Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 42 AO 1977 bei unbeschränkter Steuerpflicht einer Oasengesellschaft
Leitsatz (NV)
1. Eine Geschäftstätigkeit kann nur dann für die Bestimmung des Ortes der geschäftlichen Oberleitung einer ausländischen Basisgesellschaft im Inland herangezogen werden, wenn sie steuerlich gesehen der Basisgesellschaft zuzurechnen ist.
2. Fungiert eine Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz lediglich als Rechtsträger für einen in der Bundesrepublik ansässigen Stpfl, der von der Bundesrepublik aus einer schon vor Errichtung der Basisgesellschaft ausgeübten steuerpflichtigen Tätigkeit unverändert nachgeht, so sind die Tätigkeiten und die daraus erzielten Einkünfte der im Inland ansässigen Personen gemäß § 42 AO 1977 zuzurechnen.
3. Ist die Liquidation einer ausländischen Basisgesellschaft abgeschlossen, so sind ihr gegenüber bekannt gegebene Steuerbescheide unwirksam.
4. Ist eine ausländische Basisgesellschaft sowohl in der Schweiz als auch in der Bundesrepublik unbeschränkt steuerpflichtig, so ist der von ihr erzielte Gewinn aufzuteilen, wenn nach dem DBA-Schweiz in beiden Vertragsstaaten Betriebsstätten bestehen.
Normenkette
AO 1977 § 42; StAnpG §§ 6, 15 Abs. 1; DBA CHE 1931/59 Art. 3; DBA CHE 1971 Art. 4 Abs. 8, Art. 5 Abs. 2, Art. 7 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin ist eine im Jahre 1970 mit Sitz in der Schweiz nach dortigem Recht gegründete GmbH, deren Gegenstand die Durchführung von Schulungen und Seminaren war. Sie domizilierte bei einem Rechtsanwalt in X, Schweiz. Zu den Gründungsgesellschaftern gehörte Y, der in 1970 im Inland wohnte.
Das FA ging aufgrund einer Außenprüfung davon aus, daß die Klägerin den Mittelpunkt ihrer geschäftlichen Oberleitung im Inland am Wohnsitz des Y hatte. Es behandelte deshalb die Klägerin als eine in den Jahren 1970-1975 im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Person und erließ ihr gegenüber diverse Steuerbescheide 1970-1975, wobei es die Besteuerungsgrundlagen anknüpfend an Aufzeichnungen der Klägerin schätzte.
Die Einsprüche und Klagen blieben erfolglos. Der BFH hob die Vorentscheidungen auf und verwies die Sachen an das FG zurück.
Entscheidungsgründe
1. a) Nach § 15 Abs. 1 StAnpG hat eine steuerpflichtige Gesellschaft ihre Geschäftsleitung im Sinne der Steuergesetze dort, wo sich der Mittelpunkt ihrer geschäftlichen Oberleitung befindet. Der Begriff ,,geschäftliche Oberleitung" umfaßt alle für die Geschäftsführung notwendigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Mai 1970 II 29/65, BFHE 99, 553, BStBl II 1970, 759, und vom 3. August 1977 I R 128/75, BFHE 123, 188, BStBl II 1977, 857). Er ist damit abhängig von der Tätigkeit, die die Gesellschaft steuerlich gesehen ausübt. Entsprechend kann die vom FG festgestellte Geschäftstätigkeit nur dann für die Bestimmung der geschäftlichen Oberleitung der Klägerin herangezogen werden, wenn sie steuerlich gesehen der Klägerin zuzurechnen ist.
b) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Gestaltung steuerlich unbeachtlich, die rechtsmißbräuchlich i. S. von § 6 StAnpG ist (vgl. BFH-Urteile vom 2. März 1966 II 113/61, BFHE 86, 396, BStBl II 1966, 509; vom 17. Juli 1968 I 121/64, BFHE 93, 1, BStBl II 1968, 695; vom 29. Januar 1975 I R 135/70, BFHE 115, 107, BStBl II 1975, 553; vom 21. Januar 1976 I R 234/73, BFHE 118, 553, BStBl II 1976, 513; vom 24. Februar 1976 VIII R 155/71, BFHE 120, 121, BStBl II 1977, 265; vom 29. Juli 1976 VIII R 142/73, BFHE 120, 116, BStBl II 1977, 263). Als ein Fall des Rechtsmißbrauchs wurde angesehen, wenn eine Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz lediglich als Rechtsträger für Beteiligungsbesitz eines in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ansässigen Steuerpflichtigen fungiert, für ihre Errichtung beachtliche Gründe fehlen und sie keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet (vgl. BFHE 118, 553, BStBl II 1976, 513). Entsprechendes muß unter den übrigen genannten Voraussetzungen gelten, wenn eine Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz lediglich als Rechtsträger für einen in der Bundesrepublik ansässigen Steuerpflichtigen fungiert, der von der Bundesrepublik aus einer schon vor Errichtung der Basisgesellschaft ausgeübten steuerpflichtigen Tätigkeit unverändert nachgeht. In einem solchen Fall sind die ausgeübten Tätigkeiten und die daraus erzielten Einkünfte der im Inland ansässigen Person gemäß § 6 StAnpG zuzurechnen.
