Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur steuerrechtlichen Anerkennung eines Mietverhältnisses
Leitsatz (NV)
Ein Mietverhältnis ist nur dann steuerrechtlich anzuerkennen, wenn (neben dem Überlassen der Mietsache) feststeht, dass der Mieter die Miete gezahlt und diese tatsächlich endgültig in das Vermögen des Vermieters übergegangen ist. Das Feststellen der tatsächlichen Voraussetzungen obliegt dem FG; dieses hat in seine Beurteilung das gesamte in den Streitjahren verfügbare Einkommen des Mieters einzubeziehen.
Normenkette
AO 1977 § 41 Abs. 2; EStG § 21 Abs. 1
Tatbestand
I. Der alleinstehende Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat zusammen mit Frau A zwei nichteheliche Kinder. Nach einer mit dem zuständigen Jugendamt geschlossenen Unterhaltsvereinbarung zahlt er für jedes Kind monatlich 1 000 DM. Im Juli 1994 vermietete der Kläger Frau A sein im Mai 1994 erworbenes Einfamilienhaus, in das diese mit den beiden Kindern einzog. Die monatliche Warmmiete betrug 1 000 DM.
In seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre (1994 und 1995) machte der Kläger bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Einfamilienhauses jeweils Werbungskostenüberschüsse geltend. Nachdem der Kläger nachgewiesen hatte, dass Frau A bis zur Geburt des zweiten Kindes gearbeitet und eigene Einkünfte erzielt hatte, berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) das Mietverhältnis für Juli und August des Streitjahres 1994 und ließ einen entsprechend gekürzten Werbungskostenüberschuss zum Abzug zu; für die Folgezeit erkannte das FA das Mietverhältnis nicht an.
Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Das zwischen dem Kläger und Frau A geschlossene Mietverhältnis sei ein Scheingeschäft i.S. von § 41 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und steuerrechtlich nicht zu beachten.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und Abänderung der Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995 sowie des Einkommensteuervorauszahlungsbescheids 1997 bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Grundstücks X-Straße 1 für die Streitjahre Werbungskostenüberschüsse zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen, soweit sie die Einkommensteuer 1994 und 1995 betrifft. Es regt an, das Verfahren wegen Einkommensteuervorauszahlungen 1997 ruhen zu lassen, weil zwischenzeitlich der Jahreseinkommensteuerbescheid ergangen und mit dem Einspruch angefochten worden sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet, soweit sie die Einkommensteuer 1994 und 1995 betrifft. Das die Einkommensteuervorauszahlungen 1997 betreffende Verfahren ist abzutrennen.
1. Einkommensteuervorauszahlungen 1997
Das Verfahren wegen Einkommensteuervorauszahlungen 1997 ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vom übrigen Verfahren abzutrennen, weil es noch nicht entscheidungsreif ist. Das FA hat für den Veranlagungszeitraum 1997 einen Jahreseinkommensteuerbescheid erlassen, der mit dem Einspruch angefochten ist. Einen Antrag nach § 68 FGO a.F. hat der Kläger nicht gestellt. Das Revisionsverfahren wegen Einkommensteuervorauszahlungen 1997 ist deshalb in entsprechender Anwendung des § 74 FGO auszusetzen, bis das Verfahren über den Jahreseinkommensteuerbescheid 1997 rechtskräftig abgeschlossen ist (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 6. November 1997 V B 92/97, BFH/NV 1998, 602, zur Umsatzsteuer).
2. Einkommensteuer 1994 und 1995
Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Die Vorentscheidung ist verfahrensfehlerhaft zustandegekommen.
a) Die Rüge des Klägers, das FG habe seine Entscheidung nicht unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens getroffen, ist entsprechend den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO in zulässiger Weise erhoben worden und auch begründet.
aa) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Vorschrift verpflichtet das FG, u.a. auch den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig zu berücksichtigen (z.B. BFH-Urteil vom 7. Dezember 2000 III R 49/98, BFH/NV 2001, 911, m.w.N.).
bb) Hiergegen hat das FG verstoßen. Im Rahmen seiner Prüfung, ob dem vom Kläger und Frau A geschlossenen Mietverhältnis als Scheingeschäft i.S. von § 41 Abs. 2 AO 1977 die steuerrechtliche Anerkennung zu versagen sei, hat das FG in den Entscheidungsgründen unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 28. Januar 1997 IX R 23/94 (BFHE 182, 542, BStBl II 1997, 655) ausgeführt, ein Mietverhältnis sei für die Besteuerung (u.a. dann) unerheblich, wenn der Vermieter dem Mieter die Miete im Vorhinein zur Verfügung stelle. Ein Beweisanzeichen für eine solche Vorauszahlung ergebe sich insbesondere daraus, dass der Mieter wirtschaftlich nicht oder nur schwer in der Lage sei, die Miete aufzubringen. Diese Voraussetzung sei im Streitfall erfüllt. Frau A habe die Miete weder aus eigenen Mitteln noch aus den vom Kläger in Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gezahlten Beträgen aufbringen können.
cc) Diese Ausführungen lassen nicht erkennen, ob das FG in seiner Entscheidung den zwischen den Beteiligten unstreitigen Vortrag (s. z.B. die Einspruchsentscheidung zur Einkommensteuer 1994 vom 5. Oktober 1998 und den Schriftsatz des Klägers vom 4. Februar 1999) berücksichtigt hat, dass Frau A im Streitjahr 1994 neben den Unterhaltszahlungen des Klägers noch über ein eigenes Einkommen von … DM verfügte. Die Feststellung im Tatbestand des FG-Urteils, Frau A habe in den Streitjahren über kein bzw. nur ein geringes Einkommen verfügt, stellt vor diesem Hintergrund keine i.S. von § 118 Abs. 2 FGO mögliche Würdigung dar und bindet deshalb den Senat nicht. Sie lässt nicht erkennen, dass das FG geprüft hat, ob und in welchem Umfang der Betrag von … DM zum Ende des Streitjahres 1994 bereits verbraucht war. Darüber hinaus ist der Einspruchsentscheidung zur Einkommensteuer 1995 vom 16. September 1998 zu entnehmen, dass Frau A angegeben hat, im Streitjahr 1995 neben den Unterhaltszahlungen des Klägers noch über … DM steuerpflichtiges Einkommen verfügt zu haben. Auch hier lässt die Begründung der Vorentscheidung nicht hinreichend erkennen, ob und wie das FG diesen Umstand seiner Überzeugungsbildung zugrunde gelegt hat.
b) Auf der unterlassenen Berücksichtigung des in den Akten enthaltenen Vortrags kann das Urteil des FG auch beruhen. In einem solchen Fall kann das Revisionsgericht das angefochtene Urteil nicht auf seine Richtigkeit hin überprüfen, weil verfahrensrechtlich fehlerhaft nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO Grundlage der Entscheidung geworden ist (z.B. BFH-Urteil vom 27. September 2001 V R 70/00, BFH/NV 2002, 494, m.w.N.). Deshalb ist die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 923927 |
BFH/NV 2003, 768 |