Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermäßigter Umsatzsteuersatz/Einreihung getrockneter Schweineohren in den Zolltarif
Leitsatz (NV)
1. Als Tierfutter verwendete getrocknete Schweineohren, die vor dem Trocknen für den menschlichen Verzehr geeignet waren und allein durch das Trocknen ihre Eignung zum menschlichen Verzehr verloren haben, sind als zubereitetes Futter in die Pos. 2309 KN einzureihen. Ihre Lieferung unterliegt dem ermäßigten Steuersatz.
2. Unter der Annahme, dass das Trocknen die Eignung der Schweineohren zum menschlichen Verzehr nicht beeinträchtigt, handelt es sich um genießbare Schlachtnebenerzeugnisse des Kap. 2 KN, für die ebenfalls der ermäßigte Steuersatz gilt.
Normenkette
UStG § 12 Abs. 2 Nr. 1; KN Pos. 0210; KN Pos. 0511; KN Pos. 2309; EWGV 1125/2006
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 13.09.2007; Aktenzeichen 16 K 309/06) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) stellt getrocknete Schweineohren her, die sie im frischen und zum menschlichen Verzehr geeigneten Zustand erwirbt und die sie nach der Trocknung, durch welche die Schweineohren für Menschen ungenießbar werden, als Tiernahrung verkauft. Auf ihre entsprechenden Umsätze hatte die Klägerin zunächst den Regelsteuersatz angewandt. Für Juni 2006 reichte sie jedoch eine berichtigte Umsatzsteuer-Voranmeldung ein, mit der sie auf ihre Umsätze aus dem Verkauf getrockneter Schweineohren im Februar 2003 den ermäßigten Steuersatz anwandte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die begehrte Änderung der Steuerfestsetzung ab.
Auf die hiergegen erhobene Sprungklage änderte das Finanzgericht (FG) die Umsatzsteuerfestsetzung, indem es die Umsätze aus dem Verkauf getrockneter Schweineohren dem ermäßigten Steuersatz unterwarf. Das FG urteilte unter Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 3. Februar 2004 VII R 33/03 (BFH/NV 2004, 849, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2004, 200), dass getrocknete Schweineohren Zubereitungen der zur Fütterung verwendeten Art i.S. der Pos. 2309 der Kombinierten Nomenklatur (KN) seien. Diese Rechtsprechung sei für die streitigen Umsätze maßgeblich. Die Verordnung (EG) Nr. 1125/2006 (VO Nr. 1125/2006) der Kommission vom 21. Juli 2006 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- Nr. L 200/3) könne nur Wirkung für die Zukunft haben, also für Umsätze, die nach dem Inkrafttreten der Verordnung getätigt worden seien.
Mit seiner Revision beruft sich das FA auf die VO Nr. 1125/2006, die seiner Ansicht nach auch auf Lieferungen getrockneter Schweineohren vor Inkrafttreten dieser Verordnung anwendbar ist.
Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an und meint, dass die VO Nr. 1125/2006 nur auf nach ihrem Inkrafttreten getätigte Umsätze anzuwenden sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die streitigen Gegenstände zu Recht dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterworfen.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der im Streitjahr 2003 geltenden Fassung in Verbindung mit Nr. 37 der Anlage zu dieser Vorschrift unterlag (u.a.) zubereitetes Futter aus Kap. 23 KN dem ermäßigten Steuersatz. Wie das FG zutreffend geurteilt hat, erfüllen die von der Klägerin hergestellten und als Tierfutter verkauften getrockneten Schweineohren die Voraussetzungen für die Einreihung in die Pos. 2309 KN.
Anders als die Revision meint, steht dieser Tarifierung nicht entgegen, dass der Klägerin im Juni 2001 eine unverbindliche Zolltarifauskunft (uvZTA) für Umsatzsteuerzwecke erteilt worden ist, mit der getrocknete Schweineohren in die Codenummer 0511 9990 00 0 KN eingereiht worden sind. Das FG hatte die Tarifierung selbst vorzunehmen und war dabei an die mit der uvZTA vertretenen Tarifauffassung nicht gebunden. Es ist dieser Auffassung auch zu Recht nicht gefolgt.
