Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer für Grundstücksveräußerung nach „Freigabe“ des Grundstücks durch den Konkursverwalter als Teil der Massekosten
Leitsatz (amtlich)
Die Umsatzsteuer für die steuerpflichtige Lieferung eines mit Grundpfandrechten belasteten Grundstücks im Konkurs durch den Gemeinschuldner nach "Freigabe" durch den Konkursverwalter gehört zu den Massekosten und ist durch Steuerbescheid gegen den Konkursverwalter festzusetzen.
Normenkette
UStG 1993 § 3 Abs. 1; KO §§ 47, 58 Nr. 2, § 127
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen des Fleischgroßhändlers F. Er bemühte sich erfolglos, ein Geschäftsgrundstück des Gemeinschuldners F zu veräußern, das mit Grundpfandrechten von rd. 1,6 Mio. DM belastet war. Mit Schreiben vom 28. Januar 1993 teilte er dem Gemeinschuldner mit: "… hiermit gebe ich das Objekt … aus dem Konkursbeschlag frei". Am selben Tag beantragte er beim Grundbuchamt die Löschung des Konkursvermerks.
Darauf veräußerte der Gemeinschuldner das Grundstück für 1 270 000 DM (netto) und wies in dem notariellen Kaufvertrag vom 8. Februar 1993 und in einer außerdem erteilten Rechnung 190 500 DM Umsatzsteuer aus. Die Notarin wurde ermächtigt, mit dem Bruttokaufpreis die in Abteilung III des Grundbuchs eingetragenen Belastungen abzulösen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) setzte gegen den Kläger die Umsatzsteuer für die beschriebene Grundstückslieferung in dem Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Februar 1993 fest, machte dies auf den Einspruch des Klägers durch den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Änderungsbescheid vom 4. Juni 1993 rückgängig und setzte die Umsatzsteuer für die Grundstückslieferung erneut durch Änderungsbescheid vom 29. April 1994 (§ 164 Abs. 2 der Abgabenordnung ―AO 1977―) fest. Den dagegen gerichteten Einspruch wies das FA zurück.
Während des Klageverfahrens gab das FA den Jahressteuerbescheid für 1993 vom 11. Dezember 1995 gegen den Kläger bekannt, in dem ―wie in der vorausgegangenen Steuerfestsetzung― die Steuer für die erwähnte Grundstückslieferung enthalten war.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen den zum Gegenstand des Verfahrens erklärten Jahressteuerbescheid 1993 als unbegründet ab. Zur Begründung legte es dar, es beurteile die Erklärung des Klägers vom 28. Januar 1993 als modifizierte Freigabe des Grundstücks. Damit sei das Grundstück, das der Gemeinschuldner mit Ermächtigung des Klägers verwertet habe, Massegegenstand geblieben. Der Kläger müsse sich den Verzicht des Gemeinschuldners auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung zurechnen lassen. Die Möglichkeit, diesen Verzicht zu widerrufen, habe der Kläger nicht wahrgenommen. Die Umsatzsteuer für die steuerpflichtige Grundstückslieferung sei als Massekosten durch Steuerbescheid gegen den Kläger festzusetzen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von Verfahrensrecht und materiellem Recht. Dazu führt er u.a. aus:
Am Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 26. Mai 1999 sei der Beschluss verkündet worden, die Entscheidung werde den Beteiligten zugestellt. Das Urteil sei ihm aber erst am 18. August 1999 zugestellt worden. Daraus schließe er "zwanglos", dass die Zwei-Wochen-Frist des § 104 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verletzt worden sei.
Die Entscheidung sei außerdem mit § 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993 und § 172 AO 1977 unvereinbar, weil ein Abhilfebescheid auf einen Einspruch bei unverändertem Sachverhalt nicht mehr geändert werden dürfe, selbst wenn ihm der Vorbehalt der Nachprüfung beigefügt worden sei.
