Leitsatz (amtlich)
1. Es ist nicht sachlich unbillig, die Grunderwerbsteuer für den Erwerb eines Grundstücks von dem Schwiegervater durch eine aus dem Schwiegervater und dem Schwiegersohn bestehende OHG insoweit zu erheben, als der Schwiegersohn an der OHG beteiligt ist. Dies gilt auch dann, wenn der Schwiegersohn vor der Gründung der OHG als stiller Gesellschafter an dem Handelsgewerbe seines Schwiegervaters beteiligt war und das Grundstück während dieser Zeit von dem Schwiegervater für Rechnung der stillen Gesellschaft erworben worden war.
2. Es ist nicht sachlich unbillig, für den Erwerb eines Grundstücks durch einen Vertriebenen oder Verfolgten bzw. durch eine Personengesellschaft, an der Vertriebene oder Verfolgte beteiligt sind, Grunderwerbsteuer zu erheben. Die Entschließung des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen vom 18. August 1961 (Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen 1961 S. 1300) hält sich deshalb nicht in den Grenzen des § 131 Abs. 1 AO.
2. Eine formelhafte Bezugnahme im Urteil auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten ersetzt nicht die Darstellung des Tatbestandes.
Normenkette
AO § 131; FGO § 118 Abs. 2; ZPO § 313 Abs. 2, § 561 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
I.
Der Kaufmann Ko und sein Schwiegersohn Ki, der nach dem Vortrag der Klägerin Vertriebener und politisch Verfolgter ist und mit seiner Frau in Gütertrennung lebt, gründeten 1963 eine OHG (Klägerin). In diese brachte der Erstgenannte sein Einzelunternehmen mit allen Aktiven und Passiven ein. Zu den Aktiven gehörte auch ein in seinem Eigentum stehendes Grundstück, das er mit notariell beurkundetem Vertrag vom 27. Januar 1965 der Klägerin zu Eigentum "überließ". Für dieses Rechtsgeschäft setzte das FA (Beklagter) unter Berücksichtigung des § 5 Abs. 2 GrEStG 1940 Grunderwerbsteuer fest. Der Steuerbescheid ist unanfechtbar geworden.
Die Klägerin beantragte, die Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen zu erlassen. Sie trug vor, die Steuer sei nur angefallen, weil Ko seinen Schwiegersohn unter Gründung einer OHG in sein Unternehmen aufgenommen habe. Nach dem Erlaß des RdF vom 16. Dezember 1938 (RStBl 1938, 1164) könne in einem derartigen Falle die anfallende Umsatzsteuer auf Antrag erlassen werden, wenn für die Gründung der Personengesellschaft Gründe der Familienzugehörigkeit maßgebend gewesen seien. Dies müsse auch für die Grunderwerbsteuer gelten. Außerdem berief sich die Klägerin darauf, daß Ki politisch und rassisch verfolgt und Vertriebener sei. Das beklagte FA lehnte den Erlaßantrag ab. Die Beschwerde blieb erfolglos.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Ein Erlaß aus Gründen der Familienzugehörigkeit komme nicht in Betracht. Das Gesetz habe diese Frage im § 3 Nr. 6 und 7 GrEStG 1940 ausdrücklich geregelt. Der Erwerb eines Grundstücks durch eine aus dem Veräußerer und seinem Schwiegersohn bestehende Vereinigung falle nicht unter diese Vorschrift. Die gesetzliche Regelung könne nicht über § 131 Abs. 2 AO abgeändert werden. Auch ein Erlaß nach der Entschließung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 18. August 1961 (Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen 1961 S. 1300) komme nicht in Betracht, da dessen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Mit der Revision rügt die Klägerin die unrichtige Anwendung des § 131 AO. Sie beantragt, von der festgesetzten Grunderwerbsteuer einen Betrag in Höhe von 3 500 DM zu erlassen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen sind rechtmäßig.
1. Eine Sachunbilligkeit liegt nicht darin, daß für den Erwerb des Grundstücks durch die Klägerin von dem Gesellschafter Ko Grunderwerbsteuer insoweit zu erheben ist, als nicht § 5 Abs. 2 GrEStG 1940 eingreift. Dieses Ergebnis entspricht dem Gesetz. Deshalb allein kann zwar eine Sachunbilligkeit noch nicht verneint werden (vgl. das Urteil des Senats vom 9. Februar 1972 II R 99/70, BFHE 105, 172, BStBl II 1972, 503). Entscheidend ist aber, daß die Steuerpflicht auch unter die Wertungen des Gesetzes fällt. Der Grunderwerbsteuer unterliegen alle Erwerbsvorgänge i. S. des § 1 GrEStG 1940, soweit das Gesetz nicht aus besonderen Gründen eine Befreiung verfügt. Dabei ist der in § 3 Nr. 2 GrEStG 1940 enthaltene Grundsatz, wonach der Grundstückserwerb von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden von der Grunderwerbsteuer befreit ist, im Verhältnis bestimmter naher Angehöriger zueinander auch auf entgeltliche Erwerbe ausgedehnt worden (vgl. § 3 Nr. 4 bis 7 GrEStG 1940). Hierfür waren nicht zuletzt familien- und erbrechtliche Gesichtspunkte maßgebend, wie sich der Regierungsbegründung entnehmen läßt (RStBl 1940, 394). Wenn der Gesetzgeber in den Nrn. 6 und 7 die Befreiung auf den Erwerb durch in gerader Linie Verwandte und ihnen gleichstehende Personen bzw. durch aus diesen Personen und ggf. dem Veräußerer gebildete Vereinigungen beschränkte, so hat dies seinen Grund danach darin, daß nur der Grundstücksverkehr unter den engsten Angehörigen begünstigt werden sollte. Der Gesetzeszweck wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß Schwiegerkinder nicht zu den begünstigten Personen gezählt werden. Diese Differenzierung widerspricht nicht den Wertungen des Gesetzgebers. Auch sonst kennt das Steuerrecht unterschiedliche Rechtsfolgen im Hinblick auf Abkömmlinge einerseits und Schwiegerkinder andererseits (vgl. z. B. die Steuerklasseneinteilung im § 10 ErbStG 1959 und im § 15 ErbStG 1974).
Wenn der Gesetzgeber den (Mit-)Erwerb der Schwiegerkinder in den Fällen der Gütergemeinschaft freistellt (§ 3 Nr. 6 Satz 3 GrEStG 1940), so ist dies auf die Besonderheiten der Gütergemeinschaft zurückzuführen. Daraus kann nicht gefolgert werden, daß dann auch die Erhebung der Grunderwerbsteuer auf den Erwerb eines Grundstückes durch ein Schwiegerkind sachlich unbillig sei. Aus dem Urteil des erkennenden Senats vom 1. April 1969 II 83/64 (BFHE 96, 66, BStBl II 1969, 560) kann nichts anderes hergeleitet werden. Wenn der Senat dort ausgesprochen hat, daß für die Verwaltung deshalb Anlaß zur Vornahme einer Billigkeitsprüfung bestanden habe, weil die Vertragsparteien durch eine etwas andere Reihenfolge der Verträge volle Steuerfreiheit hätten erreichen können, so unterscheidet sich dieser Fall von dem vorliegenden vor allem dadurch, daß dort die erwerbenden Ehegatten wenige Monate nach dem Erwerb des Hofes von dem Vater der Ehefrau Gütergemeinschaft vereinbart hatten. Zwischen Ki und seiner Ehefrau (der Tochter des Ko) aber war Gütertrennung vereinbart, wie das FG in seinem Urteil festgestellt hat.
Eine Sachunbilligkeit kann auch nicht aus der Tatsache hergeleitet werden, daß der bayerische Gesetzgeber durch Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung bei Änderung der Unternehmensform und bei Betriebsinvestitionen in volkswirtschaftlich förderungsbedürftigen Gebieten vom 27. Juli 1970 (GVBl, 335) das Einbringen eines Betriebes in eine Personengesellschaft auf Antrag von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz ausgenommen hat. Diese Vorschrift ist zwar mit Rückwirkung auf den 20. August 1969 in Kraft gesetzt worden (Art. 4 Abs. 1). Daraus, daß der Gesetzgeber keinen Anlaß gesehen hat, das Inkrafttreten der genannten Vorschrift weiter in die Vergangenheit zurückzubeziehen, kann kein Grund für den Erlaß der Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen hergeleitet werden.
