Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung bei unzureichender Fristenkontrolle durch Bevollmächtigten
Leitsatz (NV)
Will der Bevollmächtigte eines Steuerpflichtigen die Rechtsmittelfrist bis zum letzten Tag ausschöpfen, darf er nicht ohne jede Überprüfung unterstellen, das FA habe den anzufechtenden Steuerbescheid in einfachem Brief zur Post aufgegeben.
Normenkette
AO 1977 § 110 Abs. 1, § 122 Abs. 2 Nr. 1, § 355
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
Durch Steuerbescheid mit Datum vom 2. Oktober 1987 wurde sie zur Umsatzsteuer für 1986 veranlagt. Da sie keine Steuer erklärung abgegeben hatte, schätzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die Besteuerungsgrundlagen. Den beiden Gesellschaftern der Klägerin wurde je eine Ausfertigung des Steuerbescheids am 3. Oktober 1987 mit Postzustellungs urkunde zugestellt. Gegen den Steuer bescheid legte die Klägerin Einspruch ein; das Einspruchsschreiben ihres Steuerberaters und nunmehrigen Prozeßbevollmächtigten trägt das Datum vom 4. November 1987 und ging am 5. November 1987 beim FA ein. Dieses verwarf den Einspruch wegen Verspätung als unzulässig.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage gegen die Einspruchsentscheidung statt, da der Klägerin wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte gewährt werden müssen. Das FG führte aus, der Steuerberater habe annehmen dürfen, daß der Steuerbescheid durch einfachen Brief bekanntgegeben worden sei und deshalb erst am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben gelte (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 --).
Hiergegen wende sich das FA mit der Re vision. Es rügt Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin die Rechtsbehelfsfrist des § 355 AO 1977 versäumt hat und den Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid verspätet eingelegt hat. Es ist aber rechtsfehlerhaft zum Ergebnis gelangt, daß der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hatte gewährt werden müssen.
Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetz liche Frist einzuhalten. Dabei ist das Verschulden eines Vertreters dem Vertretenen zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).
Der Steuerberater und Vertreter der Klägerin hat schuldhaft gehandelt, indem er Art und Zeitpunkt der Bekanntgabe nicht ermittelt hat und deshalb bei der Berechnung der Rechtsbehelfsfrist nach § 355 AO 1977 unterstellt hat, das FA habe den Steuerbescheid in einem einfachen Brief am 2. Oktober 1987 zur Post aufgegeben, so daß er gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 erst drei Tage später als bekanntgegeben gelte. Das FG ist dabei zugunsten der Klägerin davon ausgegangen, daß dem Steuerberater eine Ausfertigung des Steuerbescheids mit dem Datum vom 2. Oktober 1987 ohne den zugehörigen Briefumschlag ausgehändigt wurde. Dies rechtfertige aber nicht die Unterstellung des Steuerberaters, der Bescheid sei mit einfachem Brief durch Aufgabe zur Post übersandt worden und gelte deshalb erst am 5. Oktober 1987 als bekanntgegeben. Will der Bevollmächtigte eines Steuerpflichtigen die Rechtsmittelfrist bis zum letzten Tag ausschöpfen, verletzt er die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er die Art und den Zeitpunkt der Bekanntmachung des Steuerbescheids nicht überprüft und demzufolge das Ende der Rechtsbehelfsfrist nicht nach völlig einwandfreien Unterlagen berechnet (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. Juni 1963 I 416/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1964, 26; vom 2. August 1968 VI R 95/66, BFHE 93, 259, BStBl II 1968, 787; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuer sachen, Tz. 1903). Der Steuerberater der Klägerin durfte deshalb nicht aufgrund des ihm vorliegenden Bescheids ohne weiteres davon ausgehen, der Steuerbescheid sei der Klägerin oder ihren Gesellschaftern durch Aufgabe zur Post mit einfachem Brief bekanntgegeben worden; vielmehr hätte er sich über den wahren Sachverhalt durch Rückfrage bei dem FA oder dem Gesellschafter, von dem er den Steuerbescheid erhalten hatte, informieren müssen. Er hat es pflichtwidrig unterlassen, sich nach der Art und dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Steuerbescheids zu erkundigen; statt dessen hat er seiner Berechnung der Rechtsbehelfsfrist einen unterstellten Sachverhalt zugrunde gelegt. Er war somit nicht ohne Verschulden verhindert, die Frist des § 355 AO 1977 einzuhalten.
Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen