Entscheidungsstichwort (Thema)
Abweichungen vom Grundsatz des § 7 GewStG durch die unterschiedlichen Steuergegenstände von Einkommen- und Gewerbesteuer
Leitsatz (NV)
1. Die Höhe des nach § 10a GewStG (in der bis zum Inkrafttreten des Steuerreformgesetzes 1990 geltenden Fassung) vortragsfähigen Gewerbeverlustes ist bei der Ermittlung des Gewerbeertrages im Abzugsjahr zu prüfen.
2. Vor Eröffnung des Gewerbebetriebes entstandene Anlaufkosten mindern den Gewerbeertrag nicht.
3. Auch die bewußte und ausdrückliche Übernahme einer unrichtigen Betriebsprüferansicht durch die Veranlagungsbediensteten löst ohne förmliche Zusicherung keine Bindungswirkung des Finanzamts für die Folgejahre aus.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1 S. 1, §§ 7, 10a
Verfahrensgang
Tatbestand
Die im Jahre 1969 gegründete Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, betreibt seit 1971 einen Gewerbebetrieb. In der Steuerbilanz zum 31.12. 1971 aktivierte sie die bis zur Betriebseröffnung angefallenen Anlaufkosten und schrieb diese in den Folgejahren ab. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ diese Bilanzierung auch nach einer Betriebsprüfung für die Veranlagungszeiträume 1969 bis 1971 zu. Das FA billigte nach einer Betriebsprüfung für die Jahre 1972 und 1973 die Fortführung der Bilanzposition ,,Anlaufkosten".
Erst nach einer Betriebsprüfung für die Veranlagungszeiträume 1974 bis 1979 vertrat das FA die Auffassung, daß die Anlaufkosten kein aktivierungsfähiges Wirtschaftsgut darstellten. Wegen der Bestandskraft der Gewinnfeststellungsbescheide 1971 bis 1973 nahm das FA eine Bilanzberichtigung erst zum 31.12. 1974 vor und buchte die Bilanzposition ,,Anlaufkosten" erfolgswirksam aus.
Dem Gewerbeertrag des Streitjahres 1977 legte das FA ensprechend dem Betriebsprüfungsbericht einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von . . . DM zugrunde. Nach Vornahme der Hinzurechnungen und Kürzungen der §§ 8 und 9 GewStG ergab sich ein Betrag von . . . DM, auf den der verbliebene Verlustvortrag gemäß § 10a GewStG anzurechnen war. Für die Vorjahre hatte sich vor wie nach der Betriebsprüfung jeweils ein Meßbetrag nach dem Gewerbeertrag von 0 DM ergeben.
Das FA entwickelte den für 1977 verbliebenen Verlustvortrag unter Vernachlässigung der bestandskräftigen einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungen und Gewerbesteuermeßbescheide der Jahre 1971 bis 1973. Es berechnete die Gewerbeverluste der Jahre 1971 bis 1974 und die Gewerbegewinne 1975, 1976 und des Streitjahres 1977 neu. Die Jahresergebnisse minderten sich jeweils durch die Ausbuchung der beanstandeten Aktivposten und erhöhten sich durch die Stornierung der gewinnmindernd gebuchten Abschreibungen.
Damit ergab sich nach Kürzung um denhiernach berechneten Verlustvortrag noch ein positiver Gewerbeertrag 1977 in Höhe von (abgerundet) . . . DM. In Abänderung des ergangenen Gewerbesteuermeßbescheides setzte das FA den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1977 durch Einspruchsentscheidung mit . . . DM fest.
Die Klägerin begehrt demgegenüber die Berücksichtigung eines höheren Verlustvortrages in Anlehnung an die durchgeführten Gewinnfeststellungen der Jahre 1971 bis 1974, wonach die beanstandeten Aktivposten erst zum 31.12. 1974 ausgebucht wurden, wogegen nach der Verlustvortragsermittlung des FA - Ausbuchung der Anlaufkosten bereits zum 31.12. 1971 - der insoweit höhere Gewerbeverlust 1971 nicht nach 1977 vortragsfähig wäre.
Die Klage hatte Erfolg.
Hiergegen wendet sich das FA mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr.1 FGO).
1. Zwar ist das FG zutreffend davon ausgegangen, daß über die Höhe des abzugsfähigen Gewerbeverlustes nach § 10a GewStG nicht im Entstehungsjahr, sondern im Abzugsjahr zu entscheiden ist und daher das FA grundsätzlich ohne Bindung an die Gewinnfeststellungsbescheide 1971 bis 1976 berechtigt war, bei der Gewerbesteuerveranlagung 1977 die gewerblichen Verluste der Vorjahre von neuem zu überprüfen. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme des FG, das FA sei bei seiner Prüfung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben daran gehindert gewesen, aus seiner neu gewonnenen Rechtsauffassung zu den Anlaufkosten Folgerungen zu ziehen.
2. Die Klägerin wendet sich zu Unrecht gegen den vom FA festgesetzten Gewerbesteuermeßbetrag 1977. Bei der Ermittlung des Meßbetrages nach dem Gewerbeertrag kann gegenüber dem Ansatz des FA kein höherer Verlustvortrag berücksichtigt werden. Die Anlaufkosten der Klägerin aus der Zeit vor der Betriebseröffnung nehmen nicht am Verlustabzug nach § 10a GewStG teil.