Was den Erlaß des RdF vom 16. Dezember 1938 (RStBl 1938, 1164) angeht, so hat das FG bereits zutreffend darauf hingewiesen, daß dieser Erlaß nur für den Bereich der Umsatzsteuer galt. Für den Bereich der Grunderwerbsteuer konnte aus diesem Erlaß nichts hergeleitet werden.
2. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbegründung darauf hingewiesen, daß Ko das bei ihrer Gründung auf sie übergegangene Grundstück zu einem Zeitpunkt erworben habe, als zwischen ihm und Ki eine stille Gesellschaft bestanden habe, für deren Rechnung das Grundstück erworben worden sei, und daß dieser Umstand in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert worden sei. Soweit die Klägerin hiermit rügen will, das FG habe nicht nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entschieden, ist darauf hinzuweisen, daß weder aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils noch aus dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist, daß die Klägerin die Frage des Bestehens einer stillen Gesellschaft im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs durch Ko in den Prozeß eingeführt hätte und daß darüber verhandelt worden wäre (vgl. hierzu § 155 FGO i. V. m. § 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die in dem Urteil verwendete Formel "Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen". führt nicht etwa dazu, daß damit auch das schriftsätzliche Vorbringen der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 4. Oktober 1967, es sei zunächst eine stille Gesellschaft gegründet worden, die in eine OHG umgewandelt worden sei, zum Parteivortrag i. S. des § 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO wurde. Zwar sind nach § 155 FGO i. V. m. § 313 Abs. 2 ZPO unter bestimmten Voraussetzungen Bezugnahmen auf Schriftstücke der Beteiligten zulässig. Eine solche zulässige Bezugnahme liegt jedoch nicht vor, wenn ohne weitere Kennzeichnung formelhaft auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen wird.
Nach allem ist eine Rüge aus § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht zulässig erhoben worden. Sie könnte jedoch auch dann sachlich keinen Erfolg haben, wenn die Klägerin die Berichtigung der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem FG dahin erreichen könnte, daß sie in dieser Verhandlung auf Anfordern den Gesellschaftsvertrag vorgelegt habe und daß bei dieser Gelegenheit darüber verhandelt worden sei, Ko habe das Grundstück für Rechnung der damals zwischen Ko und Ki bestehenden stillen Gesellschaft erworben.
Denn selbst wenn zur Zeit des Grundstückserwerbs durch Ko eine stille Gesellschaft bestanden hatte, für deren Rechnung Ko dieses Grundstück erworben hatte, war Ko selbst Grundstückserwerber i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1940. Da die stille Gesellschaft kein Gesellschaftsvermögen hat, konnte nur Ko Eigentümer des erworbenen Grundstücks werden. Bei der Weiterveräußerung auf die Klägerin mußte Grunderwerbsteuer anfallen, soweit Ki gesamthänderisch Miteigentümer des Grundstücks wurde, und zwar selbst dann, wenn Ki auch schon vorher wirtschaftlich an dem Grundstück beteiligt war (vgl. in diesem Zusammenhang auch das Urteil des Senats vom 11. Dezember 1974 II R 170/73, BFHE 114, 552, BStBl II 1975, 363). Dieses Ergebnis ist auch nicht unbillig. Vor- und Nachteile im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften für Rechnung einer stillen Gesellschaft sind allein darauf zurückzuführen, daß die Grunderwerbsteuer auf die rechtliche Gestaltung und nicht -- jedenfalls nicht in erster Linie -- auf den wirtschaftlichen Hintergrund abstellt. Diese Systematik des Grunderwerbsteuergesetzes kann nicht in den Fällen beiseite geschoben werden, in denen das Abstellen auf die rechtliche Gestaltung für die Betroffenen steuerlich nachteilig ist.
