Leitsatz (amtlich)
1. Der Teilwert eines Erzeugnisses eines Unternehmens entspricht grundsätzlich den auf der Vollkostenrechnung beruhenden Kosten, die bei dem zu bewertenden Unternehmen für die Wiederherstellung anfallen. Die Reproduktionskosten umfassen nicht nur die in der Steuerbilanz aktivierungspflichtigen Herstellungskosten.
2. Die Verpflichtung gegenüber einem Rentner, der alle Voraussetzungen für den Rentenbezug erfüllt, dessen Rente aber ruht, ist nicht mit dem Kapitalwert, sondern mit dem niedrigeren gemeinen Wert als Schuld abzuziehen.
Normenkette
BewG 1965 §§ 10, 14 Abs. 5, § 109 Abs. 1
Tatbestand
I. Sachverhalt und Entscheidung des FG
1. Das FA (Beklagter und Revisionsbeklagter) hat bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Klägerin aufgrund einer Betriebsprüfung die Halbfabrikate in der Weise bewertet, daß es die Wertansätze der Steuerbilanz um folgende Beträge erhöhte:
1. Januar 1964 = 190 000 DM
1. Januar 1965 = 180 000 DM
1. Januar 1966 = 175 000 DM
1. Januar 1967 = 245 000 DM
1. Januar 1968 = 250 000 DM.
Dabei ist das FA von der Betriebsabrechnung der Klägerin ausgegangen. Die Klägerin erstellt zur Preisbildung und Kostenüberwachung jährlich Betriebsabrechnungsbögen nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten auf der Grundlage der Vollkostenrechnung. Aus den sich daraus ergebenden Inventurwerten hat die Klägerin die Steuerbilanzwerte in der Weise abgeleitet, daß sie Abschläge in Höhe der Herstellungskosten vorgenommen hat, die in der Steuerbilanz nach Abschn. 33 EStR nicht aktivierungspflichtig sind. Das FA hat zunächst diese Abschläge durch die Betriebsprüfung unter ertragsteuerlichen Gesichtspunkten überprüft und kam zu dem Ergebnis, daß ein Teil der in den Abschlägen enthaltenen Kosten aktivierungspflichtige Fertigungsgemeinkosten sind. Für die Bewertung der Halbfabrikate bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens hat das FA die berichtigten Steuerbilanzwerte um die in der Steuerbilanz nicht aktivierten Kosten der betrieblichen Altersversorgung und für sonstige soziale Aufwendungen (Gratifikationen, Rentenversorgung, Prämienzahlungen, Personenversicherungen) erhöht. Auf diese Weise ergaben sich die vorstehenden Erhöhungsbeträge. Allgemeine Verwaltungskosten und Betriebskosten sind in diesen Erhöhungsbeträgen nicht enthalten, letztere deshalb nicht, weil sie für Halbfabrikate nicht angefallen sind.
Das FA hat außerdem bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Klägerin zum 1. Januar 1967 und zum 1. Januar 1968 eine durch den Tod eines Betriebsangehörigen im Jahre 1966 entstandene Witwenrente zugunsten der Witwe H. von monatlich 48 DM nicht als Betriebsschuld abgezogen, denn die Zahlung dieser Rente ruhte, weil die Rentenberechtigte im Betrieb der Klägerin selbst als Arbeitnehmerin tätig war und Arbeitslohn erhielt.
Der Einspruch gegen die Feststellungen des Einheitswerts war ohne Erfolg.
