Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung bei Verhinderung des Prozeßbevollmächtigten
Leitsatz (NV)
Teilt der Prozeßbevollmächtigte dem FG A über einen Monat vor einer anberaumten mündlichen Verhandlung mit, daß er den Termin wegen eines bereits früher anberaumten und zuvor bereits mehrfach verschobenen Termins einer mündlichen Verhandlung vor dem FG B nicht wahrnehmen könne, so kann das FG A antragsgemäß zur Terminsaufhebung verpflichtet sein, sofern nicht begründete Anhaltspunkte für eine Prozeßverschleppung bestehen.
Normenkette
FGO § 155; ZPO § 227
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beantragte im Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Streitjahr 1981 u. a., Aufwendungen für den Unterhalt seiner in Jugoslawien lebenden Schwiegereltern gemäß § 33 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Außerdem begehrte er den Abzug von Kinderbetreuungskosten in Höhe von 600 DM für das ebenfalls in Jugoslawien lebende Kind X. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte die Kinderbetreuungskosten nur in Höhe von 400 DM und versagte den Abzug der Unterhaltsleistungen an die Schwiegereltern wegen der Höhe der anderen Einkünfte und Bezüge sowie des eigenen Vermögens der unterstützten Personen. Ferner ließ es geltend gemachte Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur wegen einer Entfernung von 10 km zum Abzug zu, statt, wie vom Kläger beantragt, wegen einer Entfernung von 26 km.
Nach erfolgslosem Einspruchsverfahren verfolgte der Kläger sein Begehren im Klageverfahren weiter.
Das Finanzgericht (FG) hat den Prozeßbevollmächtigten des Klägers durch Ladung vom 2. Oktober 1987, zugestellt am 9. Oktober 1987, zu dem auf den 19. November 1987 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung geladen. Am 13. Oktober 1987, beim FG eingegangen am 15. Oktober 1987, beantragte der Prozeßbevollmächtigte, den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben. Zur Begründung trug er vor, er habe am 19. November 1987 einen Termin zur mündlichen Verhandlung vor einem anderen FG wahrzunehmen; die Ladung zu diesem Termin habe er bereits früher erhalten. Außerdem sei der Termin zur mündlichen Verhandlung in dieser Sache schon mehrfach verschoben worden.
Daraufhin teilte das FG dem Klägervertreter mit Schreiben vom 19. Oktober 1987 mit, daß der Termin zur mündlichen Verhandlung vorerst nicht verschoben werde. Es forderte den Kläger auf, bis zum 10. November 1987 substantiiert darzulegen, was er in der mündlichen Verhandlung vorzutragen beabsichtige.
Der Kläger antwortete dem FG mit Schreiben vom 16. November 1987, beim FG eingegangen am 19. November 1987, er halte an seinem Antrag fest, den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben. Es bestehe keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung schriftsätzlich vorwegzunehmen. Im übrigen hätten die Beteiligten bei der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit, aufgrund des Vortrags des wesentlichen Inhalts der Akten durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter sich zu vergewissern, ob ihr Begehren richtig aufgefaßt worden sei. Sie könnten überdies bei der anschließenden Erörterung durch Tatsachenvortrag und Rechtsausführungen sicherstellen, daß sämtliche ihnen wichtig erscheinenden Punkte vom Gericht gewürdigt würden. Im übrigen kündigte der Prozeßbevollmächtigte an, die im Klageschriftsatz gestellten Anträge in der mündlichen Verhandlung zum Teil einzuschränken bzw. zu modifizieren.
Die Klage hatte nur hinsichtlich der geltend gemachten Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Erfolg; im übrigen wurde sie abgewiesen. Das FG führte zur Begründung u. a. aus, der Vortrag des Prozeßbevollmächtigten, den Verhandlungstermin beim FG wahrnehmen zu müssen, sei kein erheblicher Grund für eine Terminsaufhebung. Im übrigen habe der Prozeßbevollmächtigte im Hinblick auf die entsprechende Aufforderung durch das Gericht die ausreichende Möglichkeit gehabt, weitere Ausführungen zu dem Prozeßstoff zu machen oder für die mündliche Verhandlung anzukündigen. Er habe jedoch die ihm in den gerichtlichen Verfügungen genannten Fristen nicht eingehalten. Der am Sitzungstag eingegangene Schriftsatz habe im wesentlichen Rechtsausführungen zu dem Antrag auf Terminsaufhebung und daneben - in geringerem Umfang - eine Einschränkung des Klageantrags sowie neue Anträge enthalten, nämlich 30 DM Kontoführungsgebühren als Werbungskosten zu berücksichtigen und für das in Jugoslawien lebende Kind X statt der gewährten 400 DM den Betrag von 600 DM als Kinderbetreuungskosten zu berücksichtigen. Weitere Rechtsausführungen seien, wie dem Gericht aus anderen bei ihm anhängigen Verfahren bekannt sei, nicht zu erwarten. Das Gericht sei daher zu der Überzeugung gelangt, daß dem Kläger durch Nichtaufhebung des Termins die Möglichkeit zu weiteren Ausführungen nicht genommen worden sei.