Der Begriff des Gewerbeverlustes setzt voraus, daß der Verlust während des Bestehens eines Gewerbebetriebes verursacht wurde (BFH-Urteil vom 19. August 1977 IV R 107/74, BFHE 123, 352, BStBl II 1978, 23). Während die Einkommensteuer als Personensteuer beim gewerblichen Gewinn alle betrieblichen Vorgänge von den ersten Vorbereitungshandlungen zur Betriebseröffnung bis zur Veräußerung oder Entnahme des letzten betrieblichen Wirtschaftsguts berücksichtigt, ist Gegenstand der Gewerbesteuer nur der auf den laufenden Betrieb entfallende Gewinn (BFH-Urteil vom 17. April 1986 IV R 100/84, BFHE 146, 457, BStBl II 1986, 527). Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer der stehende Gewerbebetrieb. Danach beginnt die Gewerbesteuerpflicht erst, wenn alle tatbestandlichen Voraussetzungen eines Gewerbebetriebs vorliegen und der Gewerbebetrieb in Gang gesetzt worden ist. Vorbereitungstätigkeiten lassen den Steuergegenstand noch nicht entstehen (Glanegger/Güroff, GewStG, § 2 Anm. 216). Durch die unterschiedlichen Steuergegenstände bei Einkommen- und Gewerbesteuer ergeben sich Abweichungen von dem Grundsatz des § 7 GewStG, nach dem der Gewerbeertrag dem einkommensteuerlichen Gewinn entspricht.
Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die Anlaufkosten zu aktivieren waren (verneinend BFH-Urteil vom 14. Juni 1955 I 154/54 U, BFHE 61, 61, BStBl III 1955, 221). Der vortragsfähige Gewerbeverlust war im Streitfall nach den voranstehenden Ausführungen jedenfalls unter Außerachtlassung der Anlaufkosten zu ermitteln. Wegen der Anknüpfung der Gewerbesteuer an den laufenden Gewerbebetrieb durfte der Gewerbeertrag nicht um die Ausbuchung der aktivierten Anlaufkosten - in welchem Jahr auch immer - gemindert werden.
3. Nachdem das FA eine neue Rechtsauffassung gewonnen hatte, war im Zuge der Gewerbesteuerveranlagung 1977 eine Neuermittlung des Verlustvortrages nicht nur möglich, sondern geboten.
a) Die Höhe des Verlustvortrages ist bis einschließlich des Erhebungszeitraums 1989 bei der Ermittlung des Gewerbeertrages des Abzugsjahres zu prüfen (BFH-Urteile vom 5. Februar 1969 I R 154/67, BFHE 95, 260, BStBl II 1969, 383; vom 4. Juli 1984 I R 223/81 - amtlich nicht veröffentlicht -). Der Umstand, daß die Gewerbesteuermeßbescheide 1971 bis 1973 bestandskräftig geworden waren und das FA bisher bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und somit auch des Gewinns aus Gewerbebetrieb jeweils von der Bilanzierungspraxis der Klägerin ausgegangen war, hindert den Vortrag eines niedrigeren Verlustes gemäß § 10a GewStG nicht. Die allgemeine wie auch die nach Durchführung einer Außenprüfung erhöhte (§ 173 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -) Bestandskraft der Gewerbesteuermeßbescheide 1971 bis 1973 erstreckt sich lediglich auf den jeweils festgesetzten Gewerbesteuermeßbetrag, jedoch nicht auf die einzelnen Besteuerungsmerkmale (BFH-Urteil vom 28. November 1990 X R 102/89, BFHE 163, 456, BStBl II 1991, 477). Die Höhe des Gewerbegewinnes gehört zu den unselbständigen Besteuerungsgrundlagen i.S. des § 157 Abs. 2 AO 1977. Danach kann der Gewerbesteuermeßbescheid des Verlustentstehungsjahres auch kein Grundlagenbescheid für den Steuerbescheid im Abzugsjahr sein (vgl. BFH-Urteil vom 16. April 1991 VIII R 224/85, BFH/NV 1992, 94).
b) Das FA ist im Streitfall nicht durch Treu und Glauben gehindert, nunmehr zur Bilanzierung der Anlaufkosten und deren Berücksichtigung bei der Ermittlung des Gewerbeertrages für den Veranlagungszeitraum 1977, in dem die Höhe des Verlustvortrages neu zu prüfen ist, eine andere Rechtsauffassung zu vertreten als in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen. Wenn das FA in der Vergangenheit eine an sich gebotene Beanstandung unterlassen hat, so ergibt sich daraus nicht, daß es für spätere Veranlagungszeiträume trotz besserer Erkenntnis an seine frühere Auffassung gebunden ist. Denn das FA hat bei der Veranlagung eines jeden Jahres den Sachverhalt grundsätzlich neu festzustellen und zu beurteilen und ist bei der Durchführung der Veranlagung wegen der Bindung an Recht und Gesetz verpflichtet, unrichtige Rechtsauffassungen richtigzustellen (BFH-Urteil vom 6. Dezember 1983 VIII R 110/79, BFHE 140, 74, BStBl II 1984, 227, m.w.N.). Das gilt jedenfalls dann, wenn es wie im Streitfall an einer wirksamen Zusicherung des FA, einen Sachverhalt künftig in einem bestimmten Sinne zu beurteilen, fehlt.
c) Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung bewirkt die Beurteilung in einem Veranlagungszeitraum auch dann keine Bindung des FA für künftige Steuerabschnitte, wenn das FA in den Vorjahren aufgrund einer Betriebsprüfung anders verfahren ist (BFH-Urteil vom 11.Februar 1981 I R 128/77, BFHE 132, 552, BStBl II 1981, 448). Auch die bewußte und ausdrückliche Übernahme einer unrichtigen Betriebsprüferansicht durch die Veranlagungsbediensteten löst ohne förmliche Zusicherung keine Bindungswirkung des FA für die Folgejahre aus (BFH-Urteil vom 3. Juni 1987 X R 23/80, BFH/NV 1987, 758).
Fundstellen
Haufe-Index 418800 |
BFH/NV 1993, 264 |