Leitsatz (amtlich)
Das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus einer auf Weisung des inländischen Arbeitgebers vom inländischen Arbeitnehmer im Ausland ausgeübten Tätigkeit steht dem anderen Staat auch dann zu, wenn der zur Ausübung der Tätigkeit erforderliche Auslandsaufenthalt nur vorübergehender Natur ist.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 3 Nr. 4, § 19; DBA ITA Art. 7 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist die Anwendbarkeit der Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 DBA-Italien vom 31. Oktober 1925 (RGBl II, 1146).
Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) ist kaufmännischer Angestellter (Revisor) bei einer deutschen Aktiengesellschaft (AG); er hat seinen Wohnsitz in der BRD. Im Auftrag der AG führte er in den Jahren 1966 und 1967 u. a. auch Abschluß- und Ordnungsprüfungen bei deren italienischer Tochtergesellschaft durch. Während für die technischen Angestellten, die von der AG für längere Zeit nach Italien entsandt worden waren, bei den zuständigen FÄ Anträge auf Befreiung von der deutschen Einkommensteuer (Lohnsteuer) gestellt worden waren, wurde für die kaufmännischen Angestellten - darunter der Steuerpflichtige - angesichts "ihrer jeweils nur kurzen Auslandsaufenthalte" die Lohnsteuer von der AG wie üblich einbehalten und abgeführt.
Der Steuerpflichtige, der in den Streitjahren insgesamt sieben Dienstreisen nach Italien mit einer Dauer von jeweils 3,3 bis 25,4 Reisetagen durchgeführt hat, beantragte beim Revisionsbeklagten (dem FA) die Erstattung der auf die Zeit dieser Dienstreisen entfallenden Lohnsteuer (§ 152 Abs. 2 Nr. 1 AO, Art. 7 Abs. 1 DBA-Italien). Das FA lehnte den Antrag mit der Begründung ab, daß die Tätigkeit des Steuerpflichtigen in Italien jeweils nur kurzfristig und im übrigen Ausfluß seiner ständigen Tätigkeit in der BRD gewesen sei.
Der Einspruch des Steuerpflichtigen und die zum FG erhobene Klage blieben ohne Erfolg. Die Entscheidung des FG ist in den EFG 1970, 213 veröffentlicht.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom FG zugelassene, form- und fristgerecht eingelegte Revision des Steuerpflichtigen mit dem Antrag, das FA unter Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Bescheides vom 14. Dezember 1967 kostenpflichtig zur Erstattung von 1 267 DM Lohnsteuer 1966 und 1967 zu verurteilen, ferner zur Zahlung von 0,5 v. H. Zinsen monatlich vom Tage der Rechtshängigkeit ab, hilfsweise die Sache wegen Verletzung des Rechts auf Gehör an das FG zurückzuverweisen. Zur Begründung läßt er vortragen:
Das FG habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dadurch verletzt, daß es bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Frage nach der Auswirkung der Tätigkeit des Steuerpflichtigen auf die italienische Volkswirtschaft wesentliche Tatsachen als erwiesen angesehen habe, ohne über sie zu verhandeln oder Beweis zu erheben (Urteil des BFH I 30/64 vom 5. Juli 1966, BFH 86, 609, BStBl III 1966, 604). - Sachlich-rechtlich widerspreche die Auffassung des FG, daß eine im Rahmen von Auslandsdienstreisen ausgeübte Tätigkeit nicht der italienischen Volkswirtschaft dienen könne, den Gesetzen der Logik. Es sei das Wesen der Dienstreise, daß die sonst am Ort der regelmäßigen Arbeitsstätte ausgeübte Tätigkeit außerhalb dieses Ortes ausgeübt werde. Wenn ein Arbeitnehmer während 40 v. H. der Arbeitszeit eines Jahres (1966: 87 von rd. 220 Arbeitstagen) im Ausland tätig sei, könne von einem gelegentlichen oder vorübergehenden Aufenthalt im Ausland nicht mehr gesprochen werden, zumal in der Regel die nichtselbständige Arbeit am Ort der Dienstleistung erbracht werde (BFH-Urteil I R 176/66 vom 2. Mai 1969, BFH 96, 163, BStBl II 1969, 579). Die Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfordere aber seine jeweilige persönliche Anwesenheit am Ort ihrer Ausübung. Sie komme mit ihrer Auswirkung auf das Rechnungswesen der italienischen Tochtergesellschaft seiner Arbeitgeberin aber auch unmittelbar der italienischen Volkswirtschaft zugute.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet kostenpflichtig zurückzuweisen. Der Steuerpflichtige habe bisher stets vorgetragen, daß seine Tätigkeit der Angleichung des Rechnungswesens der italienischen Tochtergesellschaft an die von der AG praktizierte Organisationsform und damit in erster Linie den Interessen der AG gedient habe. Es könne daher nicht zweifelhaft sein, daß seine Tätigkeit eine leitende Tätigkeit der Konzernspitze darstelle.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des die Erstattung ablehnenden Bescheides vom 14. Dezember 1967. Das FA ist verpflichtet, den Steuerpflichtigen unter Beachtung der nachstehenden Rechtsausführungen zu bescheiden.