2. Auf die Klage hat das FG die Witwenrente für die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1967 und zum 1. Januar 1968 jeweils mit dem gemeinen Wert von 8 295 DM abgezogen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
II. Begründung der Revision
1. Die Revision der Klägerin rügt, das FG habe für das Bewertungsrecht einen anderen Teilwertbegriff als für das Ertragsteuerrecht zugrunde gelegt. Dies verstoße im Hinblick auf die gleiche Begriffsbestimmung des Teilwerts in § 10 BewG und § 6 EStG gegen geltendes Recht. Die Wiederbeschaffungskosten des Betriebs für ein bestimmtes Erzeugnis seien Höchstwerte, der Teilwert könne aber auch niedriger sein. Der gedachte Käufer des Unternehmens gehe im übrigen nicht von den Kosten aus, die dem Betrieb in der Vergangenheit entstanden seien, sondern von den Kosten, die er in der Zukunft selbst aufwenden müsse. Sozialausgaben, wie Altersversorgung und Weihnachtsgratifikationen seien freiwillige Aufwendungen eines Unternehmens. Wenn der gedachte Erwerber diese Sozialausgaben nicht oder in einem geringeren Maß leiste, könne er billiger produzieren. Wenn er aber zur Kürzung der Sozialausgaben entschlossen sei, werde er für Erzeugnisse, die er selbst billiger produzieren könne, nicht die höheren Kosten der Vergangenheit erstatten. Der Teilwert sei damit niedriger als die Kosten, die der Betrieb für die Herstellung aufgewendet habe.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens die Zurechnungen für die Teilwertermittlung der Halbfabrikate außer Betracht zu lassen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
1. Die zu einem gewerblichen Betrieb gehörenden Wirtschaftsgüter sind bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens grundsätzlich mit dem Teilwert anzusetzen (§ 109 Abs. 1 BewG, § 66 Abs. 1 BewG in der vor dem BewG 1965 geltenden Fassung - im folgenden BewG a. F. -). Für die Halbfabrikate der Klägerin besteht keine Ausnahme von diesem Grundsatz.
Der Teilwert ist der Betrag, den der Erwerber des ganzen Unternehmens im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, daß er das Unternehmen fortführt (§ 10 BewG, § 12 BewG a. F.). In der Literatur wurde mit einer gewissen Berechtigung behauptet, der Teilwert sei ein theoretischer Begriff, der sich nicht verifizieren lasse (so z. B. Mohr, BB 1963, 853). Man muß jedoch berücksichtigen, daß der Teilwert einem praktischen Bedürfnis der Substanzbewertung des Vermögens gewerblicher Betriebe entspricht und daß schon vor Einführung der gesetzlichen Begriffsbestimmung des Teilwerts Vorstellungen über dessen Inhalt und Umfang bestanden. So hat schon der RFH in seinem Urteil VI A 575/26 vom 14. Dezember 1926 (RFH 20, 87) in bezug auf das Anlagevermögen eines gewerblichen Betriebs vom Teilwert gesprochen und ihn als den Wiederbeschaffungs- oder Reproduktionswert eines Wirtschaftsguts definiert, der durch den Betrag der Wiederbeschaffungskosten bestimmt werde. Dieser Betrag deckt sich grundsätzlich mit dem Preis, den der gedachte Erwerber eines Unternehmens im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde. Denn würde das betreffende Wirtschaftsgut fehlen, so müßte es durch den Betrieb unter Aufwendung der Kosten, die in diesem Betrieb anfallen, hergestellt werden.
Nach der gesetzlichen Begriffsbestimmung des Teilwerts muß für die Ermittlung des Reproduktionswerts davon ausgegangen werden, daß das konkrete Unternehmen von dem fiktiven Käufer fortgeführt wird, und zwar so, wie es sich am Feststellungszeitpunkt darstellt. Das bedeutet, daß nicht die Wiederbeschaffungskosten maßgebend sind, die sich losgelöst von dem Unternehmen für ein Erzeugnis der entsprechenden Art errechnen lassen, sondern die Wiederbeschaffungskosten, die sich in dem konkreten Unternehmen ergeben. Die Unterstellung der Betriebsfortführung durch den gedachten Käufer führt damit dazu, daß mögliche Rationalisierungsmaßnahmen im Interesse einer Verbilligung der Produktion zunächst außer Betracht bleiben müssen. Allerdings würde der Teilwert für Erzeugnisbestände dann unter den Wiederbeschaffungskosten des zu bewertenden Unternehmens liegen, wenn diese Erzeugnisse zu den Wiederbeschaffungskosten nach den Marktverhältnissen nicht zu veräußern wären; dieser Fall liegt hier aber offensichtlich nicht vor, so daß auf ihn nicht näher eingegangen zu werden braucht. Soweit für ein einzelnes Produkt der Klägerin von untergeordneter Bedeutung zeitweilig Absatzschwierigkeiten bestanden, hat das FA dies durch einen Abschlag berücksichtigt, dessen Höhe von der Klägerin nicht angefochten wird.