Schließlich dürfe die Steuer für die Grundstückslieferung nicht als Massekosten beurteilt und durch Steuerbescheid gegen ihn, den Kläger, festgesetzt werden, weil keine modifizierte, sondern eine echte Freigabe vorgelegen habe. Er habe dem Gemeinschuldner das Grundstück zur freien Verwertung überlassen. Er habe der Veräußerung nicht zuzustimmen brauchen und habe deshalb auch beim Kaufvertrag nicht mitgewirkt. Die Grundpfandgläubiger könnten ihre Forderungen in vollem Umfang gegen den Gemeinschuldner geltend machen. Der Verzicht des Gemeinschuldners auf die Steuerbefreiung der Grundstückslieferung könne ihm nicht zugerechnet werden. Die Grundstückslieferung betreffe konkursfreies Vermögen, so dass die Steuer nicht Masseforderung sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer in dem Umsatzsteuerbescheid für 1993 vom 11. Dezember 1995 um 190 500 DM zu ermäßigen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
Das FA hat die steuerpflichtige Lieferung des Geschäftsgrundstücks des Gemeinschuldners zutreffend in dem an den Kläger gerichteten Umsatzsteuerbescheid für 1993 besteuert. Die Umsatzsteuer für diese Grundstückslieferung ist ―wie das FG im Ergebnis rechtsfehlerfrei entschieden hat― Teil der Massekosten (§ 58 Nr. 2 der Konkursordnung ―KO―).
1. Die Rüge der Verletzung von § 104 Abs. 2 FGO greift nicht durch. Sie ist nicht ordnungsgemäß vorgebracht worden, weil sich der Kläger nur auf Vermutungen über den Zeitpunkt der Niederlegung des Urteilstenors beschränkt. Da das Urteil ―aus den FG-Akten ersichtlich― innerhalb einer Frist von fünf Monaten nach Abschluss der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übergeben worden ist, hätte im Übrigen eine Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-Frist (§ 104 Abs. 2 FGO) keine prozessualen Folgen (vgl. dazu Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 26. Februar 1998 III B 214/96, Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, § 104 Rz. 10, m.w.N.).
2. Die Revision hat auch nicht deswegen Erfolg, weil die Steuerfestsetzung nach der Bekanntgabe der Abhilfeentscheidung nicht mehr hätte geändert werden dürfen. Abgesehen davon, dass die abhelfende Festsetzung der Vorauszahlung für Februar 1993 von Gesetzes wegen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG 1993; § 164 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) und außerdem ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO 1977) stand, ist das FA bei der Umsatzsteuerfestsetzung in einem Jahressteuerbescheid nicht an die Beurteilung von Umsätzen in vorausgegangenen Vorauszahlungsbescheiden gebunden. Dabei handelt es sich nicht um einen Änderungsbescheid, sondern um eine selbständige Steuerfestsetzung. Voraussetzungen für eine Änderung einer Steuerfestsetzung brauchen daher nicht vorzuliegen.
3. Die Vorentscheidung hält den Angriffen der Revision ―im Ergebnis (§ 126 Abs. 4 FGO)― auch in der Sache stand.
a) Es kann dahinstehen, ob dem Schreiben des Klägers an den Gemeinschuldner vom 28. Januar 1993 eine echte oder eine sog. modifizierte Freigabe des im März 1993 vom Gemeinschuldner steuerpflichtig veräußerten Grundstücks zu entnehmen ist.
