Entscheidungsstichwort (Thema)
Sequestration: Rechtliche Grundlagen, Erscheinungsformen, Ende einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft
Leitsatz (amtlich)
Bei Organschaften, bei denen der Organträger Geschäftsführer der Organgesellschaft (späteren Gemeinschuldnerin) ist, endet die Organschaft nur dann bereits vor Eröffnung des Konkursverfahrens mit der Anordnung der Sequestration, wenn der Sequester den maßgeblichen Einfluß auf die Organgesellschaft erhält und ihm eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist. Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Orientierungssatz
1. Im Streitfall: kein Ende der Organschaft durch eine bloße Sicherungssequestration, bei der ein allgemeines Veräußerungsverbot angeordnet wurde, der Organträger bis zur Konkurseröffnung Geschäftsführer der Organgesellschaft blieb, die Handlungsspielräume von Organträger und Sequester zwar eingeschränkt waren, bei der aber dem Sequester eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft nicht möglich war (vgl. BFH-Urteil vom 18.5.1995 V R 46/94 zur Bestellung eines Vergleichsverwalters).
2. Die Sequestration findet ihre gesetzliche Grundlage und Beschränkung in den Vorschriften der §§ 6 und 106 KO. Entsprechend der tatsächlichen Ausgestaltung der Sequestration unterscheidet man zwischen verschiedenen Formen der Verwaltungssequestration und Sicherungssequestration. Der Sequester kann als "vorläufiger Konkursverwalter" bereits Verwaltungsbefugnisse und Verfügungsbefugnisse für sich in Anspruch nehmen, die seinen späteren Befugnissen als Konkursverwalter weitgehend angenähert sind; er kann aber auch nur die Stellung eines Massegutachters für die Eröffnungsvoraussetzungen haben. Im Einzelfall hängen die dem Sequester übertragenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse von der Sequestrationsanordnung und den Umständen ab, die ein Tätigwerden des Sequesters erforderlich machen.
Normenkette
KO §§ 106, 6; UStG 1991 § 2 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war bis 31. Dezember 1982 unter der Firma "R Sondermaschinen" gewerblich tätig. Ende 1982 wurde die "R Sondermaschinen GmbH" (Beigeladene) gegründet. Deren Stammkapital in Höhe von zuletzt 450 000 DM hielt der Kläger, der auch ihr alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer war. Mit Pachtvertrag vom 30. Dezember 1982 verpachtete der Kläger alle bisher von ihm im Rahmen der Einzelfirma genutzten Betriebsgrundlagen (Grundstücke, Betriebsgebäude, Hofbefestigungen, Werkstatt und Firmenwert) an die Beigeladene. Die Jahrespacht betrug zuletzt 192 000 DM. Die Beteiligten gingen einvernehmlich von einer Betriebsaufspaltung und umsatzsteuerlichen Organschaft zwischen dem Kläger und der Beigeladenen aus.
Am 15. Juli 1991 stellte der Kläger als Geschäftsführer der Beigeladenen Konkursantrag; am selben Tag wurden vom Amtsgericht B die Sequestration und ein allgemeines Veräußerungsverbot gemäß § 106 der Konkursordnung (KO) angeordnet. Am 15. August 1991 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Beigeladenen eröffnet. Das Pachtverhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen endete mit Konkurseröffnung.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) veranlagte den Kläger entsprechend den Ergebnissen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung zur Umsatzsteuer für das Jahr 1991. Dabei erfaßte das FA auch die Umsätze, die die Beigeladene im August 1991 bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens (15. August 1991) ausgeführt hatte (vgl. Tz. 10 des Prüfungsberichts vom 4. November 1992).