c) Nach den vom FG in tatsächlicher Hinsicht getroffenen Feststellungen befanden sich alle für die ausgeübte Geschäftstätigkeit erforderlichen sächlichen und persönlichen Mittel im Inland. Der gesamte Geschäftsverkehr wurde hier abgewickelt. Die von der Klägerin in der Schweiz entfaltete Tätigkeit war nur darauf gerichtet, nach außen den Eindruck einer wirtschaftlich aktiven schweizerischen Gesellschaft entstehen zu lassen. Die gegen die Feststellungen von der Klägerin vorgebrachten Verfahrensrügen greifen nicht durch. Dies bedarf keiner Begründung (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -). Der Senat ist damit an die Tatsachenfeststellungen und an die Würdigungen tatsächlicher Art des FG gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Aus ihnen folgt, daß die Klägerin einerseits als bloßer Rechtsträger für den Gesellschafter Y auftrat und andererseits keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltete. Damit sind zwei von drei Voraussetzungen für die Annahme eines Rechtsmißbrauchs erfüllt. Es fehlen lediglich Feststellungen zu der Frage, ob die Klägerin aus steuerlich beachtlichen Gründen errichtet wurde. Diese Feststellungen wird das FG nachholen müssen.
2. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG auch prüfen müssen, ob die angefochtenen Steuerbescheide nicht schon mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe aufzuheben sind und ggf. ob die Klägerin im Rechtsstreit ordnungsgemäß vertreten ist. Dazu ergibt sich aus Tz. 26 des Betriebsprüfungsberichts vom 26. Mai 1977, daß die Klägerin im Februar 1975 liquidiert wurde. Dies wirft die Frage auf, ob ihr die angefochtenen Steuerbescheide wirksam bekanntgegeben werden konnten und ob sie im Klageverfahren eine rechtswirksame Vollmacht erteilen konnte. Die Beantwortung der Fragen hängt wesentlich davon ab, ob die Liquidation der Klägerin zu den genannten Zeitpunkten abgeschlossen war. Verneinendenfalls muß nach schweizerischem Recht geprüft werden, ob die Klägerin rechtlich fortbestand und wer sie im Rechtsverkehr vertrat.
3. a) Sollten nicht schon die nach Nrn. 1 und 2 erforderlichen Ermittlungen zu einer anderen Entscheidung führen, wird das FG die Bestimmungen der Abkommen zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern vom 15. Juli 1931 in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 - DBA-Schweiz 1931/59 - (BGBl II 1959, 1253, BStBl I 1959, 1006) und zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 - DBA-Schweiz 1971 - (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) beachten müssen. Die Annahme des FG, die Klägerin habe ihren Sitz in der Schweiz und den Mittelpunkt ihrer geschäftlichen Oberleitung in der Bundesrepublik gehabt, führt nämlich nur zu unbeschränkten Steuerpflichten der Klägerin sowohl in der Schweiz als auch in der Bundesrepublik. Aus der Bejahung der unbeschränkten Steuerpflicht in der Bundesrepublik folgt umgekehrt nicht ohne weiteres, daß der gesamte Gewinn bzw. das gesamte Betriebsvermögen der Klägerin in der Bundesrepublik zu besteuern wäre. Vielmehr schränken sowohl die DBA-Schweiz 1931/59 und 1971 als auch der Begriff des Gewerbebetriebs im Inland (§ 2 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -; Abschn. 54 Abs. 3 der Vermögensteuer-Richtlinien - VStR -) das Besteuerungsrecht in der Bundesrepublik unter Betriebsstättengesichtspunkten ein.
aa) Das DBA/Schweiz 1931/59 behandelt den sog. Sitzstaat einer Gesellschaft als deren Ansässigkeitsstaat. Dies folgt aus Art. 8 Abs. 1 und Art. 3 DBA-Schweiz 1931/59. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG ist die Schweiz der Ansässigkeitsstaat der Klägerin. Da der Sitz in der Schweiz gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1931/59 dort eine Betriebsstätte im Sinne des DBA begründet, können in der Bundesrepublik gemäß Art. 3 Abs. 3 DBA-Schweiz 1931/59 nur die Einkünfte der Klägerin besteuert werden, die durch eine hier gelegene Betriebsstätte erzielt wurden. Zwar stellt auch der Ort der Leitung gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1931/59 eine Betriebsstätte dar. Das FG wird jedoch als Folge der Existenz zweier Betriebsstätten den Gewinn und das Vermögen auf beide aufteilen müssen. Dabei wird der schweizerischen Betriebsstätte nur ein unwesentlicher Teil vor allem des Gewinns zugeordnet werden können, wenn es sich bei dem Sitz nur um ein sog. Briefkastendomizil handelt (vgl. Locher, Das schweizerische Doppelbesteuerungsabkommen, Bd. 2, B § 6, I B, 2 Nr. 1). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn das FG feststellen sollte, daß die Bestimmung des Sitzes der Klägerin in der Schweiz mißbräuchlich erfolgte, um sich den Schutz des DBA zu erschleichen.
bb) Das DBA-Schweiz 1971 behandelt dagegen den Staat der Geschäftsleitung einer Gesellschaft als deren Ansässigkeitsstaat (Art. 4 Abs. 8). Nach den Feststellungen des FG wäre die Bundesrepublik Ansässigkeitsstaat der Klägerin, soweit das DBA-Schweiz 1971 zur Anwendung gelangt. Dennoch stünde der Schweiz gemäß Art. 7 Abs. 2 DBA-Schweiz 1971 das Besteuerungsrecht für die Einkünfte zu, die die Klägerin durch eine in der Schweiz gelegene Betriebsstätte erzielt haben sollte. Das FG wird deshalb ggf. zu prüfen haben, ob der Sitz der Klägerin in der Schweiz die Voraussetzungen für die Annahme einer Betriebsstätte z. B. im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. c DBA-Schweiz 1971 erfüllte. Bejahendenfalls wird es weiter prüfen müssen, ob die in der Schweiz erzielten Betriebsstätteneinkünfte nachweislich aus einer in Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a DBA-Schweiz 1971 erwähnten Tätigkeit herrühren. Sollte dies der Fall sein, sind die schweizerischen Betriebsstätteneinkünfte von der inländischen Besteuerung freizustellen. Sollte dies nicht der Fall sein, sind die auf die schweizerischen Betriebsstätteneinkünfte entfallenden schweizerischen Steuern gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz 1971 i.V.m. § 19a Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 1969, § 34c des Einkommensteuergesetzes auf die festgesetzte Körperschaftsteuer anzurechnen. Eine entsprechende Anrechnung ist ausgeschlossen, sofern keine in der Schweiz belegene Betriebsstätte i. S. von Art. 5 DBA-Schweiz 1971 angenommen werden kann.
b) Das FG wird ggf. das DBA-Schweiz 1931/59 für die Veranlagungszeiträume 1970 und 1971 und das DBA-Schweiz 1971 zumindest für die Zeit nach dem 14. Juni 1972 anwenden müssen. Für die Zeit vom 1. Januar bis 14. Juni 1972 ist dagegen zu prüfen, ob die für den Streitfall maßgebende Regelung des DBA-Schweiz 1931/59, soweit sie die Besteuerung der Klägerin in der Bundesrepublik regelt, günstiger als die entsprechende des DBA-Schweiz 1971 ist. Bejahendenfalls stellt sich die Frage einer verfassungswidrigen Rückwirkung der in Art. 30 Abs. 1 und Art. 32 Abs. 2 DBA-Schweiz 1971 getroffenen Inkrafttretungsregelungen. Dazu nimmt der Senat auf seinen Beschluß vom 3. November 1982 I R 3/79 (BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259) Bezug.
c) In den Verfahren betreffend die Gewerbesteuermeßbescheide 1970 bis 1975 und die Feststellung der Einheitswerte des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1971, 1. Januar 1972, 1. Januar 1973 und 1. Januar 1974 ist zu beachten, daß der Gewerbeertragsteuer nur die durch inländische Betriebsstätten (§ 16 StAnpG) erzielten Gewinne und der Gewerbekapitalsteuer nur das sog. Inlandsvermögen (Abschn. 54 Abs. 3 VStR) unterworfen sind.
Fundstellen