Entscheidungsstichwort (Thema)
Grobes Verschulden bei Änderungen zugunsten des Steuerpflichtigen; Aufwendungen ohne Gegenwert als Werbungskosten
Leitsatz (NV)
1. Keine grobe Fahrlässigkeit i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 bei aus Rechtsunkenntnis nicht geltend gemachten vergeblichen Aufwendungen.
2. Muß der Käufer eines bebauten Grundstücks einem Bauhandwerker wegen Nichterfüllung eines vom Voreigentümer geschlossenen Vertrags (zur Anbringung von Rolläden) Schadensersatz leisten, handelt es sich um Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 9 Abs. 1 Sätze 1-2, § 21 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte mit einem Haus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Er wurde für das Streitjahr (1983) durch Bescheid vom 16. Mai 1984 bestandskräftig zur Einkommensteuer veranlagt. Mit Schreiben vom 20. Augsut 1984 beantragte er, einen Betrag von 14300 DM zusätzlich als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen. Hierbei handelte es sich um Aufwendungen, die mit der beabsichtigten Anbringung von Rolläden in Zusammenhang standen. Der Kläger hatte die Durchführung des vom Voreigentümer mit einem Handwerker geschlossenen Vertrages abgelehnt und war rechtskräftig zur Zahlung von 12000 DM nebst 2300 DM Zinsen verurteilt worden. Bei Erstellung der Einkommensteuererklärung ging er davon aus, daß es sich bei diesen Aufwendungen um Kosten der privaten Lebensführung handele. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bejahte zunächst eine Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Das FA berücksichtigte in einem Änderungsbescheid vom 27. Februar 1985 die Zinsen als Werbungskosten, behandelte jedoch den Betrag von 12000 DM als Herstellungsaufwand und ließ nur Absetzungen für Abnutzung (AfA) in Höhe von 2% (240 DM) zum Abzug zu.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte u.a. aus, eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 komme nicht in Betracht, da der Kläger gewußt habe, daß die Aufwendungen entstanden waren, er sie jedoch aufgrund einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung nicht als Werbungskosten geltend gemacht habe. Der Kläger habe vorsätzlich und damit grob schuldhaft gehandelt.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 und des § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat rechtsfehlerhaft ein grobes Verschulden des Klägers i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 angenommen.
1. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, daß die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Mai 1992 VI R 17/91, BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80). Vorsatz ist zu bejahen bei bewußter Irreführung des FA durch Verletzung der Erklärungs- und Mitwirkungspflichten (vgl. Woerner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 8. Aufl., S. 97; Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 173 AO 1977 Tz. 31). Vorsätzlich handelt daher, wer weiß, daß eine bestimmte Tatsache für seine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, sie aber trotzdem verschweigt.
Das Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit ist im wesentlichen eine Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen des FG dürfen in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff des Vorsatzes bzw. der groben Fahrlässigkeit richtig erkannt worden ist und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65).
Im Streitfall hat das FG den Begriff des Vorsatzes verkannt. Es hat nicht beachtet, daß der Vorsatz auf eine bewußte Irreführung des FA gerichtet sein muß.
2. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.
Die Feststellungen des FG genügen, um ein grobes Verschulden des Klägers am nachträglichen Bekanntwerden der strittigen Aufwendungen zu verneinen. Der Kläger hat nicht die ihm persönlich zuzumutende Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80 m.w.N.). Für den Kläger als Laien auf steuerrechtlichem Gebiet war nicht ohne weiteres ersichtlich, daß die strittige Zahlung an den Handwerker, der keine Gegenleistung gegenüberstand, von steuerlicher Bedeutung war (vgl. Senatsurteil vom 10. August 1988 IX R 219/84, BFHE 154, 481, BStBl II 1989, 131).
Entgegen der Rechtsauffassung des FA führen die Aufwendungen zu sofort abziehbaren Werbungskosten, da sie keine Herstellungskosten sind, jedoch in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Einkünfteerzielung stehen (vgl. Senatsurteil vom 31. März 1992 IX R 164/87, BFHE 168, 104, BStBl II 1992, 805 zu vergeblichen Aufwendungen).
Fundstellen