Nach obigen Ausführungen umfassen die Wiederbeschaffungskosten alle Kosten, die bei dem zu bewertenden Unternehmen anfallen, um das einzelne zum Betriebsvermögen gehörende Erzeugnis in der Fertigungsstufe, in der es sich am Bewertungsstichtag befindet, durch dieses Unternehmen zu reproduzieren. Der Teilwert erschöpft sich damit nicht in den ertragsteuerlichen Herstellungskosten. Das ergibt sich auch aus dem Handelsrecht. Denn nach § 155 in Verbindung mit § 153 Abs. 2 AktG können in die Herstellungskosten des Umlaufvermögens auch angemessene Teile der Betriebs- und Verwaltungskosten mit einbezogen werden, soweit sie auf den Herstellungszeitraum entfallen. Das vom Niedrigstwertprinzip beherrschte Handelsrecht enthält damit eine für die Teilwertermittlung zu beachtende Aussage, daß sich Betriebs- und Verwaltungskosten, d. h. Kosten, die durch die Leistungsbereitschaft entstehen (vgl. Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl. Bd. 1 § 155 Anm. 79), auf den Wert der Erzeugnisbestände auswirken können, obwohl sie nach den ertragsteuerlichen Vorschriften nicht aktivierungspflichtig sind.
Der Senat hat schon mit Urteil III 85/65 vom 8. März 1968 (BFH 92, 339, BStBl II 1968, 575) im Zusammenhang mit der Bewertung von halbfertigen Arbeiten auf fremdem Grund und Boden entschieden, daß der Teilwert den bis zum Bewertungsstichtag angefallenen Selbstkosten des Unternehmens entspreche. Entgegen der Auffassung der Klägerin führt dies nicht dazu, daß der Teilwertbegriff für das Bewertungsrecht anders ausgelegt wird als für das Ertragsteuerrecht. Denn Bewertungsmaßstab für die in die Steuerbilanz aufzunehmenden Erzeugnisse ist grundsätzlich nicht der Teilwert, sondern die Herstellungskosten. Eine Bewertung mit dem Teilwert kommt nur ausnahmsweise in Betracht, und zwar dann, wenn der Teilwert unter den Herstellungskosten liegt (§ 6 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 EStG). Aus dieser Vorschrift kann jedoch nicht entnommen werden, daß die Herstellungskosten mit dem Teilwert identisch sind. Denn sonst hätte es nicht der Gegenüberstellung von Herstellungskosten und Teilwert bedurft und es hätte genügt, den Teilwert schlechthin als Bewertungsmaßstab für die Steuerbilanz vorzuschreiben. Dazu kommt, daß die katalogmäßige Aufzählung der Kostenarten in Abschn. 33 EStR, die in die ertragsteuerlichen Herstellungskosten einzubeziehen sind, ein Kompromiß zwischen der theoretisch richtigen und einer praktisch angemessenen Lösung ist (vgl. Rau, BB 1962, 704). Für die Aktivierung in der Steuerbilanz werden damit die Herstellungskosten nicht voll ausgeschöpft. Dies ergibt sich auch daraus, daß nach Abschn. 33 Abs. 5 EStR Kostenarten, die nach Auffassung der EStR zu den Herstellungskosten gehören, nicht in die ertragsteuerlichen Herstellungskosten mit einbezogen zu werden brauchen. Für die Ertragsbesteuerung ist eine großzügige pragmatische Abgrenzung der aktivierungspflichtigen Kosten bei der Bewertung von Erzeugnisbeständen weitgehend unbedenklich, weil sich Unterbewertungen verhältnismäßig schnell bei der Veräußerung der Erzeugnisse durch das Auftreten von Scheingewinnen ausgleichen. Bei der Substanzbesteuerung, der die Einheitsbewertung in erster Linie dient, ist ein derartiger Ausgleich nicht möglich. Aus diesem Grund kann die Einheitsbewertung nicht darauf verzichten, den Wert von Erzeugnisbeständen möglichst zutreffend zu ermitteln.
