Entscheidungsstichwort (Thema)
Schachtelprivileg für Beteiligungsvermögen nach DBA-Niederlande
Leitsatz (amtlich)
Gehören einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in der Bundesrepublik mehr als 25 v.H. der stimmberechtigten Anteile an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in den Niederlanden, sind die Anteile in der Bundesrepublik von der Besteuerung auszunehmen.
Normenkette
DBA NLD Art. 13 Abs. 4, Art. 19 Abs. 1 Buchst. c, Art. 20 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Zu den im Streit befindlichen Feststellungszeitpunkten 1. Januar 1983, 1. Januar 1984 und 1. Januar 1985 war die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Kapitalgesellschaft, zu 100 v.H. an der X-B.V. mit Sitz in den Niederlanden beteiligt. Geschäftszweck der X-B.V. sind die Beteiligung an anderen Unternehmen, die Führung und Finanzierung anderer Gesellschaften, das Factoring sowie die Darlehensgewährung und alle damit verbundenen Geschäfte. Die X-B.V. hatte zu diesem Zweck im Jahr 1982 die Y-N.V., Curacao, Niederländische Antillen, gegründet, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) Finanzmittel für langfristige Finanzierungen anderer zur X-Gruppe gehörender ausländischer Gesellschaften besorgen sollte.
Nachdem die Klägerin in ihren Vermögensaufstellungen zur Ermittlung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs die Beteiligung an der X-B.V. zunächst selbst als steuerpflichtiges Betriebsvermögen behandelt hatte, beantragte sie, die Beteiligungen wegen eines nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiet (DBA-Niederlande) vom 16. Juni 1959 (BGBl II 1960, 1782, BStBl I 1960, 382) bestehenden Schachtelprivilegs von der deutschen Vermögensbesteuerung auszunehmen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) folgte dem nicht, als er nach einer Betriebsprüfung die Feststellungen der Einheitswerte des Betriebsvermögens änderte (Bescheide vom 22. Februar 1991). Das FA setzte die Beteiligung zum 1. Januar 1983 mit 10 031 971 DM, zum 1. Januar 1984 mit 8 775 014 DM und zum 1. Januar 1985 mit 8 560 693 DM an. Die Einsprüche wies das FA als unbegründet zurück.
Die Klage, mit der die Klägerin daran festhielt, dass ihr für die Beteiligung an der X-B.V. nach dem DBA-Niederlande ein Schachtelprivileg zustehe, blieb erfolglos. Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 341 veröffentlichten Urteil vertrat das Finanzgericht (FG) die Ansicht, dass das DBA-Niederlande ein vermögensteuerliches Schachtelprivileg nicht enthalte. Das Schachtelprivileg nach § 102 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) greife nicht ein, weil die X-B.V. ihre Bruttoerträge nicht fast ausschließlich aus unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 des Außensteuergesetzes (AStG) fallenden Tätigkeiten beziehe und sie auch nicht nach § 8 Abs. 2 AStG als "aktiv" zu behandeln sei.
Mit der Revision rügt die Klägerin fehlerhafte Anwendung der Art. 19 Abs. 1 Buchst. c, Art. 13 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 2 DBA-Niederlande. Ihrer Ansicht nach steht nach diesem Abkommen das Besteuerungsrecht für Schachtelbeteiligungen ausschließlich den Niederlanden zu. Die Bundesrepublik habe diese Vermögensteile freizustellen.
Ferner macht die Klägerin geltend, dass die Versagung des Schachtelprivilegs nach § 102 Abs. 2 BewG unter Berufung auf den Aktivitätsvorbehalt mit den Art. 52, 58 (jetzt: Art. 43, 48) des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) sowie der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft 88/631 vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Art. 67 EGV (Kapitalverkehrsrichtlinie) nicht vereinbar sei. § 102 Abs. 2 BewG sei insoweit unwirksam.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einheitswerte des Betriebsvermögens unter Berücksichtigung des Schachtelprivilegs für die Anteile an der X-B.V. festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet.
