Leitsatz (amtlich)
§ 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1967 gilt nicht für Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, wenn es sich bei dieser um eine zweite, entfernt liegende Arbeitsstätte handelt und der Arbeitnehmer aus diesem Grunde nicht am selben Arbeitstag, sondern erst nach einer oder mehreren Übernachtungen an seinen Wohnort zurückkehrt. Solche Aufwendungen sind als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG 1967 zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG 1967 § 9 Abs. 1 Nr. 4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtige) hatte im Streitjahr 1967 seinen Wohnsitz in F. Er war Rechtsreferendar und als solcher nacheinander mehreren Dienststellen zugeteilt. Daneben war er während des ganzen Jahres in einem zweiten Arbeitsverhältnis als wissenschaftlicher Assistent an der Universität K., Abteilung Ausländisches und Internationales Strafrecht, tätig. Die Bezüge des Steuerpflichtigen aus seinem ersten Arbeitsverhältnis betrugen 6 499 DM, aus dem zweiten Arbeitsverhältnis 3 700 DM.
Das Finanzamt (FA) berücksichtigte die teils mit eigenem PKW, teils mit der Bundesbahn ausgeführten insgesamt 23 Fahrten zwischen F. und K. (Entfernung rd. 400 km) nur insoweit, als sie bei einer Entfernung von 40 km entstanden wären.
Die Klage wurde abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) teilte die Auffassung, daß unter der für das Streitjahr geltenden Fassung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auch bei einem zweiten Arbeitsverhältnis nur bis zur Entfernung von 40 km berücksichtigungsfähig seien. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinnzusammenhang dieser Gesetzesvorschrift sei zu entnehmen, daß die einschränkende Regelung nur für Fahrten im Zusammenhang mit dem ersten Arbeitsverhältnis gelten sollte. Zu dem gleichen Ergebnis komme man bei Berücksichtigung des Zwecks und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Aus der Entstehungsgeschichte ergebe sich nur, daß hinsichtlich der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte der allgemeine Grundsatz, nach dem Werbungskosten in voller Höhe abzugsfähig seien, bewußt aufgrund von verkehrspolitischen Erwägungen und um den Finanzbedarf des Staates sicherzustellen, durchbrochen werden sollte. Für die Auffassung, die Durchbrechung solle bei mehreren Arbeitsverhältnissen auf das erste Arbeitsverhältnis beschränkt bleiben, spreche nichts. Dem Gesichtspunkt, daß bei einem zweiten Arbeitsverhältnis die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, auch soweit sie über 40 km hinausgingen, stets berufsbedingt seien, weil der Arbeitnehmer am Ort der Arbeitsstätte seines ersten Arbeitsverhältnisses wohnen müsse, komme keine Bedeutung zu. Die Auffassung des Steuerpflichtigen lasse sich auch nicht damit begründen, daß der Bundesfinanzhof (BFH) in seiner früheren Rechtsprechung davon ausgegangen sei, die 40-km-Grenze gelte nicht, wenn der Arbeitnehmer zwei Arbeitsverhältnisse habe (vgl. Entscheidung VI 75/61 U vom 23. Februar 1962, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 74 S. 510 – BFH 74, 510 –, BStBl III 1962, 191). Unter der vorhergehenden Regelung sei der Rechtsprechung ein größerer Spielraum verblieben. Nachdem sich die Einzelheiten der Regelung nunmehr aus dem Gesetz ergäben, sei für eine Auslegung im Sinne des Steuerpflichtigen kein Raum. Die Neuregelung verstoße auch weder gegen Art. 3 Abs. 1 noch gegen Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes GG.
Mit der Revision beantragt der Steuerpflichtige Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung und Anerkennung der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 3 072 DM. Es sei zwar richtig, daß nach der Neufassung des § 20 Abs. 2 Nr. 2 LStDV zwingende persönliche Gründe für einen Wohnsitz in einer Entfernung von mehr als 40 km von der Arbeitsstätte nicht ausreichten, um die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte über 40 km hinaus als Werbungskosten anzuerkennen. Bei ihm seien es jedoch keine zwingenden persönlichen Gründe, sondern berufliche Gründe, die ihn zwingen würden, seinen Wohnsitz in einer Entfernung von mehr als 40 km von seiner zweiten Arbeitsstätte zu nehmen. Die Fälle, in denen solche berufsbedingten Gründe vorlägen, sollten von der Einschränkung der Abzugsmöglichkeit nicht berührt werden.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Revision ergibt folgendes.
