Auskunftsanspruch nach der Datenschutz-Grundverordnung
Hintergrund: Möglicherweise unzutreffender Datenbestand bei der IZA
Streitig war, ob ein Anspruch auf Korrektur der bei der Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen (IZA) gespeicherten Daten besteht.
Die X ist eine in A (Ausland, Niederländische Antillen) registrierte Gesellschaft. Das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Z (FA Z) führte für 2006 bis 2012 eine Fahndungsprüfung durch, die zu geänderten Bescheiden und in ein Klageverfahren führte. Zentraler Streitpunkt war die Frage, wo die geschäftliche Oberleitung der X tatsächlich ansässig war. Die Finanzverwaltung meinte, dies sei im Inland gewesen. Vor dem FG kam es in 2018 zu einer tatsächlichen Verständigung dahin, dass die geschäftliche Oberleitung sich bis 2008 im Inland und ab 2009 in A befunden habe.
In 2018 beantragte X beim BZSt die Änderung der über sie bei der IZA gespeicherten Daten. Im Wesentlichen wandte sie sich gegen eine Ansässigkeit im Inland. Sie legte Firmenprofile der IZA über sie, die X, aus 2014 und 2018 vor, in denen sie als Briefkastenfirma und Offshore-Gesellschaft bezeichnet wird, die nach Ermittlungen des FA Z keine inländische Betriebsstätte unterhalte.
Das FA und ihm folgend das FG lehnten den Antrag ab. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung stehe hinter dem Interesse des Staats an einer ordnungsgemäßen Besteuerung zurück.
Entscheidung: Einschränkung der Ansprüche aus der DSGVO durch die AO
Der BFH wies die Revision zurück. X steht weder ein Anspruch auf Auskunft noch auf Änderung der Datensätze bei der IZA zu. Die Ansprüche aus der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sind in zulässiger Weise durch die AO eingeschränkt worden.
Beschränkungen der Rechte der Betroffenen
Art. 23 DSGVO ermöglicht die Einschränkung der Rechte aus Art. 13 bis 17 DSGVO durch das nationale Recht, sofern die Beschränkung den Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achtet und in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme (u.a. im Steuerbereich) darstellt. Dabei müssen die nationalen Rechtsvorschriften der Verfassungsordnung des betreffenden Mitgliedstaats entsprechen (Erwägungsgrund 41 der DSGVO).
Die AO-Vorschriften schließen das DSGVO-Auskunftsrecht aus
X steht über die (nicht bei ihr erhobenen) bei der IZA gespeicherten Daten kein Auskunftsrecht zu. Die Auskunftsansprüche aus Art. 15 DSGVO sind nach § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO ausgeschlossen. Eine Auskunftserteilung über die bei der IZA gesammelten Daten würden die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Finanzbehörden aus Art. 23 Abs. 1 Buchst. e DSGVO i.V.m. § 85 Satz 1 AO gefährden.
Verweis auf die bisherige Rechtsprechung
Der BFH verweist insoweit auf das Urteil v. 30.7.2003, VII R 45/02 (BStBl II 2004, S. 387) zu einem vergleichbaren Fall (zustimmend BVerfG v. 10.3.2008, 1 BvR 2388/03, BVerfGE 120, S. 351, BStBl II 2009, S. 23). Eine Datensammlung würde ihren Zweck verfehlen, wenn der Betroffene wüsste, welche Daten über ihn gespeichert sind. Zentral gesammelte Daten wären keine zuverlässige Entscheidungsgrundlage für die gleichmäßige Besteuerung und damit wertlos. Dass das Urteil v. 30.7.2003, VII R 45/02 (BStBl II 2004, S. 387) noch zum Bundesdatenschutzgesetz (BSDG) ergangen ist, ist unerheblich.
Nachrangigkeit des Informationsinteresses
Die Interessen der betroffenen Person an der Informationserteilung müssen demgegenüber zurücktreten. Der einfachgesetzliche Auskunftsanspruch steht hinter den überwiegenden Allgemeininteressen zurück. Auch in diesem Punkt hat sich die Rechtslage gegenüber dem Urteil v. 30.7.2003, VII R 45/02 (BStBl II 2004, S. 387) nicht maßgebend geändert. § 19 Abs. 4 Nr. 1 BDSG a.F. ist im Wesentlichen mit § 32b AO deckungsgleich. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Abwägung bestehen nicht BVerfG v. 10.3.2008, 1 BvR 2388/03, BVerfGE 120, S. 351, BStBl II 2009, S. 23.
Verhältnis zu anderen Auskunfts- und Informationszugangsansprüchen
Etwaige Ansprüche aus den Informationsfreiheitsgesetzen reichen jedenfalls im vorliegenden Kontext nicht weiter als die Ansprüche aus der AO. Nach § 32e Satz 1 AO gelten die Art. 12 bis 15 DSGVO i.V.m. §§ 32a bis 32d AO entsprechend, soweit die betroffene Person oder ein Dritter nach dem Informationsfreiheitsgesetz vom 05.09.2005 (BGBl I 2005, S. 2722) in der jeweils geltenden Fassung oder nach entsprechenden Gesetzen der Länder gegenüber der Finanzbehörde einen Anspruch auf Informationszugang hat. Weitergehende Informationsansprüche über steuerliche Daten sind nach § 32e Satz 2 AO insoweit ausgeschlossen.
Kein selbständiger Berichtigungs- und Löschungsanspruch
Ein selbständiger Berichtigungs- oder Löschungsanspruch aus Art. 16, 17 DSGVO, der von einem vorgängigen Auskunftsanspruch unabhängig wäre, existiert nicht. Vielmehr ist § 32c AO dahin auszulegen, dass der Ausschluss des Auskunftsanspruchs auch einen Ausschluss des Berichtigungs- und Löschungsanspruchs beinhaltet. Würde man einen selbständigen Berichtigungs- oder Löschungsanspruch anerkennen, würde man dem Anspruchsteller im Rahmen dieses Verfahrens diejenige Auskunft geben, auf die er nach § 32c AO gerade keinen Anspruch hat.
Hinweis: Keine Einzelabwägung
Zum Teil wird vertreten, bei der Abwägung, ob die Interessen der Finanzverwaltung gefährdet sind, sei auf die Interessen im Einzelfall abzustellen. Der BFH tritt dem entgegen. Denn dies wäre ohne Preisgabe aller vorliegenden Datensätze nicht möglich. Damit wäre die begehrte Auskunft bereits erteilt und die Prüfung obsolet. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob (wie im Streitfall) der Steuerpflichtige aus dritter Quelle tatsächlich Kenntnis von den bei der IZA über ihn gespeicherten Datensätzen hat, zumal ohne umfängliche Auskunftserteilung niemals feststeht, ob diese Kenntnis noch dem Datenbestand zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung entspricht.
BFH Urteil vom 17.11.2021 - II R 43/19 (veröffentlicht am 12.05.2022)
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