Leitsatz (amtlich)
1. Verlegt ein Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz aus einem Bundesland in ein anderes Bundesland, so kann das bisher zuständige FA nach § 78 Abs. 1 AO im Einvernehmen mit dem jetzt zuständigen FA die Einkommensbesteuerung derjenigen Veranlagungszeiträume übernehmen, in denen der Steuerpflichtige noch in dem erstgenannten Bundesland wohnhaft war.
2. Im finanzgerichtlichen Verfahren können Finanzbehörden nur Beklagter sein oder dem Verfahren beitreten. Die Beiladung eines FA kommt nicht in Betracht.
Normenkette
FGO §§ 57, 60 Abs. 2-3, §§ 61, 63 Abs. 1, § 122 Abs. 2; AO § § 71 ff., §§ 73, 73a, 75, 78; GG Art. 106-108 i.d.F. bis 23. Dezember 1955 (Finanzverfassungsgesetz)
Tatbestand
Streitig ist, ob die Einkommensteuerbescheide des Beklagten und Revisionsklägers - FA W. - gegen die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) für die Veranlagungszeiträume 1953 bis 1960 wegen mangelnder Zuständigkeit nichtig sind.
Die Kläger sind Eheleute. Sie gaben am 27. März 1961 ihren bisherigen Wohnsitz im Amtsbezirk des FA W. in Niedersachsen auf und verlegten ihn nach U. im Bezirk des FA F. in Bayern. Als sie dies dem FA W. Anfang April 1961 anzeigten, war ihre Einkommensteuerveranlagung noch nicht durchgeführt. Daraufhin bat das FA W. das FA F. mit Schreiben vom 20. April 1961 um sein Einverständnis, die Zuständigkeit für die Einkommensbesteuerung der Steuerpflichtigen bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1960 aus Zweckmäßigkeitsgründen beibehalten zu dürfen. Dem stimmte das FA F. mit Schreiben seines Vorstehers vom 25. April 1961 gemäß § 78 AO zu. Am 30. April 1962 verlegten die Steuerpflichtigen ihren Wohnsitz von U. nach S. im gleichen Bundesland, was sie dem FA W. am 28. April 1962 mitteilten. Nunmehr trat das FA S. mit Schreiben vom 5. November 1962 aus Zweckmäßigkeitsgründen in die Zuständigkeitsvereinbarung zwischen dem FA W. und dem FA F. ein. Mit Wirkung ab 1. Januar 1961 sollte die Zuständigkeit auf das FA S. übergehen. Die Kläger legten gegen diese Zuständigkeitsvereinbarung nach erfolgloser Beschwerde Berufung ein, die vom FG mit rechtskräftigem Urteil vom 5. Dezember 1962 V 73/61 (EFG 1963 Nr. 422) teils als unzulässig verworfen, teils als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die Verfassungsbeschwerde der Kläger an den Bayerischen Verfassungsgerichtshof (Bay VfGH) wurde mit Beschluß vom 1. März 1962 - Vf. 65/VI-63 - zurückgewiesen. Beide Gerichte vertraten die Auffassung, daß die Zuständigkeitsfrage nur im Besteuerungsverfahren selbst entschieden werden könne.
Das FA W. veranlagte die Kläger mit Bescheiden von Ende 1961 und März sowie Mai 1962 für das Streitjahr 1956 getrennt, für die Streitjahre 1953 bis 1955 sowie 1957 bis 1960 zusammen zur Einkommensteuer. Dabei legte es abweichend von den Steuererklärungen der Kläger die Ergebnisse einer Steuerfahndungsprüfung zugrunde. Während der Einspruch im wesentlichen erfolglos blieb, gab das FG der hiergegen gerichteten Berufung, die es als Klage behandelte, aus formellen Gründen mit seiner in EFG 1967 Nr. 714 veröffentlichten Entscheidung statt. Das FG hielt die Einkommensteuerbescheide des FA W. wegen "verbandsmäßiger" Unzuständigkeit für nichtig. Denn die Zuständigkeit des FA W. habe gemäß § 73a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AO mit dem Wohnsitzwechsel der Kläger geendet. Sie habe auch nicht durch die Zuständigkeitsvereinbarung nach § 78 AO verlängert werden können, da die letztere Vorschrift im Verhältnis zwischen Finanzbehörden verschiedener Bundesländer seit dem Inkrafttreten des GG und seiner Regelung der Verwaltungszuständigkeit nicht mehr anwendbar sei.
