Leitsatz (amtlich)
Ein Schreiben des FA, daß die Frist für die steuerbegünstigte Verwendung des erworbenen Grundstückes erneut zu laufen begonnen habe, kann ein wirksamer Verwaltungsakt auch dann sein, wenn es vom Sachbearbeiter unter Überschreitung seiner Zeichnungsmacht unterschrieben worden ist.
Orientierungssatz
Eine unrichtige Anwendung materiellen Steuerrechts führt regelmäßig nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts (vgl. BFH-Beschluß vom 1.10.1981 IV B 13/81). Nur dann, wenn der Verwaltungsakt "die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maße verletzt, daß von niemand erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen" (Lit.), kann die Nichtigkeit die Folge einer Rechtsverletzung sein.
Normenkette
AO 1977 §§ 118, 119 Abs. 3, § 124 Abs. 1 S. 2, § 125 Abs. 1, § 179 Abs. 1; GrEStSWG ND § 1 Nr. 5; GrEStBBauG ND § 3
Tatbestand
Die Klägerin, eine Wohnungsbaugesellschaft, kaufte durch notariell beurkundeten Vertrag vom 23.Dezember 1972, ergänzt durch die notarielle Urkunde vom 12.Januar 1973, unbebaute Grundstücke in der Größe von insgesamt mehr als 67 000 qm zum Zwecke der Bebauung mit steuerbegünstigten Wohnungen. Der Erwerb wurde zunächst von der Grunderwerbsteuer freigestellt.
Nach Ablauf der regelmäßigen Verwendungsfrist von fünf Jahren (vgl. § 5 Abs.1 des Niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaus von der Grunderwerbsteuer --GrESWG-- i.d.F. vom 17.Februar 1966 unter Berücksichtigung der späteren Änderungen) teilten die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin dem damals noch zuständigen Finanzamt (FA) A am 10.Januar 1978 mit, daß der begünstigte Zweck infolge von planerischen und baurechtlichen Maßnahmen der Behörden nicht habe fristgerecht erfüllt werden können. Das FA A zog bei der Stadt Erkundigungen ein und richtete am 26.April 1979 folgendes Schreiben an die Bevollmächtigten der Klägerin:
"Aufgrund der Mitteilung des Stadtplanungsamtes über die Aufstellung eines neuen Bebauungsplanes u.a. für das von der Fa. B-AG erworbene Grundstück in ... begann die 5-Jahres- Frist zur Erfüllung des begünstigten Zwecks gem. § 5 Abs.1 GrESWG i.V. mit § 15 Abs.1 BBauG am 13.7.1977 erneut zu laufen und endet mit Ablauf des 12.7.1982."
Infolge organisatorischer Veränderungen ging die örtliche Zuständigkeit danach auf das beklagte FA C über. Dieses vertrat die Auffassung, daß die Voraussetzungen des § 3 des Niedersächsischen Gesetzes über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer bei Erwerbsvorgängen aus dem Bereich des Bundesbaugesetzes (GrEStBBauG) vom 29.Oktober 1962 nicht erfüllt waren und deshalb die Verwendungsfrist entgegen der Annahme des FA A nicht erneut zu laufen begonnen habe. Das beklagte FA setzte demgemäß durch Bescheid vom 14.Dezember 1981 insoweit Grunderwerbsteuer fest, als der steuerbegünstigte Zweck bis zum Ablauf der Regelverwendungsfrist nicht verwirklicht worden war (309 993,30 DM).