Für das Streitjahr gilt § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG in der Fassung des StÄndG 1966 vom 23. Dezember 1966, (BStBl I 1967, 2). Danach sind Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Hat der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz an einem Ort, der mehr als 40 km von der Arbeitsstätte entfernt liegt, so werden die Aufwendungen nur Insoweit als Werbungskosten in Abzug gebracht, als sie durch die Fahrten bis zur Entfernung von 40 km verursacht werden. Bei Fahrten mit einem eigenen Kraftfahrzeug (Kfz.) werden die Aufwendungen für jeden Arbeitstag, an dem das Kfz. benutzt wird, nur in Höhe eines Pauschbetrages von 0,36 DM für jeden km, den die Wohnung von der Arbeitsstätte entfernt liegt, anerkannt. Für die vorhergehende Zeit enthielt § 9 Nr. 4 EStG nur die grundsätzliche Regelung, daß Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Werbungskosten seien, sowie eine Anweisung an den Verordnungsgeber, für die Abgeltung des Abzugs dieser Aufwendungen bei Benutzung eines eigenen Kfz. Pauschbeträge festzusetzen. Das geschah in § 20 Abs. 2 Nr. 2 LStDV 1955 und folgende. Hier wurde u. a. bestimmt, daß dann, wenn der Arbeitnehmer aus nicht zwingenden persönlichen Gründen seinen Wohnsitz an einem Ort nehme, der mehr als 40 km von der Arbeitsstätte entfernt liege, die Aufwendungen nur insoweit Werbungskosten seien, als sie durch die Fahrten bis zur Entfernung von 40 km verursacht werden. Die Entfernungsbegrenzung hat der BFH im Urteil VI 33/58 U vom 16. Mai 1958 (BFH 67, 81, BStBl III 1958, 303) als sinngemäße und rechtlich einwandfreie Auslegung der §§ 9 Nr. 4 in Verbindung mit 12 Nr. 1 EStG bezeichnet.
Im Einklang mit der Überlegung, daß die Entfernungsbegrenzung nur für Regelfälle gelten solle, hat der BFH in den Urteilen VI 2/59 U vom 17. April 1959 (BFH 68, 643, BStBl III 1959, 245) und VI 75/61 U vom 23. Februar 1962 (a. a. O.) entschieden, daß die Begrenzung für Arbeitnehmer, die in mehreren Dienstverhältnissen mit Arbeitsstätten an verschiedenen Orten stehen, nicht gilt.
Bei der Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist von ihrem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang, in den sie hineingestellt ist, auszugehen. Gegenstand der Auslegung ist der im Gesetz zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – 2 BvL 11/59, 11/60 vom 17. Mai 1960, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 11 S. 126 – BVerfGE 11, 126 –).
Aus den Gesetzesmaterialien, insbesondere den Bundestagsdrucksachen V/1068 und zu V/1187, ergibt sich, daß für die Neuregelung verkehrspolitische Überlegungen (Verlagerung des Berufsverkehrs von der Straße auf die Schiene) und haushaltspolitische Erwägungen maßgebend waren. Hinzu kam die Überlegung, daß für die Wahl der Wohnung in erheblicher Entfernung von der Arbeitsstätte ebenso wie allgemein für die Benutzung von eigenen Kfz. für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auch Gründe der privaten Lebensführung eine Rolle spielen, so daß es gerechtfertigt erschien, dies bei der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Aufwendungen zu berücksichtigen.
Der Inhalt der Regelung in Verbindung mit der Begründung der Neuregelung läßt aber nach der Auffassung des Senats erkennen, daß der Gesetzgeber bei dieser Vorschrift den Regelfall der Durchführung von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Auge hatte. Dieser ist dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer am gleichen Arbeitstag zur Arbeitsstätte fährt und nach Hause zurückkehrt. Es ist ebenso zu beurteilen, wenn – etwa bei einer Nachtschicht – die Hinfahrt am einen Tag und die Rückfahrt am folgendes Tag durchgeführt wird. Für diese Auslegung spricht insbesondere der Umstand, daß bei Benutzung eines eigenen Kfz. ausdrücklich auf die je Arbeitstag anfallenden Aufwendungen abgestellt wird. Die Sonderregelung in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1967 gilt dann nicht, wenn der Arbeitnehmer erst nach einer oder mehreren Übernachtungen am Arbeitsort an seinen Wohnort zurückkehrt. Für Aufwendungen, die durch solche Fahrten entstehen, bleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG 1967, wonach die durch das Arbeitsverhältnis bedingten Aufwendungen Werbungskosten sind. Dabei ist es gleichgültig, ob sie bei dem ersten oder einem zweiten oder weiteren Dienstverhältnis angefallen sind.
Im Streitfall ist die Entfernung zwischen F. und K. mit rd. 400 km so groß, daß eine Hin- und Rückfahrt am gleichen Tag ausgeschlossen erscheint. Nach den Feststellungen des FG hat der Steuerpflichtige im Streitjahr insgesamt nur 23 Fahrten zwischen F. und K. durchgeführt. Es handelt sich hiernach nicht um einen Sachverhalt der Art, wie er von der Regelung in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG getroffen werden soll. Die in dieser Vorschrift enthaltenen Beschränkungen gelten deshalb für den Streitfall nicht.
Die Sache war an das FG zurückzuverweisen, das die Höhe der als Werbungskosten berücksichtigungsfähigen Aufwendungen festzustellen haben wird.
Fundstellen
Haufe-Index 514845 |
BFHE 1972, 238 |