Mit der Revision rügt das FA W. zunächst Verletzung von § 60 Abs. 3 FGO, da das FA S. hätte beigeladen werden müssen. Ferner macht das FA hinsichtlich der Beurteilung seiner Zuständigkeit Verletzung materiellen Rechts geltend.
Das FA W. beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen, die Revison als unbegründet zurückzuweisen. Sie bringen unter Vorlage eines Rechtsgutachtens von Professor Dr. Maunz, das die Ansicht der Vorinstanz bestätigt, noch vor, die Zuständigkeitsvereinbarung sei auch aus anderen Gründen unwirksam.
Der BMWF hat zu dem Revisionsverfahren seinen Beitritt erklärt und ausgeführt, dem FG-Urteil könne selbst dann nicht zugestimmt werden, wenn man der Lehre von der verbandsmäßigen Zuständigkeit folge.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
I.
1. Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung notwendiger Beiladungen ergibt keinen Verfahrensfehler. Das FG hat zu Recht von der Beiladung des FA S. abgesehen. Die Finanzgerichtsordnung läßt die Beiladung von Finanzbehörden nicht zu, wie sich aus dem Sinn und Zweck der §§ 57, 60, 61 und 63 FGO ergibt. Im finanzgerichtlichen Verfahren können Finanzbehörden nur Beklagte sein oder dem Verfahren beitreten (vgl. Bekker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 57 FGO Anm. 2 Abs. 2). Das FA nimmt als Beklagter am Prozeß teil (§§ 57 Nr. 2, 63 Abs. 1 FGO). Nach § 63 Abs. 1 FGO ist die Klage allein gegen das FA zu richten, das den angefochtenen Bescheid erlassen hat, auch wenn es hierfür nicht zuständig war (Entscheidung des BFH vom 18. März 1971 V R 101/67, BFHE 102, 23, BStBl II 1971, 518). Durch diese Regelung werden die Rechte des Fiskus gewahrt, so daß irgendein Interesse an der Beiladung eines anderen FA nicht ersichtlich ist. Vor allem trifft deshalb § 60 Abs. 3 FGO nicht zu. Ein weiteres FA kann nicht Dritter im Sinne dieser Vorschrift sein, weil es auch nur unselbständiger Teil des Fiskus als Beteilgtem am Rechtsstreit ist (Hinweis auf Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 18 zu § 65).
Gemäß §§ 61, 122 Abs. 2 FGO sind mittlere und oberste Finanzbehörden in bestimmten Fällen berechtigt, dem Verfahren Beizutreten. Der Beitritt von FÄ als Lokalbehörden ist nicht vorgesehen. Diese Regelung muß als abschließend angesehen werden (vgl. Seeliger, DStR 1966, 406 [408]).
Der Senat läßt es dahingestellt, ob dasselbe Ergebnis, wie die Vorinstanz meint, mittels entsprechender Anwendung des § 60 Abs. 2 FGO gewonnen werden kann. Jedenfalls beruht auch diese Bestimmung auf der Erwägung, daß die Interessen des Fiskus allein durch die am Prozeß beteiligte Behörde vertreten werden sollen; so die ständige Rechtsprechung des RFH und BFH zu Fällen der Verwaltung von Gemeinde- und Kirchensteuern durch staatliche Finanzbehörden (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 60 FGO Anm. 3 S. 1687).
Auch der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) führt entgegen der Ansicht des FA zu keiner anderen Beurteilung. Denn das FA vermag als Beklagter zu allen Tatsachen und Beweismitteln Stellung zu nehmen (§ 96 Abs. 2 FGO); bei Verletzung dieses Rechts ist der Rechtsmittelweg nach § 119 Nr. 4 FGO eröffnet. Den überlokalen Belangen der Finanzverwaltung trägt das gesetzliche Beitrittsrecht (§§ 61, 122 Abs. 2 FGO) Rechnung. Finanzielle Interessen des Landes Bayern werden durch den vorliegenden Rechtsstreit schon deshalb nicht berührt, weil die anfallenden Einkommensteuerbeträge nach § 1 Abs. 1 des Zerlegungsgesetzes (ZerlG) vom 29. März 1952 (BGBl I 1952, 225, BStBl I 1952, 235) dem Land Niedersachsen zufließen. Streitigkeiten zwischen den Ländern über die Abführung der Steuerbeträge wären überdies nicht vom FG, sondern durch den BFH im Beschlußverfahren zu entscheiden (§ 9 ZerlG).
