Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzungsfrist für Zinsfestsetzung; grundsätzliche Bedeutung; Divergenz; Verfahrensmängel; fehlende Urteilsgründe; Verletzung des rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
1. Es ist zwischen dem Zinslauf einerseits und dem Beginn der verkürzten Festsetzungsfrist für Aussetzungszinsen andererseits zu unterscheiden.
2. Nach § 237 Abs. 2 Satz 1 AO endet der Zeitraum des Zinslaufs mit dem Tag, an welchem die Aussetzung der Vollziehung endet.
3. Die ‐ auf ein Jahr verkürzte ‐ Frist zur Festsetzung von Aussetzungszinsen beginnt nach § 239 Abs. 1 Nr. 5 AO indes erst, wenn ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist.
4. Eine Entscheidung ist nur dann nicht mit Gründen versehen, wenn diese ganz oder zu einem wesentlichen Teil fehlen sowie wenn das FG einen selbstständigen Anspruch oder ein selbstständiges Verteidigungsmittel übergangen hat.
5. Hingegen berechtigt die Rüge einer zu kurzen, lücken- oder fehlerhaften Begründung nicht zur Zulassung der Revision.
6. Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet das Recht der Beteiligten, sich zur Sache zu äußern und für das Gericht die Pflicht, entscheidungserhebliches Vorbringen sowie Beweisanträge zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.
7. Die Pflicht des Gerichts geht allerdings nicht soweit, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Insbesondere bedeutet der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, dass das Gericht den Kläger auch “erhören” müsste.
Normenkette
AO § 237 Abs. 2 S. 1, § 239 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 Nr. 5; FGO § 96 Abs. 2, § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 119 Nr. 6; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.06.2006; Aktenzeichen 1 K 1107/06) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargetan (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
1. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
a) Soweit die Kläger Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend machen, wird damit kein Zulassungsgrund dargetan. Von vornherein unbeachtlich sind Einwände gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die nur im Rahmen einer Revisionsbegründung erheblich sein können; denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Januar 2006 VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799, m.w.N.).
Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärbar ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit den ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen. Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen (BFH-Beschluss vom 19. Januar 2006 VIII B 114/05, BFH/NV 2006, 709, m.w.N.).
b) Die Kläger haben indes keinen Klärungsbedarf hinsichtlich der von ihnen aufgeworfenen Fragen hinreichend substantiiert dargetan. Die Rechtsfragen sind ausweislich der auch vom Finanzgericht (FG) herangezogenen gesetzlichen Regelung so zu entscheiden, wie dies im angefochtenen Urteil geschehen ist.
Danach ist gemäß § 237 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) einerseits zwischen dem Zeitraum des Zinslaufs, der mit dem Tag, an welchem die Aussetzung der Vollziehung (AdV) endet, ebenfalls beendet wird (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juli 1994 X R 33/91, BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom 7. November 1994 VI B 95/94, BFH/NV 1995, 563, m.umf.N.; vom 14. Oktober 1998 IV B 103/97, BFH/NV 1999, 447, betreffend Aufrechnung; vom 7. Juli 1994 XI B 3/94, BFHE 174, 486, BStBl II 1994, 785; ferner Heuermann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler --HHSp--, § 237 AO Rz 28; Schwarz in Schwarz, AO, § 237 Rz 13) und dem Beginn der auf ein Jahr verkürzten Festsetzungsfrist nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO für die Festsetzung von Aussetzungszinsen zu unterscheiden, die nach § 239 Abs. 1 Nr. 5 AO in den Fällen des § 237 mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist, zu laufen beginnt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4, dort auch insgesamt zu den Voraussetzungen; vom 9. Dezember 1998 XI R 24/98, BFHE 187, 400, BStBl II 1999, 201; zustimmend das Schrifttum, vgl. z.B. Heuermann in HHSp, § 239 AO Rz 14; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 239 Rz 8; Kögel in Beermann/Gosch, AO, § 239 Rz 24, Schwarz, a.a.O., § 239 Rz 8).