In der Sache führte das FG zu den jetzt noch streitigen Punkten aus, die Unterhaltsleistungen des Klägers an seine Schwiegermutter seien nicht gemäß § 33 a EStG zu berücksichtigen, weil der Kläger die Bedürftigkeit der Unterstützten nicht glaubhaft gemacht habe. Zwar habe die Schwiegermutter selbst ausweislich einer Unterhaltsbescheinigung keinerlei Einkünfte. Sie lebe jedoch mit ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt. Der Schwiegervater beziehe seinen Unterhalt aus einer Rente und aus Landwirtschaft. Der Kläger habe allerdings vorgetragen, daß die Landwirtschaft nur aus einer Fläche von einem Morgen bestehe, diese Behauptung jedoch nicht durch geeignete Unterlagen belegt. Die bescheinigten Einkünfte des Schwiegervaters sowie die Tatsache, daß der Kläger nicht mehr an seinem ursprünglichen Begehren festgehalten habe, auch die Unterhaltsleistungen an den Schwiegervater zu berücksichtigen, untermauerten insgesamt die Vermutung, daß der Schwiegervater nicht unterhaltsbedürftig sei. Gegen die Annahme, daß die Schwiegermutter unterhaltsbedürftig sei, spreche, daß die Schwiegereltern einander unterhaltspflichtig seien und in einem gemeinsamen Haushalt lebten. Es sei allgemein üblich, daß eine Landwirtschaft von der Familie gemeinsam betrieben werde, so daß angenommen werden müsse, daß auch die Schwiegermutter Einkünfte aus der Landwirtschaft bezogen habe und die vorgelegte Unterhaltsbescheinigung unzutreffend sei. Zudem habe die Schwiegermutter Anspruch auf einen Teil der Einkünfte des Schwiegervaters. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, daß dessen Einkünfte so gering seien, daß sich eine Unterhaltsbedürftigkeit der Schwiegereltern insgesamt ergeben habe.
Die Kinderbetreuungskosten für das Kind X habe das FA gemäß Abschn. 191 a Abs. 3 Satz 3 der Einkommensteuer-Richtlinien 1981 (EStR 1981) in zutreffender Höhe berücksichtigt.
Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung von Art. 103 des Grundgesetzes (GG) sowie der §§ 90, 93 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Er trägt vor, er habe beabsichtigt, noch in der mündlichen Verhandlung neue Beweisanträge zu stellen, u. a. noch das Zeugnis der jugoslawischen Behörden zu beantragen, aus dem sich ergebe, daß die Schwiegereltern keinen landwirtschaftlichen Betrieb in einem nach den dortigen Verhältnissen üblichen Umfang und Rahmen betreiben. Darüber hinaus hätte er durch seinen Prozeßbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung auch wieder Unterhaltszahlungen für den Schwiegervater beantragen wollen, und zwar unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. März 1987 III R 206/82 (Deutsches Steuerrecht - DStR - 1987, 764); denn der Schwiegervater, der im Jahr 1908 geboren sei, habe altersbedingt keinen landwirtschaftlichen Betrieb in nennenswertem Umfang betreiben können.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Die Durchführung der mündlichen Verhandlung ohne Anwesenheit des (ordnungsgemäß) geladenen Prozeßbevollmächtigten kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellen, wenn einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Vertagung des Termins nicht stattgegeben worden ist (BFH-Beschluß vom 11. April 1978 VIII R 215/77, BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401). Diese Rüge hat der Kläger ordnungsgemäß erhoben; denn er hat dargelegt, was er in der mündlichen Verhandlung noch darlegen wollte (BFH-Beschluß vom 16. Januar 1986 III B 71/84, BFHE 145, 497, BStBl II 1986, 409).
Die Rüge ist auch begründet.
Gemäß § 155 FGO i. V. m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann das Gericht ,,aus erheblichen Gründen" auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen. Liegen erhebliche Gründe i. S. v. § 227 ZPO vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht, d. h. der Termin muß in diesen Fällen zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs aufgehoben werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird (BFH-Urteil vom 14. Oktober 1975 VII R 150/71, BFHE 117, 19, BStBl II 1976, 48). Die Beantwortung der Frage, ob erhebliche Gründe in diesem Sinne vorliegen, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Der Prozeßstoff und die persönlichen Verhältnisse des Klägers und seines Prozeßbevollmächtigten sind bei der Prüfung ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, daß das FG im steuergerichtlichen Verfahren die einzige Tatsacheninstanz ist und die Beteiligten ein Recht darauf haben, ihre Sache in einer mündlichen Verhandlung vorzutragen (Senatsbeschluß vom 7. Dezember 1990 III B 102/90, BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240; Urteil in BFHE 117, 19, BStBl II 1976, 48).