Soweit das FA rügt, daß die Vorinstanz über die Beiladung durch Beschluß hätte entscheiden müssen, ist es nicht beschwert. Denn seinen verfahrensrechtlichen Belangen - auch dem Anspruch auf rechtliches Gehör - wird auf Grund der Entscheidung durch Urteil zumindest ebenso Rechnung getragen, wie es bei Ergehen eines Beschlusses der Fall gewesen wäre. Mit der Rüge einer unterlassenen notwendigen Beiladung hätte das Urteil in jedem Falle angegriffen werden können. Im übrigen brauchte das FG, da die Frage der notwendigen Beiladung von Amts wegen zu prüfen war und es von der Beiladung absah, keinen Beschluß ergehen zu lassen (Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 60 Anm. 45, 101).
II.
1. Die Revision ist jedoch deshalb begründet, weil das FG die angefochtenen Bescheide mit unzutreffender Begründung aufgehoben hat. Die Unzuständigkeit des FA W. steht nicht fest. Die Streitfrage, welche Bedeutung dem Begriff der verbandsmäßigen Zuständigkeit in steuerrechtlicher Hinsicht beizumessen ist, wird allerdings nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Rechtsprechung des BFH unterschiedlich beurteilt. Der II. Senat hat sich für den Bereich der Gesellschaftsteuer die Lehre von der verbandsmäßigen Zuständigkeit zu eigen gemacht, die besagt, daß vor Prüfung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des FA (§§ 71 ff. AO) festzustellen ist, ob sich die Finanzbehörde im Rahmen der Verwaltungshoheit des Bundeslandes gehalten hat, dem sie angehört. Die verbandsmäßige Kompetenz zur Besteuerung ist dabei nur dem Land zuzusprechen, in dessen Gebiet sich die Lebensvorgänge zugetragen haben, durch die der Tatbestand verwirklicht wurde, der zur Entstehung der Steuerschuld geführt hat (BFHE-Entscheidungen vom 12. Dezember 1967 II 68/65, BFH 91, 293, BStBl II 1968, 317, und vom 26. Mai 1970 II 29/65, BFHE 99, 553, BStBl II 1970, 759). Auf dem Gebiete des Einkommensteuerrechts ist nach dieser Auffassung entweder das FA verbandsmäßig zuständig, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige zur Zeit der Entstehung des Steueranspruchs wohnhaft war (so Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, 1965, § 75 Tz. 306; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, § 75 Anm. 1), oder, wofür sich außer der Vorentscheidung und dem Gutachten Maunz auch Söhn (FR 1971, 410 ff.) ausgesprochen hat, das FA des neuen Wohnsitzes. Dagegen hat der IV. Senat in dem Urteil vom 29. Oktober 1970 IV R 247/69 (BFHE 101, 91, BStBl II 1971, 151) die Übernahme des Begriffs der verbandsmäßigen Zuständigkeit für die Einkommensteuer auf Grund der Regelung des Zerlegungsgesetzes abgelehnt. In dem vom IV. Senat entschiedenen Fall war streitig, ob das Wohnsitz-FA auch für die Veranlagungszeiträume zuständig sei, in denen der Steuerpflichtige in einem anderen Bundesland wohnhaft war. Diese Frage hat der IV. Senat bejaht. Er tat dies jedoch nicht wegen verbandsmäßiger Unzuständigkeit des früheren in dem anderen Bundesland belegenen FA, sondern auf Grund der Zuständigkeitsregelung in §§ 71 ff. AO.
Der erkennende Senat tritt im wesentlichen der Ansicht des IV. Senats bei. Daraus ergibt sich für den Streitfall, daß zwar zunächst das FA S. gemäß §§ 73 a, 75 AO die Zuständigkeit zur Einkommensbesteuerung der Kläger erlangt hat. Doch kann das FA W. auf Grund der getroffenen Zuständigkeitsvereinbarungen nach § 78 Abs. 1 AO wieder zuständig geworden sein.