Nach erfolglosem Einspruch, der lediglich zur Aufhebung des Vorbehaltes der Nachprüfung führte, hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt, die Grunderwerbsteuer auf 65 595 DM herabzusetzen. Nur insoweit sei die Grunderwerbsteuer wegen der teilweisen Aufgabe des begünstigten Zweckes entstanden. Zur Begründung ihrer Klage hat sie vor allem die Auffassung vertreten, daß das Schreiben des FA A vom 26.April 1979 ein begünstigender Verwaltungsakt sei.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen und seine Entscheidung damit begründet, daß die Verwendungsfrist am 22.Dezember 1977 abgelaufen sei. Eine Unterbrechung der Verwendungsfrist aufgrund des § 3 GrEStBBauG sei nicht eingetreten. Offenbleiben könne, ob das Schreiben des FA A vom 26.April 1979 einen Verwaltungsakt oder nur eine unverbindliche Rechtsmeinung beinhalte. Denn selbst wenn es sich um einen Verwaltungsakt handele, sei dieser wegen eindeutigen Gesetzesverstoßes nichtig.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das FG durfte nicht offenlassen, ob das Schreiben des FA A vom 26.April 1979 einen Verwaltungsakt beinhaltete. Denn diese Frage ist entscheidungserheblich, weil der Auffassung des FG, ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt des genannten Schreibens sei nichtig, nicht zu folgen ist.
1. Die vom FG offengelassene Frage entscheidet der Senat dahin (vgl. § 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), daß das Schreiben vom 26.April 1979 eine Verfügung zur Regelung eines Einzelfalles mit Außenwirkung und damit ein Verwaltungsakt des Inhalts ist, die Frist für die Erfüllung des steuerbegünstigten Zweckes habe erneut zu laufen begonnen und ende erst am 12.Juli 1982. Dies ergeben die folgenden Überlegungen:
Das Schreiben des FA A vom 26.April 1979 war das Ergebnis der nach Ablauf der Regelverwendungsfrist von fünf Jahren (vgl. § 5 Abs.1 GrESWG) vorgenommenen Prüfung, ob die Grunderwerbsteuer, soweit der steuerbegünstigte Zweck nicht vorher aufgegeben worden sei, mit Ablauf dieser Frist entstanden sei. Die Klägerin hatte mit Schreiben vom 10.Januar 1978 darauf hingewiesen, daß der steuerbegünstigte Zweck infolge von planerischen und baurechtlichen Maßnahmen der Behörden nicht fristgerecht habe erfüllt werden können. Damit war von ihr die Frage nach der Unterbrechung der Verwendungsfrist aufgeworfen worden. Das FA nahm dies zum Anlaß, bei der Stadt entsprechende Auskünfte einzuholen. Aus diesen Auskünften zog es dann den Schluß, daß eine erneute Verwendungsfrist zu laufen begonnen habe.
Angesichts des Umstandes, daß das FA A bei einem anderen Prüfungsergebnis (endgültiger Ablauf der Verwendungsfrist) verpflichtet gewesen wäre (vgl. § 85 der Abgabenordnung --AO 1977--), einen Grunderwerbsteuerbescheid zu erlassen, muß in der Äußerung vom 26.April 1979 die verbindliche Feststellung gesehen werden, daß eine erneute Verwendungsfrist zu laufen begonnen habe, mit der ungeschriebenen Schlußfolgerung, daß deshalb der steuerbegünstigte Zweck noch verwirklicht werden könne, soweit er nicht bereits aufgegeben worden sei. Auf diesen Schluß deutet vor allem die Bestimmtheit in der Ausdrucksweise des FA A hin. Es wurde nicht eine Rechtsauffassung des FA mitgeteilt, sondern eindeutig festgelegt, daß eine erneute Verwendungsfrist zu laufen begonnen habe.
Für eine Würdigung dieses Schreibens als eine unverbindliche Auskunft ist unter diesen Umständen kein Raum. Hätte nur eine Auskunft erteilt werden sollen, so hätte erwartet werden dürfen, daß dies kenntlich gemacht worden wäre, z.B. durch die Formulierung: "Das Finanzamt ist der Auffassung, daß ...".
2. Es kann nicht eingewendet werden, daß das FA gleichwohl nur eine unverbindliche Auskunft habe geben wollen. Das FA A muß das Schreiben vom 26.April 1979 vielmehr so gegen sich gelten lassen, wie es von der Klägerin verstanden werden mußte (vgl. § 124 Abs.1 Satz 2 AO 1977; ferner das Senatsurteil vom 24.Oktober 1984 II R 30/81, BFHE 142, 357, BStBl II 1985, 218). Welche Vorstellungen der unterzeichnende Bedienstete hatte, ist unter diesen Umständen unerheblich.
