Leitsatz (amtlich)
Gegen Ergänzungsurteile (§ 109 FGO), in denen lediglich eine Kostenentscheidung nachgeholt wird, ist im allgemeinen kein Rechtsbehelf gegeben, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird. Eine Ausnahme hiervon besteht in den Fällen, in denen eingewendet wird, das Ergänzungsurteil hätte aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht ergehen dürfen.
Normenkette
FGO § 145 Abs. 1, § 109 Abs. 1
Tatbestand
1. Die Revisionsklägerin, die an einer ungeteilten Erbengemeinschaft beteiligt war, hatte den Bescheid über die einheitliche Gewinnfeststellung 1953 mit der Berufung angefochten. Zum Berufungsverfahren waren die übrigen an dem festgestellten Gewinn Beteiligten nach § 239 Abs. 3 Satz 1 AO a. F. zugezogen worden.
Die Berufung wurde mit Urteil vom 15. Dezember 1965 zurückgewiesen; das Urteil wurde dem Beteiligten im Januar 1966 zugestellt. Die im Urteil enthaltene Kostenentscheidung beschränkte sich auf die Feststellung, daß die Berufungsführerin die Kosten des Verfahrens über die Berufung trägt.
Die gegen das Urteil vom 15. Dezember 1965 eingelegte Revision nahm die Revisionsklägerin am 22. Juni 1966 wieder zurück.
2. Mit Schreiben vom 23. August 1966 stellten die zum Verfahren Zugezogenen (Beigeladenen) den Antrag, ihre außergerichtlichen Kosten im Verfahren vor dem FG und dem BFH gemäß § 139 Abs. 4 FGO für erstattungsfähig zu erklären.
Mit Beschluß vom 27. Dezember 1966 gab das FG diesem Antrag statt. Es führte aus, daß es sich hierbei um eine Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren handle, die jederzeit auch außerhalb des Urteils habe nachgeholt werden können.
Auf die hiergegen von der Revisionsklägerin erhobene Beschwerde hob der BFH den Beschluß des FG vom 27. Dezember 1966 mit Beschluß VI B 9/67 vom 21. Dezember 1967 (BFH 91, 65, BStBl II 1968, 206) auf. Zur Begründung führte er aus, das FG habe zwar die Frage, ob die außergerichtlichen Kosten der Zugezogenen (Beigeladenen) erstattungsfähig seien, mit Recht nach § 139 Abs. 4 FGO beurteilt; die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen gehöre jedoch nicht in das Kostenfestsetzungsverfahren; sie sei vielmehr Teil der gerichtlichen Kostenentscheidung nach den §§ 143, 144 FGO.
Das Begehren der Beigeladenen auf Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten im Verfahren vor dem FG faßte das FG nunmehr als einen - mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbundenen - Antrag auf Ergänzung des Urteils vom 15. Dezember 1965 auf. Es erließ am 23. November 1970 ein Ergänzungsurteil, mit dem es "die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Klage- (Berufungs-)verfahren ... der Klägerin" und die durch den Antrag auf Wiedereinsetzung entstandenen Kosten den Beigeladenen auferlegte. Zur Begründung führte es aus, daß die Kostenentscheidung im Urteil vom 15. Dezember 1965 insofern unvollständig gewesen sei, als es an einer Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen der Beigeladenen gefehlt habe. Das Urteil sei auf Antrag hin zu ergänzen gewesen.
Gegen das - dem Prozeßvertreter der Revisionsklägerin am 23. Januar 1971 zugestellte - Ergänzungsurteil ließ die Revisionsklägerin mit Schriftsatz vom 22. Februar 1971, der noch am selben Tag beim FG einging, durch ihren Prozeßvertreter "das zulässige Rechtsmittel" einlegen. Sie wisse nicht, welcher Rechtsbehelf gegeben sei. Nach der dem Urteil beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung sei die Revision zulässig; andererseits könne aus dem in den Entscheidungsgründen enthaltenen Hinweis auf § 145 FGO geschlossen werden, daß auch die einfache Beschwerde statthaft sei. Zur Sache läßt die Revisionsklägerin in ihrer am 19. März 1971 beim FG eingegangenen Revisionsbegründung geltend machen, die Möglichkeit, eine Urteilsergänzung nach § 109 FGO zu beantragen, sei an eine Ausschlußfrist gebunden. Diese Frist hätten die Beigeladenen versäumt. Es habe auch an einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) gefehlt. Das Ergänzungsurteil hätte deshalb nicht ergehen dürfen.
