Leitsatz (amtlich)
Das FA ist auch dann berechtigt, die Grunderwerbsteuer, die wegen bestehender Bebauungsabsicht zunächst unerhoben blieb, nach Fertigstellung der Bebauung wegen Nichtverwirklichung des steuerbegünstigten Tatbestands nachzufordern, wenn bereits eine gründliche Überprüfung der eingereichten Verträge hätte zu dem Schluß führen können, daß eine Freistellung von der Steuer nicht in Betracht kommt. Hieran ändert auch der Umstand nichts, daß das FA einen schriftlichen Freistellungsbescheid unter Nachversteuerungsvorbehalt erteilt hat (Fortentwicklung von BFH-Urteil vom 4.Mai 1983 II R 6/82, BFHE 138, 480, BStBl II 1983, 609).
Orientierungssatz
1. Will der Erwerber eines Grundstücks sichergehen, daß die geplante und die durchgeführte Bebauung als Verwirklichung des steuerbegünstigten Zwecks anerkannt wird und zur endgültigen Grunderwerbsteuerfreiheit führt, so bleibt nur der Weg, vor dem Erwerb unter Vorlage aller Unterlagen eine dahingehende verbindliche Auskunft zu erlangen. Die Äußerungen des Senats in seinem Urteil vom 4.5.1983 II R 6/82 sind entsprechend einzuschränken.
2. Wurde der Erwerb eines unbebauten Grundstücks nach § 6 Abs. 1 Nr. 9 GrEStG Berlin vorläufig von der Grunderwerbsteuer freigestellt und ist nach dem Wortlaut des mit einem Wohnungsbauunternehmen abgeschlossenen Vertrags davon auszugehen, daß Gegenstand des einheitlichen Vertrags eine fertige Eigentumswohnung war und deshalb eine Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 9 GrEStG Berlin nicht in Betracht kommt, entstand angesichts der Tatbestandswirkung der materiell vorläufigen Freistellung die Grunderwerbsteuer erst mit der Fertigstellung des Bauvorhabens; denn in diesem Zeitpunkt stand endgültig fest, daß die eigene Zweckverwirklichung nicht möglich war. § 10 Abs. 1 Nr. 6 GrEStG Berlin galt entsprechend. Im Zeitpunkt der Fertigstellung des Bauvorhabens endete in diesem Falle auch die Aufgeldpflicht gemäß § 10 Abs. 5 GrEStG Berlin.
Normenkette
GrEStG BE § 6 Abs. 1 Nr. 9; GrEStG BE § 9 Abs. 3; GrEStG BE § 10 Abs. 1 Nr. 6; GrEStG BE § 10 Abs. 5
Tatbestand
Der Kläger schloß am 3.April 1973 einen notariell beurkundeten Vertrag mit einem Wohnungsbauunternehmen, der A. Der Vertrag bestand aus drei Abschnitten.
In Abschnitt A wurde mitgeteilt, daß auf dem Grundstück, welches Vertragsgegenstand war, ein Wohnhaus mit sieben Wohnungen entstehe, wobei die Gemeinschaft der späteren Wohnungseigentümer Bauherr sei. Die A. verkaufe das von ihr erworbene Grundstück zum Selbstkostenpreis an die einzelnen Bauherren der Eigentumswohnungen gemäß ihren Anteilen an der Bauherrengemeinschaft. Die A. errichte das Bauvorhaben schlüsselfertig als Generalunternehmer zu einem Festpreis.
Abschnitt B regelte den Verkauf eines ideellen Miteigentumsanteils von 117/1000 durch die A. an den Kläger gegen einen Kaufpreis von 31 765 DM.
Abschnitt C enthielt einen Bauvertrag, ausweislich dessen der Kläger der A. die schlüsselfertige Herstellung des Bauvorhabens in der Weise übertrug, daß er für das geschuldete Entgelt nur in Höhe von 117/1000 (*= 124 385 DM) hafte. Die A. sollte das Gebäude in eigener Verantwortung errichten und verpflichtete sich, es zu dem vereinbarten Preis zu liefern. Sie behielt sich vor, an der Bauplanung Änderungen vorzunehmen, sofern dies zweckmäßig erschiene oder wegen behördlicher Auflagen oder aus technischen Gründen notwendig werden würde.