Das Schreiben vom 26.April 1979 ist auch nicht etwa deshalb ein Nichtakt, weil der Unterzeichner möglicherweise keine Zuständigkeit zum Erlaß eines Verwaltungsaktes hatte. Auszugehen ist nach Sachlage vielmehr davon, daß der Unterzeichner des Schreibens zumindest als Sachbearbeiter für die Bearbeitung der Grunderwerbsteuer zuständig war. Damit entfällt die Annahme eines Nichtaktes (vgl. Koch, Kommentar zur Abgabenordnung, 3.Aufl., § 124 Tz.8).
3. Der in dem Schreiben vom 26.April 1979 enthaltene Verwaltungsakt ist auch nicht nichtig.
Sollte der Unterzeichner nicht befugt gewesen sein, als Sachbearbeiter eine verbindliche Entscheidung über die Entstehung oder Nichtentstehung der Grunderwerbsteuer zu treffen und insoweit die interne Zuständigkeitsregelung verletzt haben, so führt dies gleichwohl nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes gemäß § 125 Abs.1 AO 1977. Ein Verwaltungsakt ist auch dann wirksam, wenn der Unterzeichner seine Zeichnungsbefugnis überschritten hat (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29.Januar 1981 V R 47/77, BFHE 132, 219, BStBl II 1981, 404).
Der Verwaltungsakt vom 26.April 1979 enthält auch sonst keine besonders schwerwiegenden Fehler, die bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig sind und deshalb zur Nichtigkeit führen. Wenn das FG die Nichtigkeit eines in dem Schreiben vom 26.April 1979 zu sehenden Verwaltungsaktes daraus herleitet, daß die Verwendungsfrist eine nicht verlängerbare Ausschlußfrist sei, die das FA deshalb unter keinen Umständen habe verlängern dürfen, so verkennt es, daß das FA nicht eine Verlängerung der Verwendungsfrist ausgesprochen, sondern lediglich festgestellt hat, daß die Verwendungsfrist erneut zu laufen begonnen habe, womit nur ein von Gesetzes wegen eingetretener erneuter Lauf der Verwendungsfrist gemeint gewesen sein kann.
Dem FA kann unter diesen Umständen allenfalls vorgehalten werden, daß es § 3 GrEStBBauG, der den erneuten Lauf der Verwendungsfrist regelt, unzutreffend angewendet hat. Eine unrichtige Anwendung materiellen Steuerrechts aber führt regelmäßig nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes (vgl. z.B. den BFH-Beschluß vom 1.Oktober 1981 IV B 13/81, BFHE 134, 223, BStBl II 1982, 133). Nur dann, wenn der Verwaltungsakt "die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maße verletzt, daß von niemandem erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen" (vgl. Wolff/Bachhof, Verwaltungsrecht I, 9.Aufl., S.426), kann die Nichtigkeit die Folge einer Rechtsverletzung sein. Davon jedoch kann im vorliegenden Fall keine Rede sein.
Es steht außer Frage, daß es sich beim § 3 GrEStBBauG und seiner Bezugnahme auf das Bundesbaugesetz (BBauG) um eine Rechtsvorschrift handelt, deren Anwendung auch der Rechtsprechung erhebliche Probleme bereitet hat. Wenn unter diesen Umständen die Verwaltung einem Rechtsirrtum unterliegt, so reicht dies nicht aus, eine Ausnahme von dem Grundsatz anzunehmen, daß ein Akt der staatlichen Gewalt die Vermutung seiner Gültigkeit in sich trägt (vgl. hierzu das Bundesverwaltungsgericht --BVerwG-- in seiner Entscheidung vom 11.Februar 1966 VII CB 149,64, BVerwGE 23, 237, 238).
Der Verwaltungsakt vom 26.April 1979 ist auch nicht etwa deshalb nichtig, weil eine gesonderte Feststellung, daß sich die Verwendungsfrist verlängert habe, gesetzlich nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist.
