Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs wird verletzt, wenn das FG seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, zu dem sich die Prozeßbeteiligten nicht geäußert haben und nach dem Verlauf des Verfahrens hierzu auch keine Veranlassung bestand.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt den Personenverkehr mit Omnibussen und den Gütertransport mit Eisenbahn und Lastkraftwagen. Im Jahr 1970 hat sie eine sogenannte Übergangshilfe für nichtbundeseigene Eisenbahnen aus Bundesmitteln bezogen, die ihr der Bundesminister für Verkehr für die Jahre 1968 und 1969 aufgrund von Richtlinien bewilligt hat. Hierfür waren Haushaltsmittel vorgesehen. Nach den Richtlinien sollten mit der Überbrückungshilfe Nachteile aus dem Übergang zur Mehrwertsteuer bei Beförderungen im Schienenverkehr ausgeglichen werden. Antragsberechtigt waren nichtbundeseigene Eisenbahnen, die im Jahre 1967 von der Entrichtung von Beförderungsteuer aus dem Schienenverkehr freigestellt waren (§ 3 Abs. 4 BefStG) oder die eine erhebliche Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nachwiesen. Die Übergangshilfe wurde bis zur Höhe der Umsatzsteuerzahllast gewährt und durfte den ausgewiesenen Verlust nicht übersteigen. Die bewilligten Beträge wurden gegen die einstweilen gestundete Umsatzsteuerschuld verrechnet.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hat diesen Zuschuß als zum Gewerbeertrag der Klägerin für das Jahr 1970 gehörig angesehen. Demgegenüber ist die Klägerin der Auffassung, es handele sich um Bezüge aus öffentlichen Mitteln, die wegen Hilfsbedürftigkeit gewährt würden und deswegen nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei seien. Diese Vorschrift sei gemäß § 6 des KStG auch für Körperschaften anwendbar.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das FG ließ dahingestellt, ob § 3 Nr. 11 EStG auch für Körperschaften anwendbar sei, verneinte jedoch, daß Bezüge aus öffentlichen Mitteln vorlägen, die wegen Hilfsbedürftigkeit bewilligt worden seien. Die zunächst für bestimmte Sozialausgaben vorgesehene Steuervergünstigung könne nicht ohne weiteres auf öffentliche Subventionen an private Gewerbebetriebe ausgedehnt werden. Im Streitfall werde nur die Güterbeförderung auf dem Schienenwege, nicht aber die sonstige Tätigkeit der Klägerin gefördert. Dabei handle es sich um einen Ertragszuschuß, der ersichtlich deshalb gewährt worden sei, weil die Tarife für den Schienenverkehr der Mehrbelastung durch die Umsatzsteuer nicht hätten angepaßt werden können. Solche laufenden Subventionen würden auch sonst in unterschiedlicher Weise gewährt und seien voll zu versteuern.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin in erster Linie, das FG habe ihr nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt. Die Beteiligten hätten auf mündliche Verhandlung verzichtet, da nur unterschiedliche Rechtsauffassungen über die Frage bestanden hätten, ob § 3 Nr. 11 EStG auch auf Körperschaften Anwendung finden könne. Von der Zweifelhaftigkeit der Frage, ob hier ein öffentlicher Zuschuß i. S. dieser Vorschrift gewährt worden sei, seien weder sie - die Klägerin - noch das FA ausgegangen (vgl. Einspruchsentscheidung vom 31. Januar 1975 S. 2 unten und Klageschrift vom 28. Februar 1975 S. 2 zweiter Absatz). Wenn das FG sein Urteil auf diesen Punkt entscheidend habe stützen wollen, so hätte es den Parteien vorher Gelegenheit zur Darlegung einer abweichenden Auffassung des FG einräumen müssen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG, den Gewerbesteuermeßbescheid für das Jahr 1970 und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Steuermeßbetrag nach dem Gewerbeertrag auf null DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Das FG hat den Beteiligten das rechtliche Gehör versagt (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des GG).
Das FA hat in seiner Einspruchsentscheidung vom 31. Januar 1975, auf die sich die Klägerin in ihrer Revisionsrüge besonders bezieht, ausdrücklich zugestanden, daß die der Klägerin vom Bund gewährten Beträge als Bezüge aus öffentlichen Mitteln anzuerkennen seien, den Einspruch indessen zurückgewiesen, weil es davon ausgegangen war, der BFH habe in der Entscheidung vom 19. Juli 1972 I R 109/70 (BFHE 106, 438, BStBl II 1972, 839) seine früher im Urteil vom 1. März 1966 I 168/63 (BFHE 85, 316, BStBl III 1966, 324) vertretene Auffassung, § 3 Nr. 11 EStG gelte nicht für Kapitalgesellschaften, nicht aufgegeben, sondern diese Streitfrage offengelassen. In der Klageschrift vom 28. Februar 1975, auf die die Klägerin gleichfalls ordnungsgemäß Bezug genommen hat, hat die Klägerin besonders hervorgehoben, es sei unstreitig, daß es sich bei der ihr gewährten Übergangsbeihilfe um öffentliche Mittel i. S. des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG handle. In der Klageerwiderung vom 11. April 1975 hat das FA dieser Aussage der Klägerin nicht nur nicht widersprochen, sondern ausdrücklich auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung Bezug genommen. Weitere vorbereitende Schriftsätze wurden nicht gewechselt. Eine mündliche Verhandlung hat vor dem FG nicht stattgefunden.
Bei diesem Prozeßverlauf hatte die Klägerin keine Veranlassung, sich zu einer anderen als der Frage zu äußern, ob § 3 Nr. 11 EStG auch auf Körperschaften anwendbar sei. Das FG durfte die Beteiligten unter diesen Umständen nicht mit einem Urteil überraschen, in dem es die Frage der Anwendbarkeit des § 3 Nr. 11 EStG auf Körperschaften dahingestellt ließ und entscheidend darauf abstellte, es lägen keine Bezüge aus öffentlichen Mitteln vor, die wegen Hilfsbedürftigkeit bewilligt worden seien. Das FG hätte die Beteiligten darauf hinweisen müssen, daß die Anwendbarkeit des § 3 Nr. 11 EStG auch aus diesem Grunde zweifelhaft sei. In der Unterlassung eines solchen Hinweises liegt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juli 1972 I R 205/70, BFHE 107, 186, BStBl II 1973, 59). Der Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs wird verletzt, wenn das FG seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, zu dem sich die Prozeßbeteiligten nicht geäußert haben und nach dem Verlauf des Verfahrens hierzu auch keine Veranlassung bestand.
Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt wurde (§ 119 Nr. 3 FGO). Der Senat kann daher auf die sachlich-rechtlichen Fragen nicht eingehen. Die Sache geht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Fundstellen
Haufe-Index 72606 |
BStBl II 1978, 59 |
BFHE 1978, 404 |