Die Anteile der Klägerin an der X-B.V. sind nach Art. 19 Abs. 1 Buchst. c sowie Art. 20 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 4 DBA-Niederlande von der Besteuerung durch die Bundesrepublik auszunehmen. Nach dem DBA-Niederlande folgt das Recht der Besteuerung des Vermögens grundsätzlich dem Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus diesem Vermögen. Für Einkünfte aus Anteilen an Kapitalgesellschaften mit Sitz im jeweils anderen Vertragsstaat haben nach dem DBA-Niederlande grundsätzlich beide Vertragsstaaten ein Besteuerungsrecht. Auf das daraus sich ergebende Recht zur Besteuerung des Anteilsvermögens hat allerdings die Bundesrepublik für Schachtelbeteiligungen i.S. des Art. 13 Abs. 4 DBA-Niederlande verzichtet. Da das FG von einem anderen Rechtsstandpunkt ausgegangen ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Nach Art. 19 Abs. 1 Buchst. c DBA-Niederlande folgt das Recht der Besteuerung des einem gewerblichen Unternehmen dienenden Vermögens dem Recht der Besteuerung der Einkünfte aus diesem Vermögen. Daraus ergibt sich für die zum Betriebsvermögen der Klägerin gehörende Beteiligung an der X-B.V. ein Besteuerungsrecht sowohl der Bundesrepublik als auch der Niederlande (so auch Grotherr in Becker/Höppner/Grotherr/ Kroppen, DBA-Niederlande, Art. 20 Rn. 17; Müller-Dott, Betriebs-Berater ―BB― 1988, 1797 und 1989, 831).
a) Das Recht zur Besteuerung der laufenden Einkünfte aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften ist in Art. 13 DBA-Niederlande geregelt. Die Regelung gilt unabhängig davon, ob die Beteiligung im Privat- oder Betriebsvermögen gehalten wird (vgl. Schauhoff in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Kommentar, Art. 8 DBA-Niederlande Rn. 1, 2, Art. 13 Rn. 5; Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, a.a.O., Art. 5 Rn. 13; Vogel, DBA, 3. Aufl., Art. 10 Rn. 9). Nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Niederlande hat der Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht für Dividenden, die eine Person aus dem anderen Staat bezieht. Nach Abs. 2 der Vorschrift bleibt jedoch das Recht des anderen Staates, die Steuer von Kapitalerträgen im Abzugswege (an der Quelle) zu erheben, unberührt. Es wird lediglich durch Art. 13 Abs. 3 und Abs. 4 DBA-Niederlande der Höhe nach begrenzt, wobei in Abs. 4 für Schachtelbeteiligungen von mindestens 25 v.H. eine niedrigere Grenze vorgeschrieben wird. Dieses Besteuerungsrecht des Quellenstaates steht rechtssystematisch neben dem uneingeschränkten Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates nach Abs. 1 der Vorschrift (zum wortgleichen Art. 13 DBA-Luxemburg: Siegers in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 13 DBA-Luxemburg Rn. 100).
b) Die Folgerungen, die aus der Zuweisung der Rechte zur Besteuerung der Einkünfte und daran anknüpfend des Vermögens zu ziehen sind, ergeben sich aus Art. 20 DBA-Niederlande. Nach dessen Abs. 1 darf grundsätzlich der andere Staat die Einkünfte oder Vermögensteile nicht besteuern, für die der Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht hat. Das Recht des anderen Staates zum Quellensteuerabzug soll allerdings unberührt bleiben. Abs. 2 regelt sodann, wie die Bundesrepublik dies umzusetzen hat. Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift sieht vor, dass der deutsche Fiskus die Einkünfte oder Vermögensteile aus der Bemessungsgrundlage ausnimmt, für die die Niederlande ein Besteuerungsrecht haben. Satz 2 ermöglicht ihm lediglich, diese Einkünfte oder Vermögensteile beim Steuertarif zu berücksichtigen.
Die in den Sätzen 1 und 2 des Art. 20 Abs. 2 DBA-Niederlande angeordneten Rechtsfolgen haben nicht zur Voraussetzung, dass das Besteuerungsrecht ausschließlich entweder dem einen oder dem anderen Vertragsstaat zusteht. Dies wäre im unmittelbaren Anschluss daran, dass in Abs. 1 Satz 2 dem möglichen Nebeneinander von Besteuerungsrechten beider Vertragsstaaten noch eigens Rechnung getragen worden ist, auch unverständlich. Zutreffend ist daher in Abs. 2 Satz 1 nicht von dem Besteuerungsrecht der Niederlande, sondern von einem Besteuerungsrecht die Rede. Der deutsche Steuerfiskus hat gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 DBA-Niederlande nicht nur die Einkünfte oder Vermögensteile aus der Bemessungsgrundlage auszunehmen, für die den Niederlanden das ausschließliche Besteuerungsrecht zusteht, sondern auch solche Einkünfte und Vermögensteile, für die an sich beide Vertragsstaaten ein Besteuerungsrecht hätten.