Der notariell beurkundete Vertrag wurde dem Finanzamt (FA) durch den Notar mit Schreiben vom 26.April 1973 übersandt. Der Kläger beantragte Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs.1 Nr.9 des früheren Berliner Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG).
Das beklagte FA verfügte am 21.September 1973, daß der Erwerb des Miteigentumsanteils durch den Kläger zunächst gemäß § 6 Abs.1 Nr.9 GrEStG von der Besteuerung ausgenommen sei. Der Kläger wurde durch Schreiben vom gleichen Tage benachrichtigt. In diesem Schreiben hieß es wörtlich: "Auf Ihren o.a. Antrag wird festgestellt, daß der genannte Erwerb von der Besteuerung ausgenommen ist." Wegen einer etwaigen Nacherhebung der Grunderwerbsteuer wurde auf die in dem Antragsformular enthaltene Erklärung des Klägers verwiesen.
Am 29.März 1977 antwortete die Betriebsprüfungsstelle des FA für Körperschaften dem beklagten FA auf eine entsprechende Anfrage vom 10.März 1977, daß nach den Feststellungen, die während der Betriebsprüfung bei der A. getroffen worden seien, diese Bauherrin der Eigentumswohnungen gewesen sei. Mit Schreiben vom 23.Mai 1977 vertrat dann das beklagte FA selbst diese Auffassung gegenüber dem Kläger. Es teilte ihm mit, daß der Erwerb des Miteigentumsanteils und der Eigentumswohnung allenfalls unter § 6 Abs.1 Nr.12 GrEStG falle.
Als sich aufgrund einer telefonischen Mitteilung des Bevollmächtigten des Klägers ergab, daß dieser die Eigentumswohnung weder bewohne noch sie beziehen wolle, erließ das FA am 29.November 1977 einen Grunderwerbsteuerbescheid gegen den Kläger und setzte 10 930,50 DM Grunderwerbsteuer und 2 787,27 DM Aufgeld fest. Das Aufgeld berechnete es für die Zeit vom 3.April 1973 bis zum 1.August 1977. In die Gegenleistung bezog es auch das für die Errichtung des Gebäudes entrichtete Entgelt ein.
Nach erfolglosem Einspruch hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben und ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheids beantragt. Er hat weiterhin die Auffassung vertreten, daß die Erwerber der Miteigentumsanteile Bauherren der Wohnungen gewesen seien. Auf das Vorliegen einer formalen gesellschaftsrechtlichen Verbindung komme es nicht an.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den angefochtenen Steuerbescheid aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Mitteilung des FA vom 21.September 1973 sei ein Freistellungsbescheid, der nur gemäß § 173 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) hätte geändert werden können. Neue Tatsachen seien jedoch nicht bekannt geworden. Die Auskunft des FA für Körperschaften sei die Wiedergabe einer Rechtsauffassung, enthalte aber keine neue Tatsache. Im übrigen sei das FA verpflichtet gewesen, schon vor der Freistellung zu prüfen, ob die Erwerber der Miteigentumsanteile tatsächlich Bauherren des Bauvorhabens gewesen seien.
Als Nachversteuerungsbescheid könne der angefochtene Steuerbescheid nicht aufrechterhalten werden. Habe das FA einen Freistellungsbescheid an einen Nichtbauherrn erteilt, so dürfe es eine Nachversteuerung nicht deshalb durchführen, weil dieser nicht den Nachweis eigener Bebauung erbringen könne.