1. Nach den für den Senat mangels zulässiger und begründeter Revisionsgründe bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) des FG hat die Klägerin die in frischem Zustand erworbenen, zum menschlichen Verzehr geeigneten Schweineohren getrocknet, wodurch diese ihre Eignung zum menschlichen Verzehr verloren haben, und hat sie der Verwendung als Tierfutter zugeführt.
Wie der Senat bereits mit Urteil in BFH/NV 2004, 849, ZfZ 2004, 200 entschieden hat, sind Schweineohren unter diesen Voraussetzungen als zubereitetes Futter i.S. der Pos. 2309 KN anzusehen. Unter einer Zubereitung i.S. der Pos. 2309 KN ist die Verarbeitung eines Erzeugnisses oder seine Vermischung mit anderen Erzeugnissen zu verstehen (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 23. März 1972 36/71 --Henck--, Slg. 1972, 187 Rz 4). Die in frischem Zustand erworbenen Schweineohren sind durch das Trocknen einem solchen Verarbeitungsvorgang unterzogen worden. Auch die nach dem genannten EuGH-Urteil erforderliche Zweckbestimmung als Futter ist bei den getrockneten Schweineohren des Streitfalls nach den bindenden Feststellungen des FG gegeben.
Des Weiteren ist auch die Voraussetzung gemäß Anm. 1 zu Kap. 23 KN erfüllt, wonach die durch die Verarbeitung pflanzlicher oder tierischer Stoffe hergestellten Erzeugnisse der zur Fütterung verwendeten Art die wesentlichen Merkmale der Ausgangsstoffe verloren haben müssen. Denn nicht die Ausgangsstoffe selbst, sondern nur ihre wesentlichen Merkmale müssen durch die Verarbeitung verloren gegangen sein, was sich auch aus der französischen ("… obtenus par le traitement de matières végétales ou animales et qui, de ce fait, ont perdu les caractéristiques essentielles de la matière d'origine …") und der englischen Sprachfassung ("… obtained by processing vegetable or animal materials to such an extent that they have lost the essential characteristics of the original material …") der Anm. 1 zu Kap. 23 KN ergibt. Nach den Feststellungen des FG haben die Schweineohren durch das Trocknen das Merkmal ihrer Eignung zum menschlichen Verzehr verloren. Dieses ist auch ein wesentliches Merkmal, weil die Schweineohren nach dem Trocknen nicht mehr in das Kap. 2 KN als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse eingereiht werden können (vgl. Anm. 1 Buchst. a zu Kap. 2 KN). Die Einreihung in die Pos. 0511 KN kommt nicht in Betracht, weil von dieser Position nur Waren tierischen Ursprungs, die anderweit weder genannt noch inbegriffen sind, erfasst werden, was auf die getrockneten Schweineohren des Streitfalls, da sie der Pos. 2309 KN zuzuweisen sind, nicht zutrifft. Insoweit folgt auch nichts anderes aus den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) zu Kapitel 2 Rz 08.0, da --wie der Senat ebenfalls mit Urteil in BFH/NV 2004, 849, ZfZ 2004, 200 ausgeführt hat-- die Zuweisung zur menschlichen Ernährung nicht geeigneter Schlachtnebenerzeugnisse zur Pos. 0511 KN nur zum Tragen kommen kann, wenn die Erzeugnisse anderweit weder genannt noch inbegriffen sind.