Der Senat beurteilt die Veräußerung eines zur Konkursmasse gehörenden Grundstücks als Verwertung für Rechnung der Konkursmasse, wenn ihr ―wie im Streitfall― der Verwertungserlös zugute kommt. Unter diesen Voraussetzungen ist umsatzsteuerrechtlich unerheblich, dass der Gemeinschuldner die Grundstückslieferung ausgeführt hat, nachdem er vom Konkursverwalter dazu berechtigt worden war. Ebenso ist umsatzsteuerrechtlich nicht erheblich, ob konkursrechtlich eine "echte Freigabe" des Grundstücks oder lediglich eine sog. "modifizierte Freigabe" (vgl. dazu Kuhn/Uhlenbrock, Konkursordnung, 11. Aufl., § 6 Rdnrn. 35, 35a) vorlag.
b) Sowohl bei modifizierter als auch bei echter Freigabe führt die Veräußerung eines mit Grundpfandrechten der Konkursgläubiger belasteten zur Konkursmasse gehörenden Grundstücks durch den Gemeinschuldner zu einer die Konkursmasse betreffenden Verwertung, wenn der Erlös an die Stelle des belasteten Grundstücks tritt, vereinbarungsgemäß an die absonderungsberechtigten Konkursgläubiger (§ 47 KO) ausgekehrt wird und deshalb die Konkursmasse in dieser Höhe entlastet.
Der Konkursverwalter, der für die Konkursmasse den wirtschaftlichen Wert des konkursbefangenen Gegenstands erhalten will, weil der Verwertungserlös der Konkursmasse zugute kommen soll (vgl. dazu BFH-Urteil vom 12. Mai 1993, XI R 49/90, BFH/NV 1994, 274; vom 24. September 1987 V R 196/83, BFHE 151, 99, BStBl II 1987, 873; Kuhn/Uhlenbruck, a.a.O., § 47 Rdnr. 4), trägt dadurch zum Verwertungserfolg bei, auch wenn der Gemeinschuldner an seiner Stelle im Ergebnis zu Gunsten der Konkursmasse die Verwertung durchführen soll. Ebenso wenig, wie sich der Konkursverwalter durch privatrechtliche Erklärungen vorhandener öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen hinsichtlich eines Grundstücks entziehen kann (Nachweise bei Kuhn/Uhlenbruck, a.a.O., § 6 Rdnr. 35), kann er die umsatzsteuerrechtlichen Folgen für die Konkursmasse abwenden, wenn diese durch die Verwertung von Verbindlichkeiten entlastet wird.
Wenn der wirtschaftliche Wert des Gegenstands (hier des Grundstücks) unter diesen Umständen der Konkursmasse erhalten bleibt, hat der Gemeinschuldner nur konkursbefangenes Vermögen verwertet (vgl. FG Köln, Urteil vom 30. Oktober 1989 8 K 4740/88, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 1990, 381).
c) Die Ausgaben im Zusammenhang mit der für Rechnung der Konkursmasse durchgeführten Verwertung des Geschäftsgrundstücks durch eine steuerpflichtige Lieferung sind Massekosten (§ 58 Nr. 2 KO). Dazu gehört auch die Umsatzsteuer. Steuern durch Verwertungshandlungen ―sei es durch den Konkursverwalter, sei es durch den Absonderungsberechtigten (BFH-Urteil vom 24. Juni 1992 V R 130/89, BFH/NV 1993, 201) oder den zur Verwertung ermächtigten Gemeinschuldner (BFH-Beschluss vom 13. Mai 1992 V B 9/92, BFH/NV 1992, 846)― sind Massekosten (§ 58 Nr. 2 KO) und durch Steuerbescheid gegen den Konkursverwalter festzusetzen (vgl. BFH-Urteile vom 21. Juli 1994 V R 114/91, BFHE 175, 164, BStBl II 1994, 878; in BFHE 151, 99, BStBl II 1987, 873; Welzel, Die Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit, Stuttgart 1997, S. 169 ff.). Die Umsatzsteuer ist zutreffend in dem angegriffenen Umsatzsteuerbescheid für 1993 gegen den Kläger festgesetzt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 660248 |
BFH/NV 2002, 293 |
BStBl II 2003, 208 |
BFHE 196, 341 |
BFHE 2002, 341 |
BB 2002, 22 |
BB 2002, 32 |
DStRE 2002, 178 |
HFR 2002, 244 |
StE 2001, 744 |
UR 2002, 170 |