Das FA hat Revision eingelegt und beantragt, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Der angefochtene Bescheid sei ein Nachversteuerungsbescheid. Der vorangegangene Freistellungsbescheid sei materiell-rechtlich nur vorläufig gewesen. Die Nachversteuerung müsse durchgeführt werden, wenn die Nachprüfung ergebe, daß die Bebauung des Grundstücks nicht von den Erwerbern der Miteigentumsanteile, sondern von der A. durchgeführt worden sei. Im übrigen liege auch eine neue Tatsache vor. Neu sei, daß sich die einzelnen Erwerber später nicht zu einer Bauherrengemeinschaft zusammengeschlossen hätten, wie dies in der notariellen Urkunde angekündigt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Der Senat geht mit dem FG davon aus, daß es sich bei der Mitteilung des FA vom 21.September 1973 um einen Freistellungsbescheid handelt. Dieser Bescheid war allerdings ein materiell vorläufiger Bescheid mit Tatbestandswirkung. Er schob sowohl die Entstehung der Grunderwerbsteuer als auch die Überprüfung der Voraussetzungen für die materiell endgültige Steuerbefreiung bis nach der Fertigstellung des Bauvorhabens hinaus, und zwar auch für den Fall, daß die materiell vorläufige Freistellung fehlerhaft sein sollte (vgl. das Urteil vom 4.Mai 1983 II R 6/82, BFHE 138, 480, 485, BStBl II 1983, 609). Dies hatte zur Folge, daß das FA nach der Fertigstellung des Bauvorhabens ohne jede Einschränkung die Frage prüfen durfte, ob die Voraussetzungen für die materiell endgültige Steuerbefreiung erfüllt worden sind. Der materiell vorläufige Freistellungsbescheid hatte nicht etwa zur Folge, daß dem FA die spätere Prüfung verwehrt wurde, ob die beabsichtigte Bebauung entgegen der Auffassung des Erwerbers noch dem Veräußerer und nicht dem Erwerber zuzurechnen und deshalb die Steuerbefreiung abzulehnen ist.
Durch § 204 Abs.1 der Reichsabgabenordnung (AO) war zwar vorgeschrieben, daß das FA von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln hatte, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer wesentlich waren. Dies galt aber, wie sich aus § 9 Abs.3 GrEStG schließen läßt, nicht für die materiell vorläufige Freistellung von der Steuer in den Fällen des § 6 Abs.1 Nr.9 GrEStG. Diese Befreiung setzte nicht nur voraus, daß der Erwerber ein unbebautes Grundstück mit der Absicht der eigenen planungsmäßigen Bebauung erwarb, sondern sie erforderte weiter, daß er diesen Zweck auch selbst verwirklicht. Die Nachprüfung, ob sämtliche Voraussetzungen für die endgültige Steuerbefreiung erfüllt worden sind, hatte nach der Fertigstellung des Bauvorhabens zu erfolgen, wie sich aus § 9 Abs.3 GrEStG eindeutig ergibt. § 9 GrEStG trägt die amtliche Überschrift "Nachprüfung der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung". In seinem Absatz 3 ist angeordnet, daß der Erwerber in den Fällen u.a. des § 6 Abs.1 Nr.9 GrEStG innerhalb von drei Monaten nach der Verwendung des Grundstücks zu dem steuerbegünstigten Zweck die Art und den Zeitpunkt der Verwendung nachzuweisen hat. Hieraus folgt, daß die Ermittlungspflicht bis zum Abschluß der Bebauung in ähnlicher Weise hinausgeschoben worden ist wie in den Fällen des § 100 Abs.1 AO, § 165 Abs.1 AO 1977.
Dem Freistellungsbescheid war unter diesen Umständen nicht zu entnehmen, daß das FA bereits abschließend darüber entschieden hatte, daß durch die beabsichtigte Durchführung der Bebauung die Voraussetzungen für die materiell endgültige Steuerbefreiung erfüllt werden könnten. Eine endgültige Prüfung konnte auch angesichts des Umstandes nicht gefordert werden, daß die Steuerpflichtigen nach dem Erwerb eines Grundstücks zum Zwecke der Bebauung alsbald eine materiell vorläufige Entscheidung über ihren Steuerbefreiungsantrag erwarten, damit die Unbedenklichkeitsbescheinigung als Voraussetzung für die Umschreibung im Grundbuch erteilt werden kann.
