundrechtsschutz ein. Diese notwendige Auseinandersetzung wird nicht dadurch ersetzt, daß sich die Klägerin in ihren Ausführungen hauptsächlich auf den Bericht des vom Europäischen Parlament eingesetzten Untersuchungsausschusses für das gemeinschaftliche Versandverfahren stützt. Dieser zeigt zwar viele Mängel des gemeinschaftlichen Versandverfahrens auf. Daraus läßt sich aber nicht entnehmen, daß das Versandverfahren allgemein gegen durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützte Grundrechte verstößt. Es ist deshalb für den Senat nicht offenkundig, daß im Streitfall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
2. Die Klägerin hat ferner die gerügten Verfahrensfehler nicht ausreichend bezeichnet (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO), so daß die Beschwerde auch insoweit unzulässig ist.
a) Zur ausreichenden Bezeichnung des Verfahrensfehlers (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO) mangelnder Sachverhaltsaufklärung ist es erforderlich, genau anzugeben, welche Beweisanträge das Gericht übergangen hat oder, falls solche Anträge nicht gestellt worden sind, auszuführen, welche Tatsachen das FG auch ohne besonderen Antrag hätte aufklären müssen oder welche Beweise es von Amts wegen hätte erheben müssen (vgl. Gräber/Ruban, a. a. O., §115 Rz. 65, §120 Rz. 40). Diesbezügliche Ausführungen fehlen in der Beschwerdeschrift.
Der Umstand, daß die Klägerin im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung angeblich noch versucht hat, Nachweise dafür beizubringen, daß die Zigaretten in den Niederlanden hergestellt wurden und daß deshalb darauf kaum Zoll-EURO erhoben werden dürfe, reicht zur Bezeichnung des Verfahrensfehlers mangelnder Sachverhaltsaufklärung nicht aus. Im Hinblick darauf, daß die Waren auf ihren (der Klägerin) Antrag hin als Nichtgemeinschaftswaren zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren (T 1) abgefertigt wurden, hätte die Klägerin zumindest im einzelnen ausführen müssen, wann und wodurch sie das FG darauf hingewiesen hat, daß und weshalb Feststellungen in bezug auf den Herstellungsort für die Frage von Bedeutung sein könnten, ob auf die Zigaretten Zoll- EURO zu erheben sei.
b) Soweit die Klägerin die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, weil das FG ihr nicht Gelegenheit gegeben habe, abschließend Stellung zu nehmen, ist auch ein insoweit in Betracht kommender Verfahrensfehler nicht ausreichend i. S. von §115 Abs. 3 Satz 3 FGO bezeichnet. Die Klägerin hätte insoweit substantiiert darlegen müssen, zu welchen Fragen sie noch hätte Stellung nehmen wollen und inwieweit die Entscheidung von ihrer abschließenden Stellungnahme hätte abhängen können (vgl. BFH-Beschluß vom 25. April 1995 II B 7/95, BFH/NV 1995, 914).
Im übrigen hätte die Klägerin wegen ihrer angeblich noch nicht abgeschlossenen Nachforschungen hinsichtlich des Herstellungsortes der Zigaretten in der letzten mündlichen Verhandlung einen Vertagungsantrag stellen müssen, um sich insoweit noch rechtliches Gehör zu verschaffen. Da die Klägerin einen solchen ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 1997 nicht gestellt hat, ist davon auszugehen, daß sie insoweit auf die Geltendmachung der Verletzung eines Rechts auf Gehör verzichtet hat, was nach §155 FGO i. V. m. §295 der Zivilprozeßordnung möglich ist (BFH-Beschluß vom 3. Juni 1992 II B 192/91, BFH/NV 1993, 34).
Fundstellen
Haufe-Index 67251 |
BFH/NV 1998, 984 |