Eine Terminsaufhebung ist nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 5. Dezember 1979 II R 56/76 BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208) allerdings nicht ohne weiteres geboten, wenn der Kläger oder sein Prozeßbevollmächtigter vortragen, zu dem angesetzten Zeitpunkt einem anderen Gerichtstermin nachkommen zu müssen. Insofern ist auch stets zu prüfen, ob nicht eine Verlegung dieses Termins oder eine Vertretung durch einen anderen Prozeßbevollmächtigten, insbesondere wenn der bisherige Prozeßbevollmächtigte in einer Sozietät tätig ist, zumutbar ist. Im Zweifel ist dem Antrag auf Terminsaufhebung jedoch zu folgen, sofern nicht begründeter Anlaß für die Absicht einer Prozeßverschleppung besteht, etwa weil die Klage über einen längeren Zeitraum nicht begründet worden ist (BFH-Beschluß vom 15. Dezember 1987 VIII R 132/86, BFH/NV 1988, 506). So hat der BFH im Urteil in BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208 entschieden, daß eine gleichzeitig vor dem Amtsgericht stattfindende mündliche Verhandlung über einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung für das FG ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung ist. Im gleichen Sinne hat er im Urteil in BFHE 117, 19, BStBl II 1976, 48 für den Fall entschieden, daß vor dem BFH und dem FG München mehrere Termine zur mündlichen Verhandlung anberaumt waren.
Wegen der Bedeutung, die der mündlichen Verhandlung insbesondere für die Tatsachenermittlung vor dem FG zukommt, ist der Senat unabhängig von den Besonderheiten, die in den vorstehend erwähnten Entscheidungen für die Terminsaufhebung als ausschlaggebend angesehen worden sind, der Auffassung, daß ein erheblicher Grund, einen Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, regelmäßig dann gegeben ist, wenn ein Prozeßbevollmächtigter durch einen früher anberaumten anderweitigen Termin verhindert ist (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 91 FGO Tz. 1). Wie zu entscheiden ist, wenn die mündliche Verhandlung durch einen oder mehrere Erörterungstermine vorbereitet worden ist und der Prozeßbevollmächtigte Gelegenheit hatte, an diesen Terminen teilzunehmen, braucht der Senat im vorliegenden Zusammenhang nicht zu entscheiden. Der Beschluß in BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240 betrifft den Fall, daß nicht der Prozeßbevollmächtigte, sondern der Kläger selbst an der Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung verhindert war; für diesen Fall hat der Senat unter den vorerwähnten Umständen entschieden, daß eine Terminsverlegung grundsätzlich nicht geboten ist.
Nach diesen Grundsätzen war im Streitfall die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung geboten. Der Prozeßbevollmächtigte war durch einen früher anberaumten Verhandlungstermin vor einem anderen FG verhindert, am 19. November 1987 vor dem FG zu erscheinen. Es kommt hinzu, daß der vor dem anderen FG früher anberaumte Termin bereits mehrfach verlegt worden war. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß der Prozeßstoff im vorliegenden Fall keineswegs einfach und insbesondere eine Erörterung der Bedürftigkeit der Schwiegermutter des Klägers in der mündlichen Verhandlung sinnvoll war. Hieran ändert nichts, daß der Prozeßbevollmächtigte, der einen Monat vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung ergangenen Aufforderung des FG, substantiiert darzulegen, was er in der mündlichen Verhandlung noch vorzutragen beabsichtige, innerhalb der vom FG gesetzten Frist nicht nachgekommen ist. Eine Prozeßverschleppung kann hierin jedenfalls ebensowenig gesehen werden wie in der über mehrere Jahre sich erstreckenden Untätigkeit des Prozeßbevollmächtigten, auf die das FG hingewiesen hat. Zwar ist der Prozeßbevollmächtigte der wiederholten Aufforderung zu weiterer schriftsätzlicher Stellungnahme nicht gefolgt, doch ist während dieser Zeit auch von anderer Seite offenbar nichts Entscheidendes zur Förderung des Prozesses unternommen worden. Soweit der Prozeßbevollmächtigte des Klägers allerdings die Befugnis des Gerichts, die mündliche Verhandlung vorzubereiten, und die Verpflichtung des Klägers, entsprechenden Aufforderungen zu weiterer schriftsätzlicher Stellungnahme nachzukommen, bestreiten sollte, wäre auf § 79 FGO und den Willen des Gesetzgebers hinzuweisen, daß der Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung erledigt werden soll.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da sie verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist. Dem erkennenden Senat ist als Revisionsgericht eine Sachentscheidung verwehrt, so daß die Sache gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen ist (Urteil in BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208 a. E.).
Fundstellen
Haufe-Index 417784 |
BFH/NV 1991, 830 |