Ohne daß diese Frage hier abschließend geklärt werden muß, folgt jedenfalls aus § 85 AO 1977, daß das FA beim Ablauf der Regelverwendungsfrist prüfen muß, ob die Grunderwerbsteuer auch insoweit entstanden ist, als der begünstigte Zweck noch nicht aufgegeben worden ist. Muß bei Bejahung dieser Frage ein Steuerbescheid erlassen werden, so ist es auch zulässig, bei voller oder teilweiser Verneinung dieser Frage einen Bescheid darüber zu erlassen, inwieweit eine Grunderwerbsteuer trotz Ablaufes der Regelverwendungsfrist noch nicht entstanden ist. Ein derartiger Verwaltungsakt ist durch § 155 Abs.1 Satz 3 AO 1977 als (materiell vorläufiger) Freistellungsbescheid gedeckt.
Allerdings ist das FA so nicht verfahren. Es hat die Frage der Entstehung oder Nichtentstehung der Grunderwerbsteuer nicht abschließend entschieden, sondern nur festgestellt, daß die Verwendungsfrist sich verlängert habe; diese Feststellung schloß nicht aus, daß der Nachversteuerungstatbestand durch Aufgabe des begünstigten Zweckes bereits (teilweise) verwirklicht worden war. Auch wenn in dem niedersächsischen Grunderwerbsteuerrecht keine ausdrückliche Vorschrift über den Erlaß eines derartigen Bescheides enthalten ist, so ist es gleichwohl denkbar, daß aus dem besonderen Aufbau der Grunderwerbsteuertatbestände mit Nachversteuerungsvorbehalt auch ohne eine ausdrückliche Regelung die Berechtigung der FÄ hergeleitet werden kann, eine Zwischenentscheidung (Feststellung) über den erneuten Beginn des Laufes der Verwendungsfrist zu treffen, zumal eine solche Auffassung rechtsstaatlichem Handeln der Verwaltung entspräche.
Auf jeden Fall aber ist eine entsprechende Feststellung des FA, mag auch die Rechtsgrundlage hierfür möglicherweise zweifelhaft sein, nicht nichtig.
4. Ist danach der in dem Schreiben vom 26.April 1979 enthaltene Verwaltungsakt wirksam, so mußte er vom beklagten FA beim Erlaß des angefochtenen Steuerbescheides beachtet werden. Das bedeutet, daß das FA davon auszugehen hatte, daß die Verwendungsfrist erneut zu laufen begonnen habe. Es durfte die Grunderwerbsteuer nur insoweit festsetzen, als der steuerbegünstigte Zweck durch die Klägerin bereits aufgegeben worden war. Eine weitergehende Steuerfestsetzung wäre nur dann möglich gewesen, wenn die Voraussetzungen für eine Aufhebung oder Änderung des in dem Schreiben vom 26.April 1979 enthaltenen Verwaltungsaktes vorgelegen hätte, wofür es aber bisher keine Anhaltspunkte gibt.
Bleibt es dabei, daß der Verwaltungsakt vom 26.April 1979 durch den angefochtenen Steuerbescheid nicht geändert werden durfte, so ist die Steuerfestsetzung nur insoweit rechtmäßig, als der steuerbegünstigte Zweck aufgegeben worden ist. Die Klägerin hat ihre Anträge bereits entsprechend eingeschränkt. Es fehlen aber Feststellungen des FG zu dieser Frage. Die Sache geht deshalb an das FG zurück, das noch festzustellen hat, inwieweit die Grunderwerbsteuer durch Aufgabe des steuerbegünstigten Zweckes bis zum Erlaß der Einspruchsentscheidung (vgl. das Senatsurteil vom 20.Mai 1981 II R 52/79, BFHE 134, 54, BStBl II 1981, 737) entstanden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 61797 |
BStBl II 1987, 592 |
BFHE 150, 70 |
BFHE 1987, 70 |
HFR 1987, 561-561 (ST) |