Die Revisionsklägerin beantragt, das Ergänzungsurteil ersatzlos aufzuheben.
Die Beigeladenen beantragen die Zurückverweisung der Revision.
Das FA beantragt, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht ihm - dem FA - aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
1. Für die Frage, ob ein und ggf. welcher Rechtsbehelf gegen die angefochtene Entscheidung gegeben ist, kommt es zunächst auf die Art der Entscheidung an.
Das angefochtene Urteil wurde als Ergänzungsurteil erlassen. Ergänzungsurteile nach § 109 FGO sind in der Regel selbständig anfechtbar (v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., Anm. 13 zu § 109 FGO; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., Randnr. 10 zu § 109). Eine Ausnahme von der selbständigen Anfechtbarkeit kann allerdings dann in Betracht kommen, wenn im Ergänzungsurteil lediglich eine Kostenentscheidung nachgeholt wird. Denn nach § 145 Abs. 1 FGO ist die Anfechtung der Entscheidung über den Kostenpunkt unzulässig, wenn nicht auch gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird. Die Vorschrift des § 145 Abs. 1 FGO geht von dem Gedanken aus, daß die Kostenentscheidung des Gerichts in der Regel nur einen unselbständigen Teil der Entscheidung zur Hauptsache bildet (vgl. § 143 Abs. 1 FGO) und deshalb nur zusammen mit der Entscheidung in der Hauptsache angefochten werden kann. Zweck dieser Regelung ist es, zu vermeiden, daß das höhere Gericht bei der Entscheidung der Frage, inwieweit der Kläger im Rechtsstreit unterlegen ist, die rechtskräftig gewordene Entscheidung in der Hauptsache abweichend von der Vorinstanz beurteilt (BFH-Urteil III 106/61 U vom 30. August 1963, BFH 77, 722, BStBl III 1963, 585). Die Überprüfung der Kostenentscheidung allein könnte dazu führen, daß die Kostenentscheidung geändert und dann nicht mehr den auf die Hauptsacheentscheidung ausgerichteten §§ 135 ff. FGO entsprechen würde. Etwas derartiges würde der Abhängigkeit der Kostenentscheidung von der Hauptsacheentscheidung widersprechen (v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., Anm. 2 zu § 145 FGO; Ziemer-Birkholz, a. a. O.). Die Gefahr solcher Widersprüche besteht grundsätzlich auch, wenn ein Gericht seine zur Hauptsache ergangene Entscheidung durch eine Entscheidung im Kostenpunkt ergänzt und das Ergänzungsurteil unabhängig von dem zur Hauptsache ergangenen Urteil angefochten werden kann.
Wenn allerdings gegen ein Ergänzungsurteil lediglich eingewendet wird, die in ihm enthaltene Kostenentscheidung hätte aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht ergehen dürfen, so daß es insoweit keiner inhaltlichen Überprüfung der im Ergänzungsurteil nachgeholten Kostenentscheidung bedarf, dann entfällt auch die Gefahr einer abweichenden Beurteilung der unanfechtbar entschiedenen Hauptsache durch die die Kostenentscheidung überprüfende höhere Instanz. Für derartige Einwendungen ist die Revision deshalb statthaft (vgl. BFH-Urteil III 106/61 U, a. a. O.; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., S. 409).
Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, daß gegen die Zulässigkeit der Einwendungen, die die Revisionsklägerin gegen das von ihr angefochtene Ergänzungsurteil vom 23. November 1970 erhebt, keine Bedenken bestehen. Denn die Revisionsklägerin ficht das Urteil nur deshalb an, weil es nach ihrer Auffassung an dem nach § 109 FGO vorausgesetzten Antrag fehlt; gegen den materiell-rechtlichen Inhalt wendet sie sich dagegen nicht.
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision liegen auch im übrigen vor; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 120 FGO).
2. Die Ansicht der Revisionsklägerin, es habe an den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für das Ergehen eines Ergänzungsurteils gefehlt, trifft nicht zu.
Es ist zwar richtig, daß der für den Erlaß eines Ergänzungsurteils nach § 109 Abs. 1 FGO erforderliche Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des ergänzungsbedürftigen Urteils von einem Beteiligten gestellt werden muß und es hieran im vorliegenden Fall gefehlt hat, weil das ergänzungsbedürftige Urteil den Beigeladenen bereits am 31. Januar 1966 zugestellt worden ist und ein Antrag auf Ergänzung erst am 23. August 1966 - und damit verspätet - bei Gericht einging.
Den Antragstellern mußte jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) gewährt werden, da sie ohne Verschulden verhindert waren, die Antragsfrist des § 109 FGO einzuhalten.
Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, haben sich die Beigeladenen sowie deren Prozeßbevollmächtigte in einem entschuldbaren Irrtum über die Möglichkeit und das Erfordernis einer Urteilsergänzung befunden. Der Irrtum beruhte auf der Unsicherheit über den zeitlichen Anwendungsbereich der am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen FGO.
Damals konnte es für einen Prozeßbeteiligten noch zweifelhaft sein, ob die Kostenentscheidung eines Urteils, das am 15. Dezember 1965 beschlossen, aber erst im Januar 1966 zugestellt worden ist, nach dem bis zum 31. Dezember 1965 geltenden Recht der AO oder nach dem ab 1. Januar 1966 geltenden Recht der FGO beurteilt werden mußte (vgl. § 184 Abs. 1 Satz 1 FGO). Es konnten deshalb auch Zweifel bestehen, ob für ein zu diesem Zeitpunkt beschlossenes Urteil bereits die Möglichkeit einer Kostenauferlegung nach § 139 Abs. 4 FGO bestand. Die Beigeladenen konnten der Meinung sein, daß das am 15. Dezember 1965 beschlossene Urteil, in dem die Kostenentscheidung noch nach altem Recht getroffen worden war, vollständig war und somit einer Ergänzung nicht bedurfte. Über die Frage, ob das Urteil vom 15. Dezember 1965 noch im Jahre 1965 oder bereits im Jahre 1966 "ergangen ist" und die Kostenentscheidung demzufolge noch nach altem oder schon nach neuem Recht hätte getroffen werden müssen, besteht erst seit dem BFH-Urteil VI R 80/66 vom 15. Juli 1966 (BFH 86, 543, BStBl III 1966, 595, veröffentlicht im BStBl am 21. November 1966) Klarheit; nach dieser Entscheidung ist ein Urteil nicht schon dann ergangen, wenn es "beschlossen" und "unterschrieben" ist, sondern erst, wenn es dem Beteiligten verkündet oder zugestellt wurde.
Dem FG ist darin beizutreten, daß es den Schriftsatz der Beigelandenen vom 23. August 1966, in dem sie ihre außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig erklären lassen wollten, als einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand deutete. Auch bei prozessualen Erklärungen ist der wirkliche Wille der Beteiligten zu erforschen (BFH-Beschluß III B 2/67 vom 23. Februar 1968, BFH 91, 559, BStBl II 1968, 441).
War aber der Erlaß eines Ergänzungsurteils verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, dann konnte auch die Revision der Revisionsklägerin gegen das Ergänzungsurteil keinen Erfolg haben. Eine über die verfahrensrechtliche Zulässigkeit des Ergänzungsurteils hinausgehende Prüfung findet, wie oben ausgeführt, im gegenwärtigen Revisionsverfahren nicht statt.
Fundstellen
BStBl II 1972, 770 |
BFHE 1972, 170 |