Dies wird durch Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Niederlande bestätigt. Dort wird noch einmal ausdrücklich auf das gemäß Abs. 1 Satz 2 unberührt bleibende Recht des anderen Vertragsstaates zum Quellensteuerabzug eingegangen und angeordnet, dass abweichend von Abs. 2 Satz 1 keine Herausnahme aus der Bemessungsgrundlage zu erfolgen hat. Da dies ausdrücklich als Ausnahme von Abs. 2 Satz 1 verstanden wird, muss das Recht der Niederlande zum Quellensteuerabzug zunächst einmal unter die in Abs. 2 Satz 1 angesprochenen Besteuerungsrechte der Niederlande gefallen sein.
Wenn nunmehr Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Niederlande als Ausnahme von der Ausnahme zu Abs. 2 Satz 1 vorsieht, dass in den Fällen des Art. 13 Abs. 4 DBA-Niederlande ―also in den Fällen einer Schachtelbeteiligung― es bei der Grundregel bleibt, wonach die Bemessungsgrundlage insoweit zu kürzen ist, als sie auch von den Niederlanden besteuert werden darf, bedeutet dies, dass der deutsche Fiskus Schachtelbeteiligungen an Gesellschaften in den Niederlanden nicht mit deutscher Vermögensteuer belegen darf.
Allerdings ist in Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Niederlande im Gegensatz zu Satz 1 und 2 der Vorschrift nicht mehr von Einkünften oder Vermögensteilen, sondern ―soweit hier maßgeblich― nur noch von Dividenden die Rede; dies ändert aber am Ergebnis zumindest bei Schachtelbeteiligungen nichts. Denn entweder ist die in Abs. 2 Satz 3 für Dividenden getroffene Regelung infolge des Art. 19 Abs. 1 DBA-Niederlande auch auf die Vermögensteile zu erstrecken, die zu den Dividenden geführt haben, oder aber es bleibt von vornherein bezüglich der Vermögensbesteuerung bei der Grundregel des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 DBA-Niederlande.
c) Unerheblich ist auch, dass in den Niederlanden auf die Beteiligung der Klägerin an der X-B.V. keine Vermögensteuer erhoben wird, weil nach niederländischem Recht Kapitalgesellschaften nicht persönlich vermögensteuerpflichtig sind. Das DBA-Niederlande will bereits eine potentielle Doppelbesteuerung vermeiden. Es enthält keine Klausel, wonach die Freistellung von Vermögensteilen durch den Wohnsitzstaat Bundesrepublik nur dann erfolgt, wenn die Vermögensteile im anderen Staat tatsächlich der Vermögensteuer unterliegen.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Klägerin steht das Schachtelprivileg des Art. 20 Abs. 2 i.V.m. Art. 13 Abs. 4 DBA-Niederlande zu. Sie ist an der X-B.V zu 100 v.H. beteiligt und diese Beteiligung dient ihrem gewerblichen Unternehmen. Das FG hat allerdings bislang ―von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht― nicht festgestellt, ob und inwieweit die in den Vermögensaufstellungen enthaltenen Schulden in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Beteiligung an der X-B.V. stehen. Sollte sich ergeben, dass die geltend gemachten Betriebsschulden im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Beteiligung stehen, wären diese insoweit nicht abziehbar, als sie den Wert der Beteiligung nicht übersteigen (§ 103 Abs. 1 BewG). Lediglich ein etwaiger Schuldenüberhang wäre auch bei einer Schachtelbeteiligung an einer Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden abziehbar (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs vom 8. März 1995 II R 10/92, BFHE 177, 132; Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., § 102 BewG Anm. 93). Die entsprechenden Feststellungen sind nachzuholen, weshalb die Sache an die Vorinstanz zurückgeht.
Fundstellen
Haufe-Index 782018 |
BFH/NV 2002, 1375 |
BStBl II 2003, 231 |
BFHE 199, 14 |
BFHE 2002, 14 |
BB 2002, 1902 |
DB 2002, 2251 |
DStRE 2002, 1194 |
HFR 2002, 976 |