Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Begriff des Pflegekindes i. S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG (ab 1986)
Leitsatz (NV)
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Obhuts- und Pflegeverhältnis i. S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG (i. d. ab 1986 geltenden Fassung) zu den leiblichen Eltern nicht mehr besteht.
2. Ein zwischen einem alleinerziehenden Elternteil und seinem Kind im Kleinkindalter begründetes Obhuts- und Pflegeverhältnis wird durch die vorübergehende Abwesenheit des Elternteils nicht unterbrochen.
Normenkette
EStG ab 1986 § 32 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) lebt mit seiner Frau und . . . Kindern in einem Haushalt. Dort wächst seit seiner Geburt im Jahre 1981 auch das Kind K auf. Dessen Mutter, die Tochter T des Klägers, war bei der Geburt ihres Kindes 16 Jahre alt; sie studiert seit dem Sommersemester 1985 in A und hat dort ein Zimmer. Ihr steht das Sorgerecht für K zu; sie hat aber schon 1986 ihren Eltern, jedem von ihnen allein, umfassende Vollmacht in allen das Kind betreffenden Dingen erteilt. Der Kindesvater zahlt für K Unterhalt an den Kläger etwa entsprechend der sog. Düsseldorfer Tabelle. Die Kindesmutter hatte im Streitjahr keine nennenswerten eigenen Einkünfte. Das Kindergeld erhält der Kläger.
Der Kläger beantragte für das Streitjahr 1990 die Eintragung eines Kinderfreibetrags für das Kind K auf seiner Lohnsteuerkarte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte dies ab.
Die hiergegen mit Zustimmung des FA erhobene Sprungklage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß das Enkelkind K zu dem Kläger in einem Pflegekindschaftsverhältnis stehe. Denn zwischen ihm und dem Kind bestehe ein familienähnliches Band, was sich daraus ergebe, daß das Kind von der Familie und von Außenstehenden als zur Familie des Klägers gehörend angesehen werde, dort lebe und versorgt werde. Das daneben auch tatsächlich bestehende familienrechtliche Band, nämlich das Verhältnis zwischen Großvater und Enkelkind, stehe der Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses nicht entgegen.
Das familienähnliche Band sei auch auf längere Dauer angelegt gewesen. Dies ergebe sich daraus, daß die ledige Mutter außerhalb des Wohnorts der Großeltern und des Pflegekindes ein . . . studium betreibe, das bekanntermaßen viele Jahre in Anspruch nehme und bei der im Streitjahr 25 Jahre alten Mutter noch einige Zeit andauern werde. Das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern bestehe nicht mehr. Für den Vater sei dies unbestritten. Zur Mutter bestehe es schon deshalb nicht mehr, weil diese am Studienort lediglich ein Studentenzimmer bewohne und das Kind nicht bei sich habe. Ihre Besuche bei dem Kläger und ihrem Kind seien von so geringer Zahl und solcher Kürze, daß sie nicht mehr als Pflege- und Obhutsverhältnis zwischen Mutter und Kind i. S. des § 32 des Einkommensteuergesetzes (EStG) angesehen werden könnten. Hierbei sei auch zu beachten, daß das Gesetz lediglich vermeiden wolle, ein Kind mehreren Steuerpflichtigen zuzuordnen, aber keineswegs beabsichtige, die kindbedingten Erleichterungen überhaupt zu verweigern.
Schließlich unterhalte der Kläger das Kind auch zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten, weil der Kindesvater ihm nur den Betrag zahle, welcher der Düsseldorfer Tabelle für nichteheliche Kinder entspreche. Dem Kläger obliege demgegenüber die Last der gesamten Erziehung, was mindestens einen nicht unwesentlichen Teil als Unterhalt i. S. des Gesetzes ausmache.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der dieses die Verletzung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG rügt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Mit Urteil vom 12. Juni 1991 III R 108/89 (BFHE 165, 201, BStBl II 1992, 20), das zwischen denselben Beteiligten ergangen ist, hat der Senat bei gleicher Sach- und Rechtslage für das Streitjahr 1989 entschieden, daß das FG zwar zu Recht davon ausgegangen ist, daß der Kläger seine Enkelin zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhalten hat. Denn im Regelfall könne von einem nicht unwesentlichen Beitrag zum Kindesunterhalt i. S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1986 ausgegangen werden, wenn das Kind im Haushalt des Steuerpflichtigen lebe und von diesem - zumindest teilweise - betreut werde. Der Senat hat in dieser Entscheidung aber ferner ausgeführt, daß die Feststellungen des FG nicht ausreichten, um die Frage abschließend beurteilen zu können, ob zwischen dem Kind und seiner leiblichen Mutter noch ein Obhuts- und Pflegeverhältnis bestanden hat. Ein zwischen einem alleinerziehenden Elternteil und seinem Kind im Kleinkindalter begründetes Obhuts- und Pflegeverhältnis i. S. des § 32 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1986 werde durch die vorübergehende Abwesenheit eines Elternteils nicht unterbrochen. Denn ein zwischen einem Elternteil und seinem Kind einmal begründetes Obhuts- und Pflegeverhältnis könne fortbestehen, auch wenn der Elternteil das Kind nicht mehr täglich sehe. Entgegen der Auffassung des FG könne jedenfalls nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß es im Falle einer regelmäßigen mehrtägigen Abwesenheit des Alleinerziehenden stets zum Bruch des Familienbandes komme. Ob das Obhuts- und Pflegeverhältnis tatsächlich bestehe, könne nur im Einzelfall beurteilt werden. Entscheidende Kriterien seien neben der Anzahl und Dauer der Besuche das Alter des Kindes sowie die Frage, ob vor der Trennung ein Obhuts- und Pflegeverhältnis bestanden hat. Dieses könne beispielsweise dadurch begründet worden sein, daß die leibliche Mutter und ihr Kind während des Kleinkind- und Vorschulalters des Kindes gemeinsam im Haushalt des Klägers gelebt haben. Hierzu bedürfe es weiterer Feststellungen. Das gleiche gelte für die Frage, ob ein möglicherweise begründetes Obhuts- und Pflegeverhältnis zu dem Kind aufrechterhalten worden sei; dies könne nur in Kenntnis der Anzahl und Dauer der Besuche der Mutter bei ihrem Kind sowie des Umstands, ob sie die Semesterferien - zumindest teilweise - mit ihm verbracht oder ob sie sich jeweils über einen längeren Zeitraum (mehrere Wochen oder Monate) nicht mehr um ihr Kind gekümmert habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung, die für das hier zu beurteilende Streitjahr entsprechend gelten, wird auf das Urteil in BFHE 165, 201, BStBl II 1992, 20 Bezug genommen.
Zu den vorstehend angesprochenen Umständen hat das FG auch im Streitfall keine Feststellungen getroffen. Ebenso wie im Urteil in BFHE 165, 201, BStBl II 1992, 20 ist deshalb auch hier die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 418263 |
BFH/NV 1992, 589 |