Ob etwas anderes dann gilt, wenn ohne Prüfung offensichtlich ist, daß der steuerbegünstigte Zweck von dem Steuerpflichtigen nicht verwirklicht werden kann, kann in diesem Rechtsstreit nicht entschieden werden. Denn der vom Kläger mit der A. abgeschlossene Vertrag war verbal so gestaltet, daß der Kläger einen Grundstücksmiteigentumsanteil erwerben und die A. sodann mit der Bebauung des Grundstücks beauftragen sollte.
Nach allem hat das FA nach Abschluß der Bebauung und innerhalb der Verjährungsfrist gemäß § 9 Abs.3 GrEStG zu Recht geprüft, ob der Kläger die Bebauung selbst verwirklicht hat. Entgegen der Auffassung des FG war es hieran infolge der materiellen Vorläufigkeit der Freistellung auch nicht (insbesondere nicht durch § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977) gehindert.
Wenn ein Erwerber sichergehen will, daß die geplante und die durchgeführte Bebauung als Verwirklichung des steuerbegünstigten Zwecks anerkannt wird und zur endgültigen Steuerfreiheit führt, so bleibt nur der Weg, vor dem Erwerb unter Vorlage aller Unterlagen eine dahingehende verbindliche Auskunft zu erlangen. Die Äußerungen des Senats in seinem Urteil in BFHE 138, 480, 486 vor 4., BStBl II 1983, 609 sind entsprechend einzuschränken.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, er sei dadurch benachteiligt worden, daß über die materiell endgültige Steuerbefreiung erst entschieden worden sei, als die Urteile des Bundesfinanzhofs vom 4.September 1974 II R 119/73 (BFHE 113, 480, BStBl II 1975, 91) und II R 112/69 (BFHE 113, 545, BStBl II 1975, 89) bereits bekannt gewesen seien, kann er damit keinen Erfolg haben. Einmal enthielten die genannten Urteile keine Änderung der Rechtsprechung. Sie verdeutlichten nur die bisherige Rechtsprechung. Zum anderen hätte es der Kläger in der Hand gehabt, durch rechtzeitige Erfüllung seiner Anzeigepflicht i.S. des § 9 Abs.3 GrEStG eine frühere Entscheidung über die Frage der endgültigen Freistellung von der Grunderwerbsteuer zu erreichen, wobei keineswegs angenommen werden muß, daß sie zu seinen Gunsten ausgegangen wäre.
Nach allem ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Sache wird an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dieses wird den Nachversteuerungsbescheid materiell nachzuprüfen haben.
Nach dem Wortlaut des Vertrages vom 3.April 1973 dürfte dabei davon auszugehen sein, daß Gegenstand des einheitlichen Vertrags die fertige Eigentumswohnung war und deshalb eine Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs.1 Nr.9 GrEStG nicht in Betracht kommt.
Angesichts der Tatbestandswirkung der materiell vorläufigen Freistellung ist die Grunderwerbsteuer in diesem Falle erst mit der Fertigstellung des Bauvorhabens entstanden; denn in diesem Zeitpunkt stand endgültig fest, daß die eigene Zweckverwirklichung nicht möglich war. § 10 Abs.1 Nr.6 GrEStG galt entsprechend (vgl. auch BFHE 138, 480, BStBl II 1983, 609).
Im Zeitpunkt der Fertigstellung des Bauvorhabens endete in diesem Falle auch die Aufgeldpflicht gemäß § 10 Abs.5 GrEStG. Nach dieser Vorschrift ist das Aufgeld bis zur Entstehung der Steuerschuld zu erheben. Es ist anzunehmen, daß das FA das Aufgeld nicht richtig erhoben hat. Nach dem Steuerbescheid ist es bis zum 1.August 1977 erhoben worden. Soweit erkennbar, ist das Bauvorhaben bereits zu einem früheren Zeitpunkt fertiggestellt worden. Der genaue Zeitpunkt ergibt sich allerdings nicht aus den Feststellungen des FG.
Fundstellen
Haufe-Index 60956 |
BStBl II 1985, 374 |
BFHE 143, 163 |
BFHE 1985, 163 |
BB 1985, 1118-1118 (L) |
HFR 1985, 327-328 (ST) |