Ein vor Abschluss des zugrunde liegenden Rechtsbehelfsverfahrens ergangener Bescheid über Aussetzungszinsen ist sogar rechtswidrig (vgl. Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 5. Februar 1999 3 K 2535/96, juris). Der Anspruch auf Zinsen wegen AdV entsteht auch dann insgesamt erst nach endgültiger Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs, wenn die Aussetzungsverfügung schon zuvor aufgehoben worden war (vgl. Urteil des FG Hamburg vom 2. Dezember 1994 V 168/93, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1996, 5; ebenfalls Heuermann in HHSp, § 237 AO Rz 18, m.w.N.; Kögel in Beermann/Gosch, a.a.O., § 237 AO Rz 21).
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser gefestigten Rechtsprechung, der auch das Schrifttum, soweit ersichtlich, ganz überwiegend zustimmt, fehlt vollständig, um einen eventuellen Meinungsstreit überhaupt erkennbar zu machen, der noch einer weiteren höchstrichterlichen Klärung bedürfte.
2. Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
a) Dieser Zulassungsgrund in § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO umfasst sowohl die Divergenzrüge als auch den Ausnahmefall eines sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers.
Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidung sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung erkennbar zu machen. Darüber hinaus ist insbesondere auch auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 799, m.w.N.).
b) Die Kläger haben keine Abweichung des angefochtenen Urteils des FG von irgendeiner gerichtlichen Entscheidung dargetan, sondern, was allerdings keine Divergenz begründet, lediglich eine vermeintliche Nichtübereinstimmung mit Kommentarmeinungen.
c) Einen sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehler, der ausnahmsweise die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO erfordert, haben die Kläger weder schlüssig dargetan, noch sind angesichts der Würdigung des Sachverhalts durch das FG hierfür Anhaltspunkte ersichtlich.
Für einen derartigen Mangel eines angefochtenen Urteils kommen nur offensichtliche materielle oder formelle Fehler des FG im Sinne einer willkürlichen Entscheidung in Betracht. Dazu reicht indes nicht eine bloß fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles aus (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 799, m.w.N.).
3. Verfahrensmangel
a) Wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf Verfahrensmängel gestützt, so bedarf es hierfür eines Vortrags der Tatsachen, die den gerügten Verfahrensmangel schlüssig ergeben. Außerdem muss dargelegt werden, dass die angefochtene Entscheidung --ausgehend von der insoweit maßgebenden, ggf. sogar unrichtigen materiell-rechtlichen Auffassung des FG-- auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann (BFH-Beschluss vom 25. August 2006 VIII B 13/06, BFH/NV 2006, 2122, m.w.N.).
b) Sinngemäß machen die Kläger geltend, das Urteil sei nicht i.S. von § 119 Nr. 6 FGO mit Gründen versehen bzw. ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei dadurch verletzt worden, dass das FG sich nicht ausdrücklich mit den in der Klageschrift angeführten Kommentarstellen in den Entscheidungsgründen auseinandergesetzt habe.
c) Das FG hat indes entsprechend seiner zutreffenden Rechtsauffassung und insbesondere in Übereinstimmung mit der unter 1. zitierten Rechtsprechung die Zinsbescheide als rechtmäßig bestätigt.
Eine Entscheidung i.S. des § 119 Nr. 6 FGO ist nur dann nicht mit Gründen versehen, wenn diese ganz oder zu einem wesentlichen Teil fehlen sowie wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Verteidigungsmittel übergangen hat. Die Rüge einer zu kurzen, lücken- oder fehlerhaften Begründung berechtigt hingegen nicht zu einer Zulassung einer Revision. Der Sinn des in § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO angeordneten Begründungszwangs liegt darin, den Prozessbeteiligten die Kenntnis darüber zu vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht (vgl. BFH-Beschluss vom 2. Januar 2006 XI B 53/04, BFH/NV 2006, 792, m.w.N.).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) beinhaltet das Recht der Beteiligten, sich zur Sache zu äußern und für das Gericht die Pflicht, entscheidungserhebliches Vorbringen sowie Beweisanträge zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BFH-Beschlüsse vom 28. Juni 2002 III B 28/02, BFH/NV 2002, 1474, 1475; vom 20. April 2006 VIII B 33/05, BFH/NV 2006, 1338).
Allerdings geht diese Pflicht des Gerichts nicht soweit, dass es sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen müsste. Insbesondere bedeutet die Gewährung rechtlichen Gehörs nicht, dass das Gericht den Kläger "erhören", sich also seinen rechtlichen Ansichten anschließen müsste (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Dezember 2000 I B 103/00, BFH/NV 2001, 631).
Fundstellen