Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitnehmer hat auch nach Inkrafttreten der Finanzgerichtsordnung insoweit ein Anfechtungsrecht gegen den an den Arbeitgeber gerichteten Lohnsteuerhaftungsbescheid, als er persönlich für die nachgeforderte Lohnsteuer in Anspruch genommen werden kann.
2. In dem allein vom Arbeitnehmer durchgeführten Anfechtungsverfahren ist der Arbeitgeber als Adressat des Haftungsbescheids notwendig beizuladen.
Normenkette
FGO § 40 Abs. 2, § 60 Abs. 1, 3; VwGO § 42 Abs. 2; StAnpG § 7 Abs. 3; EStG § 38 Abs. 3; LStDV § 46 Abs. 1
Tatbestand
Mit Haftungsbescheid vom 9. Mai 1967 forderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) von der Gemeinde X 1 318,46 DM Lohn- und Kirchenlohnsteuer nach, weil die Gemeinde die dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) in seiner Eigenschaft als erster ehrenamtlicher Bürgermeister gezahlte Aufwandsentschädigung in den Jahren 1963 bis 1966 nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen und darüber hinaus von seinem Gehalt als Oberinspektor 150 DM monatlich ohne entsprechende Eintragung auf der Lohnsteuerkarte als steuerfrei behandelt hatte. Gegen den Haftungsbescheid legten sowohl die Gemeinde als auch der Kläger erfolglos Einspruch ein. Das FA entschied über die beiden Rechtsbehelfe in einer Entscheidung, die es einmal dem Kläger in seiner Eigenschaft als gesetzlichem Vertreter der Gemeinde und zum andern persönlich zustellte.
Die Klage hiergegen wurde von A, erster Bürgermeister von X, als Kläger erhoben und wurde mit dem Satz eingeleitet: "In der o. g. Streitsache erhebe ich hiermit Klage." Die Gemeinde hat keine Klage erhoben. Sie wurde auch nicht zum Verfahren beigeladen.
Das FG bejahte die Klagebefugnis des Klägers, wies seine Klage aber aus materiellen Gründen ab.
Mit der Revision beantragt der Kläger Aufhebung des FG-Urteils, der Einspruchsentscheidung und des Haftungsbescheids.
Entscheidungsgründe
Die Revision muß aus formellen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führen.
Das FG hat zwar zutreffend die Klagebefugnis des Klägers bejaht, die notwendige Beiladung der Gemeinde X aber unterlassen. Diese Frage war auch ohne Revisionsrüge von Amts wegen zu prüfen (Urteil des BFH vom 24. Juni 1971 IV R 219/68, BFHE 102, 460, BStBl II 1971, 714).
Der Senat hat es in seiner Entscheidung vom 12. Januar 1968 VI R 117/66 (BFHE 91, 306, BStBl II 1968, 324) dahingestellt sein lassen, ob ein Arbeitnehmer auch nach Inkrafttreten der FGO ein selbständiges Anfechtungsrecht gegen einen an seinen Arbeitgeber gerichteten Lohnsteuerhaftungsbescheid hat, das bis dahin insoweit bejaht worden war, als der Arbeitnehmer persönlich für die nachgeforderte Lohnsteuer in Anspruch genommen werden konnte (BFH-Urteil vom 9. Februar 1951 IV 347/ 50 S, BFHE 55, 192, BStBl III 1951, 73). Er hält dieses Anfechtungsrecht weiterhin für gegeben. Die Anfechtung von Steuerverwaltungsakten durch Dritte, d. h. durch andere Personen als den Adressaten, ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Eine derartige Einschränkung ließe sich auch nicht mit § 40 Abs. 2 FGO vereinbaren, der das Klagerecht davon abhängig macht, daß der Kläger behauptet, er werde durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt. Für den Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts besteht die Klagebefugnis ohne weiteres, dagegen ist die des Dritten davon abhängig, daß eine Beeinträchtigung seiner Rechtssphäre und nicht nur seiner Interessensphäre vorliegt. Insoweit kann auf den gleichlautenden § 42 Abs. 2 VwGO und die dazu in Rechtsprechung und Literatur vertretene Ansicht verwiesen werden (Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, § 42 Anm. 99, 100).