1. Das Ziel der Klage des Steuerpflichtigen ist nicht allein die Aufhebung des ablehnenden Bescheides des FA vom 14. Dezember 1967, sondern darüber hinaus die Verpflichtung des FA zur Vornahme einer Leistung. Seine Klage ist deshalb eine uneigentliche Anfechtungsklage und als Verpflichtungsklage zu behandeln (§§ 40 Abs. 1, 101 FGO). Da aber zur Höhe des vom Steuerpflichtigen begehrten Erstattungsbetrages bisher weder vom FA noch vom FG Stellung genommen wurde, die Sache mithin nicht spruchreif ist, konnte der Senat dem Antrag des Steuerpflichtigen nicht dergestalt entsprechen, daß er das FA zur Erstattung von 1 267 DM Lohnsteuer 1966 und 1967 verpflichtete.
2. Die Rüge der Versagung des Rechts auf Gehör - zutreffendenfalls ein absoluter Revisionsgrund (§ 119 Nr. 3 FGO) - ist nicht begründet. Der Steuerpflichtige, der in der mündlichen Verhandlung vor dem FG persönlich anwesend und durch seinen Prozeßbevollmächtigten vertreten war, hatte ausreichend Gelegenheit, sowohl Tatsachen und Beweismittel als auch seine Rechtsauffassung, auf die das Recht auf Gehör grundsätzlich keinen Bezug hat, dem FG zu Gehör zu bringen. Er hat insbesondere die Frage nach dem Charakter und der Auswirkung seiner Tätigkeit und ihre Bedeutung für die Auslegung der Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 DBA-Italien auch schriftsätzlich vorgetragen.
Ob und inwieweit es einer Erörterung seines Vortrags in der mündlichen Verhandlung bedurfte (§ 93 Abs. 1 FGO), ist, wenn die Erörterung unterblieben ist, keine Frage der Versagung des Rechts auf Gehör als vielmehr eine Frage der zutreffenden Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen (§ 118 Abs. 2 FGO) bzw. der zutreffenden Beurteilung des Streitstoffes (§§ 96, 100 FGO). Der Steuerpflichtige sieht seine Ausführungen jedoch nicht bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, sondern bei ihrer rechtlichen Beurteilung im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 DBA-Italien vernachlässigt. Daß das Gericht seine Entscheidung auf eine andere Einordnung der Bedeutung und der Auswirkung der Tätigkeit des Steuerpflichtigen stützte, als sie dem Steuerpflichtigen als zutreffend erscheint, begründet keine Verletzung des Rechts auf Gehör (siehe auch BFH-Urteil II 73/63 vom 20. Juni 1967, BFH 90, 82, BStBl III 1967, 794).
3. Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß der Wortlaut der Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 DBA-Italien für die Rechtsauffassung des Steuerpflichtigen spricht und daß für die Zuweisung des Besteuerungsrechts entscheidend ist, im Gebiet welchen Staates der Steuerpflichtige die persönliche Tätigkeit ausübte, aus der seine Einkünfte herrühren.