2. Die am 11. August 2006 in Kraft getretene Einreihungsverordnung Nr. 1125/2006 entfaltet keine Rückwirkung und ist somit für die im Streitfall zu treffende Tarifierungsentscheidung nicht verbindlich (vgl. EuGH-Urteil vom 28. März 1979 158/78 --Biegi--, Slg. 1979, 1103). Außerdem ist die Kommission mit dieser Einreihungsverordnung von anderen Beschaffenheitsmerkmalen ausgegangen, als sie der Senat seiner Rechtsprüfung zugrunde zu legen hat. Aus der unter Hinweis auf die ErlHS zu Kapitel 2 Rz 04.0 und 08.0 gegebenen Begründung der Kommission für die beiden Einreihungen wird nämlich die Auffassung der Kommission deutlich, dass Schweineohren genießbare Schlachtnebenerzeugnisse sind und dass hieran nach der ErlHS zu Kapitel 2 Rz 08.0 auch das Trocknen der Schweineohren nichts ändert. Danach sind getrocknete Schweineohren grundsätzlich genießbare, zum Kap. 2 KN gehörende Schlachtnebenerzeugnisse, es sei denn, sie sind aus anderen Gründen als dem Trocknen (z.B. verdorben) für den menschlichen Verzehr nicht geeignet, d.h. ungenießbar (vgl. Anm. 1 Buchst. a zu Kap. 2 KN). Deshalb hat die Kommission mit der VO Nr. 1125/2006 zwischen genießbaren getrockneten Schweineohren und getrockneten Schweineohren, die --aus anderen Gründen als dem Trocknen-- nicht für den menschlichen Verzehr geeignet sind, unterschieden.
Demgegenüber hat der Senat im Streitfall davon auszugehen (§ 118 Abs. 2 FGO), dass die von der Klägerin hergestellten getrockneten Schweineohren gerade durch das Trocknen ihre vormals vorhandene Eigenschaft, zum menschlichen Verzehr geeignet zu sein, verlieren. Das FG war rechtlich nicht gehindert, eine solche Feststellung zu treffen, denn bei der ErlHS zu Kapitel 2 Rz 08.0 handelt es sich nicht um eine Rechtsvorschrift. Wie der EuGH mehrfach entschieden hat, tragen die Erläuterungen zur KN und diejenigen zum Harmonisierten System (HS) jeweils erheblich zur Auslegung der einzelnen Tarifpositionen bei, ohne jedoch rechtsverbindlich zu sein. Der Inhalt dieser Erläuterungen muss daher mit den Bestimmungen des HS sowie der KN in Einklang stehen und darf deren Bedeutung nicht verändern (vgl. EuGH-Urteil vom 5. Juni 2008 C-312/07 --JVC--, ABlEU 2008 Nr. C 183/4-5, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2008, 883).
3. Die daraus resultierende Frage, ob --wovon offenbar die Kommission ausgeht-- die ErlHS zu Kapitel 2 Rz 08.0, derzufolge das Trocknen von Schweineohren deren Eignung für den menschlichen Verzehr nicht beeinträchtigt, mit den HS- und KN-Vorschriften in Einklang steht, bedarf allerdings im vorliegenden Fall keiner Klärung, weshalb auch kein Anlass besteht, diese Frage dem EuGH zu Vorabentscheidung vorzulegen, denn die von der Kommission mit der Einreihungsverordnung Nr. 1125/2006 vertretene Tarifauffassung führt im Streitfall ebenfalls zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes und somit zu keiner vom angefochtenen Urteil abweichenden Entscheidung.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG werden nämlich die Schweineohren allein durch das Trocknen für den menschlichen Verzehr ungeeignet. Es gibt dagegen weder ausdrückliche Feststellungen des FG noch Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Schweineohren auch aus anderen Gründen ungenießbar sind. Somit wären die Schweineohren nach der von der Kommission mit der VO Nr. 1125/2006 vertretenen Tarifauffassung gemäß ErlHS zu Kapitel 2 Rz 08.0 als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse in das Kap. 2 KN einzureihen. Genießbare Schlachtnebenerzeugnisse des Kap. 2 KN unterliegen aber nach Nr. 2 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ebenso dem ermäßigten Steuersatz wie zubereitetes Futter gemäß Nr. 37 der Anlage.
Fundstellen
Haufe-Index 2156919 |
BFH/NV 2009, 979 |