Nach allem kann die Unbilligkeit der Steuererhebung weder aus der familiären Stellung des Ki zu dem Ko noch daraus hergeleitet werden, daß das später auf die Klägerin übertragene Grundstück rechtlich zwar von Ko aber für Rechnung einer zwischen ihm und Ki bestehenden stillen Gesellschaft erworben worden war.
3. Auch die Vertriebenen- und Verfolgteneigenschaft des Ki macht die Erhebung der Steuer nicht sachlich unbillig. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß die Besteuerung der Grundstückserwerbe durch Vertriebene (dies gilt auch für Erwerbe durch politisch Verfolgte) nicht den Wertungen des Grunderwerbsteuergesetzes zuwiderläuft (vgl. die Urteile vom 7. August 1974 II R 57/72, BFHE 113, 265, BStBl II 1975, 51, und vom 30. April 1975 II R 32/69, BFHE 116, 58, BStBl II 1975, 720). Es liegt deshalb keine Sachunbilligkeit vor, die die Verwaltung zu entsprechenden Billigkeitsrichtlinien im Rahmen des § 131 Abs. 2 AO berechtigen würde. Geändert werden konnte der Rechtszustand allein durch den Gesetzgeber. Die Entschließung des Bayer. Staatsministerums der Finanzen vom 18. August 1961 (ABl 1961, 1300) ist deshalb nicht durch § 131 Abs. 2 AO gedeckt. Die Erhebung der Grunderwerbsteuer wäre danach selbst dann nicht sachlich unbillig, wenn das Grundstück durch Ki erworben worden wäre. Um so weniger kann der Erwerb durch die Klägerin, die nicht unter den Wortlaut der Entschließung des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen fiel, zu einem Steuererlaß wegen Sachunbilligkeit führen.
Da die Entschließung auf Erwerbe durch Gesellschaften ihrem Wortlaut nach nicht anwendbar war, besteht auch keine Möglichkeit für die Klägerin, einen Steuererlaß trotz Fehlens einer Sachunbilligkeit etwa aus Gründen gleicher Behandlung der durch die Entschließung begünstigten Steuerpflichtigen (Art. 3 Abs. 1 GG) zu verlangen (vgl. hierzu auch das Urteil des Senats vom 10. Mai 1972 II 57/64, BFHE 105, 458, BStBl II 1972, 649).
Die Verwaltungsentscheidungen sind auch nicht deshalb
fehlerhaft, weil sie, ohne daß das Vorliegen der Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 AO unmittelbar geprüft worden wäre, ausschließlich damit begründet worden sind, die Voraussetzungen der Entschließung des Bayer. Staatsministerjums der Finanzen hätten nicht vorgelegen. Denn die Verwaltungsbehörden hätten nach allem gleichwohl eine Sachunbilligkeit nicht annehmen können.
Keine Veranlassung bestand für die Verwaltung, die Frage eines Erlasses aus persönlichen Gründen zu prüfen. Bei dieser Prüfung wäre zwar die Vertriebenen- und Verfolgteneigenschaft des Ki mit zu berücksichtigen gewesen. Ein Steuererlaß hätte jedoch nur dann in Betracht gezogen werden können, wenn neben der Vertriebenen- und Verfolgteneigenschaft des Ki weitere Umstände vorgelegen hätten, die geeignet waren, einen Steuererlaß wegen persönlicher (wirtschaftlicher) Unbilligkeit zu begründen (vgl. hierzu das Urteil des Senats II 57/64). Da die Klägerin zu keinem Zeitpunkt hat erkennen lassen, daß sie sich möglicherweise in ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen befunden habe, bestand für die Verwaltung kein Anlaß, dieser Frage von Amts wegen nachzugehen, zumal die Klägerin ihren Erlaßantrag nur darauf gestützt hatte, die Grunderwerbsteuer sei durch Gründung der OHG entstanden und Ki sei Vertriebener und politisch Verfolgter.
Fundstellen
Haufe-Index 71968 |
BStBl II 1976, 697 |
BFHE 1977, 126 |