a) Nach Korn-Dietz-Debatin, Doppelbesteuerung, Italien, Anm. 1 zu Art. 7, steht das Besteuerungsrecht von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit demjenigen Staate zu, "auf dessen Gebiet die Tätigkeit ausgeübt (nicht wo sie verwertet) wird". Dasselbe gilt nach Weber, Internationale Wirtschaftsbriefe, Fach 3 Gruppe 6, Behandlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach den Doppelbesteuerungsabkommen, S. 29 (54 - Italien -); das DBA-Italien enthalte keine Regelung für Einkünfte aus vorübergehender Auslandstätigkeit, müsse deshalb auch für diese Einkünfte gelten, was jedoch nicht ausschließe, daß "für Dienste, die z. B. gelegentlich einer Geschäftsreise in Italien geleistet worden sind, als Ort der Ausübung der Tätigkeit der Ort anzusehen ist, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich tätig ist", ausgenommen wiederum manuelle Tätigkeit (BFH-Urteil VI 300/58 S vom 12. August 1960, BFH 71, 514, BStBl III 1960, 441).
Wie der BFH in dem hier zitierten Urteil ausgeführt hat, liegt der Ort einer Tätigkeit, durch die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt werden, im Regelfall - vom Ausnahmefall der Tätigkeit des Geschäftsführers einer inländischen GmbH abgesehen - im Gebiet desjenigen Staates, in dem der Arbeitnehmer seine persönliche Tätigkeit tatsächlich ausübt. Die gleiche Auffassung liegt auch dem BFH-Urteil I R 176/66 (a. a. O.) zugrunde, das Ausnahmen lediglich für Fälle wie den des nur vorübergehenden Auslandsaufenthalts zuläßt.
Während in den Fällen der beschränkten Steuerpflicht zwischen der Regelung in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG, die die Verwertung der nichtselbständigen Arbeit im Inland der Ausübung gleichstellt, und Art. 7 Abs. 1 DBA-Italien, der allein darauf abstellt, wo die persönliche Tätigkeit ausgeübt wird, ein Gegensatz besteht, trifft das für die Fälle der unbeschränkten Steuerpflicht nicht zu. Dem Begriff der nichtselbständigen Arbeit, der in § 2 Abs. 3 Nr. 4 EStG zwar gebraucht, vom Gesetz (siehe § 19 EStG) indes nicht auch selbst definiert, sondern über die Begriffe Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestimmt wird (§ 1 LStDV), und dem Begriff der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wie sie für den vorliegenden Streitfall der unbeschränkten Steuerpflicht allein Anwendung finden, ist diese Gleichstellung von Ausübung und Verwertung der nichtselbständigen Arbeit nicht immanent.
b) Der Senat kann dem FA nicht darin zustimmen, daß die Tätigkeit eines Revisors, auch wenn sie - wie im Streitfalle - vornehmlich der Einrichtung des Rechnungswesens nach den im Konzern üblichen Organisationsgrundsätzen dient, eine Tätigkeit sei, die der Konzernleitung zugehöre und deshalb der Tätigkeit eines Geschäftsführers oder Vorstands einer inländischen Kapitalgesellschaft gleichzusetzen oder gar als eine solche anzusehen sei. Die für den im Ausland wohnhaften Geschäftsführer einer inländischen GmbH entwickelten Grundsätze des BFH-Urteils VI 300/58 S (a. a. O.) und die Frage nach der Verwertung einer tatsächlich im Ausland ausgeübten Tätigkeit im Inland finden somit im Streitfall auch nicht analog Anwendung.
2. Die Entscheidung hängt damit allein davon ab, ob der Ort der Ausübung der Tätigkeit des Steuerpflichtigen als im Inland oder als im Ausland gelegen anzusehen ist. Der Senat beantwortet sie nach den tatsächlichen Gegebenheiten. Wird ein in der BRD wohnhafter Arbeitnehmer von seinem ebenfalls in der BRD ansässigen Arbeitgeber ins Ausland geschickt, um dort Arbeiten auszuführen, die nach Lage der Sache allein an Ort und Stelle ausgeführt werden können und zu denen der Senat auch Einrichtung und Prüfung eines Rechenwerks zählt, so übt er seine persönliche Tätigkeit im Gebiet des fremden Staates aus. Das gilt mangels einer abweichenden Regelung auch für die (nur vorübergehende) Tätigkeit, die anläßlich von Dienstreisen ausgeübt wird, die nach den Feststellungen des FG - mit einer Ausnahme - jeweils mehr als zehn Tage in Anspruch nahmen.
Fundstellen
Haufe-Index 69600 |
BStBl II 1971, 804 |
BFHE 1972, 324 |