Es bedarf hier keiner Entscheidung, welche Tragweite dem Erfordernis der Verbandskompetenz bei der Verwaltung von den Ländern zufließenden Steuern - wie der Gesellschaftsteuer nach früherem Recht - zukommt, worüber der II. Senat befunden hat. Für die hier streitige Einkommensteuer schließt das Grundgesetz Zuständigkeitsvereinbarungen nach § 78 AO nicht aus. Denn Ertragshoheit und Verwaltungshoheit zur Besteuerung sind insoweit verfassungsrechtlich unvollständig geregelt. Insbesondere ergibt sich aus Art. 105 ff. GG nicht, wie die Steuerverwaltungshoheit unter den Ländern hinsichtlich der Einkommensteuerveranlagung abgegrenzt ist (Kötting, StuW 1968, 282 [287]; Söhn, a. a. O., S. 411 rechte Spalte oben). Nach Art. 106 und 108 GG in der bis 30. März 1955 gültigen Fassung standen Aufkommen und Verwaltung der Einkommensteuer grundsätzlich "den Ländern" zu. Der Bund konnte einen Teil des Aufkommens (Art. 106 Abs. 3 GG) und damit nach Art. 108 Abs. 2 GG a. F. auch die Verwaltung der Einkommensteuer in Anspruch nehmen, wovon er in Form der Bundesauftragsverwaltung stets Gebrauch gemacht hat. Nach der Änderung durch das Finanzverfassungsgesetz vom 23. Dezember 1955 brachte Art. 107 Abs. 1 Satz 1 GG zur Verteilung des Aufkommens von "Landessteuern" unter die Länder den nicht erläuterten Maßstab "der Vereinnahmung der Steuern durch die Finanzbehörden in ihrem Gebiet". In Satz 2 dieses Artikels wurde der Erlaß näherer Bestimmungen über die Abgrenzung und Zerlegung des örtlichen Aufkommens einzelner Steuern vorgesehen. Eine Verwaltungszuständigkeitsregelung enthält Art. 107 GG nicht. Art. 30, 83-84 GG als sonst grundsätzlich maßgebende Kompetenzverteilungsnormen zwischen Bund und Ländern (Jäger, StuW 1962, 165 [171]) lassen sich nach der Entscheidung des BVerfG vom 21. Oktober 1971 2 BvL 6/69 u. a. (BVerfGE 32, 145 [154-155], BStBl II 1972, 48) im Bereich der Finanzverwaltung nicht ohne weiteres anwenden, da diese verfassungsrechtlich in Art. 108 GG von Anfang an auf Verzahnung von Bundes- und Landesfinanzbehörden angelegt ist. Für das Verhältnis der FÄ verschiedener Länder untereinander gilt bei der Verwaltung von Bundes- und Gemeinschaftsteuern dasselbe. Ob die Einkommensteuer von der Ertragshoheit her gesehen stets eine Gemeinschaftsteuer war, mag zweifelhaft sein (vgl. Becker-Riewald-Koch, a. a. O., 9. Aufl., § 1 AO, Anm. 6 Buchst. b Abs. 4). Doch stand die Verwaltungshoheit über die Einkommensteuer immer den Ländern gemeinsam zu. Es fehlt den Länderfinanzverwaltungen bei der Verwaltung von Gemeinschaftsteuern die Abgeschlossenheit nach außen; der Grundsatz der sich deckenden Gebiets- und Verwaltungshoheit ist hier nicht durchgeführt (Kötting, a. a. O., Sp. 287; v. Wallis, DStZ, A 1971, 33, 34 f.; v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung, Anm. 1c vor § 71). Selbst Maunz (Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Art. 107 Rdnr. 15) hält es für möglich, daß der Bezirk einer Finanzbehörde (z. B. einer OFD) das Gebiet eines Landes überschreiten kann. Die durch das BVerfG seit langem anerkannte Eigenstaatlichkeit der Länder (BVerfGE 1, 14, 34) ist insoweit eingeschränkt. Wenngleich schwerlich vom Vorliegen eines einheitlichen Steuerverwaltungsgebietes