Hiergegen erhob der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Während des Klageverfahrens änderte das FA den angefochtenen Bescheid (Umsatzsteuer-Änderungsbescheid vom 12. Oktober 1995). Der Kläger machte den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens. Nachdem das Finanzgericht (FG) die "R Sondermaschinen GmbH" unter Berufung auf § 174 Abs. 4 und 5 der Abgabenordnung (AO 1977) zum Verfahren beigeladen hatte, gab es der Klage teilweise statt. Zur Urteilsbegründung führte es aus, die Organschaft zwischen Kläger und Beigeladener sei nicht erst mit Konkurseröffnung, sondern bereits mit der Anordnung der Sequestration und des allgemeinen Veräußerungsverbots beendet worden. In der Rechtsprechung sei anerkannt, daß eine Organschaft bereits mit der Bestellung eines vorläufigen Vergleichsverwalters ende, wenn das Amtsgericht zugleich Sicherungsmaßnahmen nach Art eines allgemeinen Veräußerungsverbotes zu Lasten der Organgesellschaft anordne. Dasselbe müsse auch für den Streitfall gelten. Das Veräußerungsverbot nach § 106 KO betreffe sowohl die Leistung von Zahlungen als auch die Entgegennahme von Geldern, da sie den zugrundeliegenden Anspruch zum Erlöschen bringe. Dadurch würden die unternehmerischen Dispositionsmöglichkeiten der Organgesellschaft für einen wesentlichen Teil eingeschränkt; der Organträger könne seinen Willen in einem wesentlichen Geschäftsführungsbereich nicht mehr durchsetzen, was zum Wegfall der Organschaft mangels organisatorischer Eingliederung führe. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 612 veröffentlicht.
Gegen das Urteil wendet sich das FA mit seiner Revision. Es rügt Verletzung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1991. Die Beigeladene sei bis zur Konkurseröffnung am 15. August 1991 in das Unternehmen des Klägers vollständig finanziell eingegliedert gewesen. Bei der Betriebsaufspaltung habe die Verpachtung des wesentlichen Betriebsvermögens die wirtschaftliche Abhängigkeit der Betriebsgesellschaft von der Besitzgesellschaft zur Folge; diese werde durch die Anordnung der Sequestration nicht aufgehoben. Das allgemeine Veräußerungsverbot nach § 106 KO bewirke nur eine relative Unwirksamkeit verbotswidrig vorgenommener Verfügungen zugunsten der geschützten Gläubiger und könne nicht mit dem Entzug der Kassenführungsbefugnis nach § 57 der Vergleichsordnung (VglO) verglichen werden, auf die der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 18. Mai 1995 V R 46/94 (BFH/NV 1996, 84) wesentlich abgestellt habe.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.
Während des Revisionsverfahrens ist der Konkurs über das Vermögen der Beigeladenen aufgehoben worden; der Konkursverwalter hat mitgeteilt, er sei mit der Sache nicht mehr befaßt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG 1991). Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen eingegliedert ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1991).
1. Wie das FG zutreffend erkannt hat, war die Beigeladene bis zur Einleitung des Konkursverfahrens eine Organgesellschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1991. Sie war eine juristische Person. Ihre finanzielle und organisatorische Eingliederung in das Unternehmen des Klägers ergibt sich daraus, daß dieser ihr alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war. Die wirtschaftliche Eingliederung folgt aus der Verpachtung der wesentlichen Betriebsgrundlagen an die Organgesellschaft.
2. Diese Voraussetzungen der Organschaft blieben bis zur Konkurseröffnung am 15. August 1991 erhalten. Dies gilt auch hinsichtlich der Stellung des Klägers als Geschäftsführer der Beigeladenen trotz der angeordneten Sequestration.
Die Sequestration ist in der KO nicht ausdrücklich geregelt. Sie findet ihre gesetzliche Grundlage und Beschränkung in den Vorschriften der §§ 6 und 106 KO. Nach § 6 KO verliert der Gemeinschuldner mit der Eröffnung des Konkursverfahrens die Befugnis, sein zur Konkursmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen; das Verwaltungs- und Verfügungsrecht wird von diesem Zeitpunkt an durch den Konkursverwalter ausgeübt. Nach § 106 Abs. 1 Satz 2 KO kann das Konkursgericht bereits vor Konkurseröffnung alle zur Sicherung der Masse dienenden einstweiligen Anordnungen treffen. Hierzu gehört auch die Bestellung eines Sequesters. Sie wird häufig begleitet durch ein auf § 106 Abs. 1 Satz 3 KO gestütztes allgemeines Veräußerungsverbot gegenüber dem Schuldner.