Der Senat braucht im vorliegenden Fall die Frage nicht weiter zu vertiefen, welche Kostenarten für die Ermittlung der Wiederbeschaffungskosten und damit des Teilwerts im einzelnen zu berücksichtigen sind. Denn die Zuschläge, die das FA mit Billigung durch das FG zu den ertragsteuerlichen Herstellungskosten der Halbfertigfabrikate angebracht hat, umfassen nach den unangefochtenen Feststellungen des FG nur Kosten der betrieblichen Altersversorgung und für soziale Aufwendungen, die auf den Fertigungsbereich entfallen, also Herstellungskosten, die nach Abschn. 33 Abs. 5 EStR nicht aktiviert zu werden brauchen. Dies gilt auch für die umsatz- bzw. gewinnabhängigen Tantiemen für leitende Angestellte, denn diese Tantiemen stellen aus der Sicht des Unternehmens nicht eine Gewinnverwendung dar. Die vorgenannten Kosten müssen aber, da es sich bei ihnen eindeutig um Herstellungskosten handelt, in die für die Teilwertermittlung maßgebenden Wiederbeschaffungskosten einbezogen werden.
2. Das FG hat bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der Klägerin zum 1. Januar 1967 und zum 1. Januar 1968 zu Recht die Schuldverpflichtung gegenüber der Witwe H. vom Rohvermögen abgezogen. Diese Rente war an den beiden Feststellungszeitpunkten nicht nur aufschiebend bedingt, sondern aufgrund des Todes des früher bei der Klägerin beschäftigten Ehemannes der Witwe H. unbedingt und unwiderruflich entstanden; die Witwe hatte damit einen klagbaren Rechtsanspruch auf die Rente. Ungewiß war lediglich, von welchem Zeitpunkt an die Witwe aus dem unbedingt entstandenen Rentenrecht Ansprüche herleiten werde. Damit konnte die Verpflichtung aus der Rentenzusage nicht mehr als Anwartschaft behandelt werden, denn eine Pensionsanwartschaft ist nach § 104 Abs. 1 BewG nur gegeben, wenn der Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist. An der Entscheidung III 176/59 U vom 19. Oktober 1962 (BFH 76, 89, BStBl III 1963, 34), die zu der Rechtslage ergangen ist, bevor § 62a BewG a. F. (= § 104 BewG) in das BewG eingefügt worden war, hält der Senat insoweit nicht mehr fest.
Das FG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß die Rentenverpflichtung, weil die Rentenleistung an den maßgebenden Feststellungszeitpunkten ruhte, nicht mit dem Kapitalwert, sondern mit dem niedrigeren gemeinen Wert abzuziehen sei (§ 14 Abs. 5 BewG). Der Senat hat allerdings mit Urteil III R 54/67 vom 24. April 1970 (BFH 99, 489, BStBl II 1970, 715) den Ansatz einer Rentenverpflichtung mit dem gemeinen Wert nur zugelassen, wenn die Abweichung vom Kapitalwert bei dem festgestellten Sachverhalt aufgrund von Erfahrungssätzen oder Denkgesetzen zwingend ist. Das ist hier jedoch der Fall. Die Witwe H. hat Anspruch auf eine Witwenrente von monatlich 48 DM. Diese Rente gewährleistet nicht das Existenzminimum. Die betriebliche Witwenrente kann vielmehr nur eine Ergänzung zu sonstigen Versorgungsbezügen sein. Dies bedeutet aber, daß die Witwe H. solange berufstätig sein muß, bis sie die Voraussetzungen für die Sozialrente erfüllt. Damit steht fest, daß sie bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres oder bis zur früheren Invalidität berufstätig sein muß, so daß die betriebliche Witwenrente solange ruhen wird.
Ist der gemeine Wert einer Rente nachweislich geringer als der Kapitalwert, so ist der "nachgewiesene gemeine Wert" anzusetzen (§ 14 Abs. 5 BewG). Das FG hat den gemeinen Wert geschätzt. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob diese Schätzung der Vorschrift des § 14 Abs. 5 Satz 1 BewG gerecht wird, oder ob als nachgewiesener gemeiner Wert der Kapitalwert hätte angesetzt werden müssen, der dem Rentenbezug ab Vollendung des 60. Lebensjahres unter Berücksichtigung der Abzinsung zum jeweiligen Feststellungszeitpunkt entspricht; denn ein höherer Schuldabzug, als ihn das FG vorgenommen hat, kommt keinesfalls in Betracht. Das FA hat aber gegen die Vorentscheidung kein Rechtsmittel ergriffen, so daß auch ein geringerer Schuldabzug nicht möglich wäre (§§ 121, 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 413255 |
BStBl II 1972, 748 |
BFHE 1972, 228 |