entsprechend der Rechtspflegeeinheit in der BRD ausgegangen werden kann (anderer Ansicht Jäger, a. a. O., Sp. 168 f.), ist doch die teilweise erhalten gebliebene Einheitlichkeit der Finanzverwaltung bei der Erhebung von Bundes- und Gemeinschaftsteuern nicht zu bestreiten. Dies kommt im Bestehen eines einheitlichen Besteuerungssystems, der gemeinsamen Erhebung von Bundes- und Gemeinschaftsteuern in Form der Bundesauftragsverwaltung unter Anwendung gleicher Verwaltungsvorschriften und durch die im Wesen des landeseigenen Vollzugs von Bundesgesetzen liegende bundesweite Geltung von Verwaltungsakten, die durch Landesbehörden zum Vollzuge eines Bundesgesetzes ergangen sind (BVerfG-Beschluß vom 15. März 1960 2 BvG 1/57, BVerfGE 11, 6), zum Ausdruck; durch Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG n. F. ist sogar die Möglichkeit zur Zuständigkeits- und Aufgabenverflechtung zwischen Bundes- und Landesbehörden und eine gegenseitige Übertragung von Verwaltungszuständigkeiten und -aufgaben vorgesehen (dazu Vogel-Wachenhausen in Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung, Art. 108 Rdnr. 121). Daß bei der Verwaltung von Bundessteuern §§ 71 ff. AO über Ländergrenzen hinweg unanwendbar wären, hat noch niemand behauptet (vgl. Herrmann, StuW 1964 Sp. 771; Tipke-Kruse, a. a. O., Vorbemerkung 4 vor §§ 71 f.). Für Gemeinschaftsteuern, deren Verwaltung für die Streitjahre teilweise - seit 1968 ganz - im Bundesauftrag erfolgt, wäre eine nur teilweise Anwendung dieser Zuständigkeitsbestimmungen undurchführbar, so daß schon der Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs als Auslegungshilfe (Maunz-Dürig-Herzog, a. a. O., Art. 30 Rdnr. 15) für die einheitliche Anwendung der §§ 71 ff. AO spricht.
Unabhängig hiervon steht nach - soweit ersichtlich - allgemeiner Meinung (statt aller Vogel-Kirchhof, Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung, Art. 107 Rdnr. 92 a. E.) die Abgrenzung der Ertrags- und Verwaltungshoheit über die Einkommensteuer zwischen den Ländern zur Disposition des Bundesgesetzgebers. Hiervon wurde, wie der IV. Senat näher dargelegt hat, durch das Zerlegungsgesetz vom 29. März 1952 Gebrauch gemacht, das nicht nur von der weiteren allgemeinen Anwendbarkeit der §§ 71 ff. AO ausgeht, sondern diese Vorschriften ausdrücklich in seine Regelung aufgenommen hat (§ 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 ZerlG). Zur weiteren Abgrenzung der Verwaltungshoheit bedurfte es keiner bundesgesetzlichen Regelung mehr, weil die hier in Betracht kommenden §§ 71, 72, 73a 75 und 78 AO jedenfalls hinsichtlich Bundes- und Gemeinschaftsteuern auch im Verhältnis der FÄ verschiedener Länder nach Art. 108 Abs. 3 Satz 2 GG geltendes Recht sind. Wären diese Vorschriften nicht schon vorhanden gewesen, hätte der Bundesgesetzgeber die gleiche Regelung treffen können. Im Entwurf der Abgabenordnung 1974 (§§ 18-31, Bundesratsdrucksache 23/71) ist denn auch die Zuständigkeitsregelung der Reichsabgabenordnung im wesentlichen beibehalten. Daß diese Vorschriften ursprünglich auf das Bestehen einer einheitlichen Finanzverwaltung zugeschnitten waren, schließt auch unter den veränderten staatsrechtlichen Verhältnissen ihre verfassungskonforme Anwendung nicht aus.