Die gesetzlichen Grenzen, die der Übertragung von Verwaltungs- und Verfügungsbefugnissen auf den Sequester gesetzt sind, waren in der Vergangenheit umstritten und sind auch heute durch die Rechtsprechung nur teilweise geklärt (vgl. Pape, Zu den Schwierigkeiten des Sequesters ohne Verwaltungsmacht, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1994, 89). Entsprechend der tatsächlichen Ausgestaltung der Sequestration unterscheidet man zwischen verschiedenen Formen der Verwaltungs- und Sicherungssequestration (vgl. Weiß, Insolvenz und Steuern, Köln 1989, S. 10 ff.). Der Sequester kann als "vorläufiger Konkursverwalter" bereits Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse für sich in Anspruch nehmen, die seinen späteren Befugnissen als Konkursverwalter weitgehend angenähert sind; er kann aber auch nur die Stellung eines Massegutachters für die Eröffnungsvoraussetzungen haben. Im Einzelfall hängen die dem Sequester übertragenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse von der Sequestrationsanordnung und den Umständen ab, die ein Tätigwerden des Sequesters erforderlich machen.
Bei Organschaften, bei denen der Organträger Geschäftsführer der Organgesellschaft ist, endet die Organschaft regelmäßig spätestens mit der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft, weil der Organträger den wesentlichen Einfluß auf die Organgesellschaft an den Konkursverwalter verliert. Ähnliches kann auch im Vergleichsverfahren der Fall sein, wenn der Vergleichsverwalter den maßgeblichen Einfluß auf die Organgesellschaft erhält und ihm eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist (BFH in BFH/NV 1996, 84; Mösbauer, Umsatzsteuer-Rundschau 1995, 321, 324). Für die Sequestration gilt nichts anderes.
Das FG durfte aber nicht bereits aus der Anordnung der Sequestration und des allgemeinen Veräußerungsverbots schließen, daß der Kläger den maßgeblichen Einfluß auf die Organgesellschaft bereits mit Anordnung der Sequestration verloren habe. Nach § 6 KO blieb das vom Kläger ausgeübte Recht des Gemeinschuldners, sein Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, bis zur Konkurseröffnung erhalten. Tatsächlich blieb der Kläger auch bis zu diesem Zeitpunkt der Geschäftsführer der Beigeladenen. Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt lag keine Verwaltungssequestration, sondern eine bloße Sicherungssequestration vor. Die vom Konkursgericht getroffenen Anordnungen nach § 106 KO beschränkten den Kläger in gleichem Ausmaße wie den Sequester. Es mag zwar sein, daß es dem Kläger aufgrund des allgemeinen Veräußerungsverbots nach § 106 Abs. 1 Satz 3 KO verboten war, ohne Zustimmung des Sequesters Zahlungen zu leisten und Außenstände einzuziehen (vgl. Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 11. Aufl., § 106 Rz. 13d). Daraus folgt aber nicht, daß der Sequester diese Geschäfte unter Ausschluß des Klägers ausführen durfte oder getätigt hat. Da das FG eine Verwaltungssequestration ausgeschlossen hat, ist vielmehr davon auszugehen, daß die Handlungsspielräume des Klägers und des Sequesters entsprechend dem Zweck der Sequestration eingeschränkt waren, daß dem Sequester aber eine vom Willen des Klägers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft nicht möglich war.
Demnach sind die Voraussetzungen der Organschaft im Streitfall erst mit Eröffnung des Konkursverfahrens (15. August 1991) und nicht bereits mit der Anordnung der Sequestration (15. Juli 1991) entfallen.
Fundstellen
Haufe-Index 66349 |
BFH/NV 1997, 398 |
BStBl II 1997, 580 |
BFHE 182, 426 |
BFHE 1997, 426 |
BB 1997, 1724-1725 (Leitsatz und Gründe) |
DB 1997, 1799-1800 (Leitsatz und Gründe) |
DStR 1997, 1487-1488 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1997, 821 (Leitsatz) |
HFR 1997, 851-852 (Leitsatz und Gründe) |
StE 1997, 510 (Leitsatz) |