Die gegen die Rechtsmittelbefugnis des Arbeitnehmers im Lohnsteuerhaftungsverfahren des Arbeitgebers erhobenen Bedenken (Groh in DStR 1969, 231) vermögen nicht zu überzeugen. Es ist zwar richtig, daß sich dieses selbständige Anfechtungsrecht nicht aus dem Gesamtschuldverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (§ 7 Abs. 3 StAnpG) ergeben kann. Es trifft auch zu, daß die Frage des Rückgriffs des Arbeitgebers auf den Arbeitnehmer für die von ihm auf Grund des Haftungsbescheids entrichtete Lohnsteuer außerhalb des Steuerverfahrens entschieden wird. Entscheidend ist aber, daß der Arbeitnehmer beim Steuerabzug vom Arbeitslohn Steuerschuldner ist und dieses auch bei Inanspruchnahme des Arbeitgebers grundsätzlich bleibt (§ 38 Abs. 3 EStG, § 46 Abs. 1 LStDV), so daß der Haftungsbescheid in den Rechtsbereich des Arbeitnehmers eingreift. Der Senat verkennt nicht, daß es sich, unabhängig von der Steuerart, immer um Steuerschulden eines Dritten handelt, für die gehaftet wird. Anders als bei der Lohnsteuer ist in anderen Fällen aber davon auszugehen, daß zunächst ein Steuerbescheid gegen den Schuldner ergeht, weil dieser vorrangig in Anspruch zu nehmen ist (BFH-Urteil vom 27. März 1968 II 98/62, BFHE 91, 434, BStBl II 1968, 376), so daß er in die Lage versetzt wird, Einwendungen gegen Grund und Höhe der Steuerforderung zu erheben. Der Erlaß eines Bescheides gegen den Arbeitnehmer ist aber gerade in den Fällen nicht vorgesehen, in denen der Arbeitgeber als Haftender herangezogen wird.
Die Klagebefugnis des Arbeitnehmers wird auch nicht durch § 60 Abs. 1 FGO ausgeschlossen, wie Blümich-Falk annehmen (Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., 2. Band, § 38 Anm. 9). Die Beiladung hat nur den Zweck, Dritte, die nicht bereits als Kläger oder Beklagte am Verfahren beteiligt sind, aus prozeßökonomischen Gründen zuzuziehen, ohne aber ihr eigenes Klagerecht zu beschneiden.
Mit der Klagebefugnis des Arbeitnehmers gegen den an den Arbeitgeber gerichteten Haftungsbescheid können im Einzelfall prozessuale Nebenfragen, wie z. B. der Beginn der Anfechtungsfrist, für den Arbeitnehmer verbunden sein, auf die der Senat hier aber nicht einzugehen braucht. Mögliche Schwierigkeiten auf diesem Gebiet könnten jedenfalls keinen grundsätzlichen Ausschluß des Klagerechts des Arbeitnehmers rechtfertigen.
Nach § 60 Abs. 3 FGO sind Dritte zum Verfahren notwendig beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Diese Voraussetzung ist hinsichtlich der Gemeinde X erfüllt, gegen die der Haftungsbescheid ergangen ist. Es ist nicht möglich, daß auf Grund der Revision des Klägers der Bescheid abgeändert werden könnte, ohne daß sich die Abänderung auf den Adressaten des Verwaltungsakts auswirkte. In den Fällen, in denen nicht der Adressat des angefochtenen Verwaltungsakts Klage erhoben hat, muß seiner Stellung als Empfänger des Bescheids insoweit Rechnung getragen werden, als er zum Verfahren des "Dritten" notwendig beizuladen ist.
Das FG wird daher die Gemeinde als juristische Person des öffentlichen Rechts zum Verfahren beizuladen haben, ungeachtet der Tatsache, daß der Kläger der gesetzliche Vertreter der Gebietskörperschaft ist. Da der Ausgang des Verfahrens ohne Einfluß auf die notwendige Beiladung ist (BFH-Urteil IV R 219/68), konnte der Senat in eine Prüfung der materiellen Fragen des Prozesses nicht eintreten.
Fundstellen
BStBl II 1973, 780 |
BFHE 1973, 502 |