Im übrigen verkennt die Ansicht der Kläger, lediglich §§ 73a und 75 AO sollten auch über Landesgrenzen hinweg gelten (anderer Ansicht Herrmann, a. a. O., Sp. 777; Mattern-Meßmer, a. a. O.; Tipke-Kruse, a. a. O., und § 75 Anm. 1), daß der in §§ 71-79 AO verwendete Begriff der örtlichen Zuständigkeit nur einheitlich verstanden werden kann. Es ist nicht einzusehen, weshalb zwar gemäß § 75 AO die bloße Kenntnisnahme des FA von den die Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen für den Wechsel der Verwaltungshoheit verfassungsrechtlich unbedenklich sein, hingegen die Vereinbarung zweier FÄ verschiedener Länder dem Grundgesetz zwingend widersprechen sollte. Dies gilt um so mehr, wenn - wie im Streitfall - schützenswerte Belange des Landes des jetzigen Wohnsitzes nicht erkennbar sind, weil der Länderanteil der Einkommensteuer nach § 1 Abs. 1 ZerlG dem Lande des früheren Wohnsitzes zufließt. Die Kläger benutzen den Begriff der verbandsmäßigen Zuständigkeiten in dem von ihnen verfochtenen Sinn denn auch nur zu dem Zweck, die Regelung in § 78 Abs. 1 AO beiseitesetzen zu können, während sich bei der Anwendung der übrigen Vorschriften der §§ 71 ff. AO ihre Ansicht mit der dort geregelten örtlichen Zuständigkeit deckt. Dabei fehlt aber schon, mangels jeglichen Anhalts im Gesetz selbst, eine sachgerechte Begründung für die Auffassung der Kläger, daß sich die verbandsmäßige Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Durchführung der Veranlagung und nicht, was aus der Natur der Sache heraus näherliegen würde, nach dem Wohnsitz des Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Verwirklichung des Steuertatbestands oder im Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld zu richten hätte. Mit dem ihr von den Klägern beigelegten Inhalt hätte die verbandsmäßige Zuständigkeit keinen sachbezogenen Sinn, weil hierbei in großem Umfang FÄ der Länder für die Veranlagung der Einkommensteuer zuständig werden könnten, denen die Ertragshoheit nicht zusteht und die außerdem zur Zeit der Entstehung des Steueranspruchs oder zu der der Verwirklichung des Steuertatbestands nicht zuständig waren. Dies ist zwar grundsätzlich auch nach der geltenden Zuständigkeitsregelung in §§ 71 ff. AO der Fall, jedoch dient gerade § 78 AO dazu, die genannten Sachbezogenheiten für die Frage der örtlichen Zuständigkeit nutzbar zu machen und durch Zuständigkeitsvereinbarungen die Zuständigkeit eines FA zu begründen, das mit der Entstehung des Steueranspruchs besonders eng verbunden ist.
Für die Verfassungsmäßigkeit der im Sinne des Senats verstandenen Auslegung des § 78 AO läßt sich ferner die Zusammenschau (vgl. BVerfGE 32, 145 [154]) von Rechtsinstituten, wie der grundgesetzlich gewährleisteten Pflicht zur Amtshilfe (Art. 35 GG), der Organleihe (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juni 1968 V R 128/66, BFHE 92, 144 [151-152], BStBl II 1968, 488) und des Mandats (Kötting, a. a. O., Sp. 290 f.) anführen. Die Geltung dieser Vorschrift über Ländergrenzen hinweg gebieten schließlich gerade bei der Steuererhebung erheblich ins Gewicht fallende Praktikabilitätsgründe (BVerfGE 32, 145 [155]). Zum "Funktionieren des bundesstaatlichen Systems" (BVerfG-Entscheidung vom 9. Februar 1972 1 BvL 16/69, BVerfGE 32, 333 [338], BStBl 1972 II, 408) im Bereich der Steuerverwaltung ist die Möglichkeit von Zuständigkeitsvereinbarungen unumgänglich. Dies wird besonders deutlich im Bereich der zur Einkommensteuer zählenden Lohnsteuer und der Kapitalertragsteuer, die unabhängig vom Wohnsitz des Steuerpflichtigen erhoben werden (vgl. hierzu Tipke-Kruse, a. a. O., Vorbemerkung 4 vor §§ 71 f. S. 138; Vogel-Kirchhof, a. a. O., Art. 107 Rdnr. 101), und wird in tatsächlicher Hinsicht erwiesen durch die Fluktuation der Steuerpflichtigen sowie die geringe Ausdehnung der norddeutschen Stadtstaaten. Daß nach § 78 AO untere Verwaltungsbehörden entscheiden, läßt sich auch mit dem Institut der Delegation rechtfertigen und erscheint als sachdienlichste Lösung (v. Wallis, a. a. O.). Mit Recht weist der IV. Senat des BFH in der Entscheidung IV R 247/69 darauf hin, daß kein Bedürfnis dafür bestehe, die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in einer förderativ gestalteten Verfassung durch die Einführung eines Merkmals "verbandsmäßige Zuständigkeit zu erschweren...".
Soweit die Kläger geltend machen, in der Zuständigkeitsvereinbarung liege eine Entziehung des gesetzlichen Richters, schließt sich der Senat der Entscheidung des BFH II 68/65 unter I an, auf deren Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. Die Kläger sehen außerdem rechtsirrig Art. 11 GG als verletzt an. Das Recht, an jedem Orte innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnung zu nehmen (BVerfG-Beschluß vom 7. Mai 1953 1 BvL 104/52, BVerf-GE 2, 266 [273]), wird durch den Standort der Besteuerungsbehörde nicht unmittelbar berührt, ebensowenig wie z. B. bei Beeinträchtigungen der beruflichen Tätigkeit (Dürig in Die Grundrechte, herausgegeben von Neumann-Nipperdey-Scheuner, II, 507 [511, 513-514] mit Rechtsprechungsnachweisen).
