Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Tarifbegünstigung von Abfindungszahlungen
Leitsatz (NV)
1. Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1, Abs. 2 EStG liegen grundsätzlich nur dann vor, wenn die Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf auf mehrere Jahre verteilt hätten, in einem Betrag gezahlt wird oder wenn die Entschädigung entgangene Einnahmen nur eines Jahres ersetzt, sofern sie im Jahr der Zahlung mit weiteren Einkünften zusammentrifft und der Steuerpflichtige im Jahr der entgangenen Einnahmen keine weiteren (nennenswerten) Einnahmen gehabt hat.
2. Verteilt sich die Entschädigungszahlung auf zwei Veranlagungszeiträume, läßt die Rechtsprechung die Steuerermäßigung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zu.
Normenkette
EStG § 34 Abs. 1-2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit 1971 Geschäftsführer eines Einzelunternehmens.
Im Juni 1983 wurde dem Kläger gekündigt. Er bezog in diesem Monat ein Bruttogehalt von 5600 DM; daneben erhielt er eine Umsatzbeteiligung von 1000 DM. Im anschließenden arbeitsgerichtlichen Klageverfahren schlossen die Beteiligten am 7. Dezember 1983 einen Vergleich mit dem Inhalt, daß das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung des Arbeitgebers einvernehmlich am 30. Juni 1983 beendet worden ist. Ferner wurde vereinbart, daß der Arbeitgeber an den Kläger eine Abfindung i.S. von §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) in Höhe von 160000 DM zahlt, wobei ein Teilbetrag von 30000 DM am 1. Februar 1984 zahlbar und der Restbetrag von 130000 DM vom 1. März 1984 an in 20 gleichen Monatsraten von je 6500 DM zu tilgen war.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erfaßte von der im Streitjahr gezahlten Abfindung 65000 DM bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, ohne den Tarif gemäß § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu ermäßigen. Den Einspruch des Klägers wies das FA durch Entscheidung vom 29. Oktober 1985 mit folgender Begründung zurück: 30000 DM seien gemäß § 3 Nr. 9 EStG steuerfrei. Der Restbetrag von 65000 DM, den der Kläger im Jahre 1984 in 10 Raten von jeweils 6500 DM erhalten habe, sei zwar eine Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, könne aber nicht gemäß § 34 Abs. 1 EStG tarifbegünstigt versteuert werden, da die Entschädigung nicht in einem Betrag gezahlt worden sei.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Die Abfindungszahlungen waren nicht gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 2 EStG ermäßigt zu besteuern.
1. Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1, Abs. 2 EStG sind nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch diese Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen.
Die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG bezweckt, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung der Entschädigung ergeben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Juni 1990 X R 45/86, BFH/NV 1991, 88, m.w.N.; so bereits Begründung zu §§ 21 bis 24 EStG 1920, Nationalversammlung 1919, Drucks. 1624, S. 49 ff., und Begründung zu § 34 EStG, RStBl 1935, 52; vgl. ferner Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz 1925, 1929, 2. Band, S. 953 - Anm. 2 zu § 58 EStG 1925 -). Dementsprechend liegen außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1, Abs. 2 EStG grundsätzlich nur dann vor, wenn die Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf auf mehrere Jahre verteilt hätten, zusammengeballt in einem Betrag gezahlt wird (BFH-Urteile vom 20. Oktober 1978 VI R 107/77, BFHE 126, 408, BStBl II 1979, 176; vom 17. Dezember 1982 III R 136/79, BFHE 137, 345, BStBl II 1983, 221; vom 20. Juli 1988 I R 250/83, BFHE 154, 98, BStBl II 1988, 936; in BFH/NV 1991, 88, und vom 18. September 1991 XI R 9/90, BFH/NV 1992, 102) oder wenn die Entschädigung entgangene Einnahmen nur eines Jahres ersetzt, sofern sie im Jahr der Zahlung mit weiteren Einkünften zusammentrifft und der Steuerpflichtige im Jahr der entgangenen Einnahmen keine weiteren (nennenswerten) Einnahmen gehabt hat (Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 30. November 1938 IV 168/38, RStBl 1939, 170; BFH-Urteile vom 17. Dezember 1959 IV 223/58 S, BFHE 70, 195, BStBl III 1960, 72, und vom 12. März 1975 I R 180/73, BFHE 115, 261, BStBl II 1975, 485).
Allein unter diesen Voraussetzungen ist die Tarifermäßigung gerechtfertigt, weil nur in diesem Fall der Steuerpflichtige durch den Zufluß der Entschädigung einen steuerlichen Nachteil, nämlich den der Progressionssteigerung, erleidet; dieser Nachteil wird durch die Milderung der Tarifprogression ausgeglichen.
2. Verteilt sich die Entschädigungszahlung auf zwei Veranlagungszeiträume, läßt die Rechtsprechung die Steuerermäßigung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zu (vgl. BFH-Urteile in BFHE 70, 195, BStBl III 1960, 72; vom 21. November 1980 VI R 179/78, BFHE 132, 60, BStBl II 1981, 214; in BFHE 154, 98, BStBl II 1988, 936, und vom 21. Juni 1990 X R 210/87, BFH/NV 1990, 772).
Zwar können sich auch bei einer Zahlung in zwei Veranlagungszeiträumen Progressionsbelastungen ergeben. Diese Belastung muß aber in Kauf genommen werden, da anderenfalls (bei Überschreitung des Grundsatzes, daß nur einmalige Zuflüsse als außerordentliche anerkannt werden können) eine Grenze zwischen außerordentlichen Einkünften i.S. des § 34 EStG und den nach dem ordentlichen Tarif zu versteuernden Einkünften nicht mehr gezogen werden könnte (so bereits RFH-Urteil vom 20. Februar 1941 IV 278/40, RStBl 1941, 442).
Ein solcher Ausnahmetatbestand ist nach der Rechtsprechung gegeben, wenn die Zahlung der Entschädigung von vornherein in einer Summe vorgesehen war und nur wegen ihrer ungewöhnlichen Höhe und der besonderen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen auf zwei Jahre verteilt wurde (RFH-Urteil in RStBl 1941, 442) oder wenn der Entschädigungsempfänger - bar aller Existenzmittel - dringend auf den baldigen Bezug einer Vorauszahlung angewiesen war (BFH-Urteil vom 1. Februar 1957 VI 87/55 U, BFHE 64, 271, BStBl III 1957, 104).
Im Streitfall liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Die Entschädigung sollte nicht von vornherein in einer Summe gezahlt werden. Bereits bei Begründung der Entschädigungsforderungen durch den Vergleich vor dem Arbeitsgericht wurde festgelegt, daß die vereinbarten Beträge in einem Zeitraum von 20 Monaten geleistet werden sollten. Die Entschädigungszahlung war auch nicht außergewöhnlich hoch. Der Kläger erhielt im Ergebnis ungefähr die Zahlungen, die er auch bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 418706 |
BFH/NV 1993, 23 |
BFH/NV 1993, 68 |
BFHE 1994, 416 |
BB 1993, 2435 |