Bei dieser Rechtslage kommt keine Einholung einer Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG in Betracht. Auch eine Anrufung des Großen Senats des BFH ist nicht angezeigt. Eine Abweichung nach § 11 Abs. 3 FGO von der Rechtsprechung des II. Senats scheidet schon deshalb aus, weil diese zu möglicherweise anders zu beurteilenden Landessteuern ergangen ist und außerdem die Entscheidungen, wie der IV. Senat ausgesprochen hat, nicht trägt. Eine Vorlage nach § 11 Abs. 4 FGO erscheint vor allem unter dem Gesichtspunkt nicht sinnvoll, daß der Große Senat nach Ansicht des erkennenden Senats eine für die Beurteilung der Rechtslage bei Bundes-, Gemeinschafts- und Landessteuern bindende Entscheidung nicht fällen könnte.
3. Ob die Voraussetzungen des § 78 AO erfüllt sind, hat das FG von seinem Standpunkt aus zu Recht offengelassen. Es muß nun diese Feststellungen nachholen.
Zur Rechtslage weist der Senat darauf hin, daß die Zuständigkeitsänderung gemäß § 78 AO im Ermessen der Finanzverwaltung liegt, das von dem FG nur in den Grenzen des § 102 FGO geprüft werden darf. Die Zuständigkeitsvereinbarung ist entgegen der Ansicht der Kläger auch ohne ihre Zustimmung wirksam. Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten eine einschränkende Auslegung (BFH-Urteil vom 27. Februar 1970 VI R 314/67, BFHE 98, 412, BStBl II 1970, 422 mit weiteren Nachweisen). Das Gebot zur Gewährung rechtlichen Gehörs gilt auch im Steuerverwaltungsverfahren mit der Maßgabe, daß grundsätzlich der Betroffene vor Ergehen der behördlichen Entscheidung zu hören ist. Doch wird der Verstoß geheilt, wenn im anschließenden Rechtsmittelverfahren rechtliches Gehör gewährt wird (BFH-Urteile vom 4. Juni 1959 IV 101/58 U, BFHE 69, 127, BStBl III 1959, 310, und vom 23. Januar 1964 IV 471/60, StRK, Einkommensteuergesetz, § 18, Rechtsspruch 317; Becker-Riewald-Koch, a. a. O., § 204 AO, Anm. 6 Abs. 11; Tipke-Kruse, a. a. O., § 204 AO, Anm. 13). Die Kläger haben ihr Anhörungsrecht durch die Beschwerde an die OFD ausüben können. Im Rahmen der Prüfung der Zweckmäßigkeit der Zuständigkeitsvereinbarung müssen, wie aus dem in § 78 Abs. 1 AO genannten Antrag des Steuerpflichtigen hervorgeht, auch die Interessen der betroffenen Steuerpflichtigen berücksichtigt und gegenüber den Belangen der Verwaltungsvereinfachung abgewogen werden. Hier ist insbesondere von Bedeutung, in welchem Stadium sich das Besteuerungsverfahren befindet, ob es sich um einen einfach gelagerten oder um einen verwickelten Sachverhalt mit Streitfragen tatsächlicher und rechtlicher Art handelt, der mutmaßlich ein Rechtsmittelverfahren mit umfangreichen Beweiserhebungen nach sich ziehen wird, wobei die Ortsnähe eine Rolle spielen könnte. Ermessensfehler kommen in Betracht, wenn es für die Kläger aus sachlichen oder persönlichen Gründen unzumutbar wäre, die Besteuerung durch das FA des früheren Wohnsitzes hinzunehmen.
Sollte die Vorinstanz auf Grund der erneuten Verhandlung zu dem Ergebnis gelangen, daß die Zuständigkeitsvereinbarung auch insoweit nicht zu beanstanden ist, so hat sie den weiteren mit der Revision erhobenen Einwand der Kläger zu prüfen, ob die Berichtigungsbescheide wegen angeblich siebenjähriger Versäumung der Veranlagung gegen Treu und Glauben verstoßen.
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung an das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
BStBl II 1973, 198 |
BFHE 1973, 10 |