Leitsatz (amtlich)
1. Nach Unanfechtbarkeit eines Urteils des FG ist eine Beiladung zu dem finanzgerichtlichen Verfahren nicht mehr möglich.
2. Ficht ein Arbeitgeber einen gegen ihn ergangenen Lohnsteuerhaftungsbescheid an, so ist der Arbeitnehmer, auf den sich die Inanspruchnahme aus dem Haftungsbescheid bezieht, zu dem finanzgerichtlichen Verfahren nicht notwendig beizuladen.
Normenkette
FGO § 60
Tatbestand
Mit unanfechtbar gewordenem Urteil vom 22. Juli 1977 entschied das Finanzgericht (FG) über die Klage der Klägerin (= Beteiligte im vorliegenden Verfahren) gegen einen vom Beklagten (Finanzamt - FA - = Beschwerdegegner im vorliegenden Verfahren) erlassenen Lohnsteuerhaftungsbescheid, der die Besteuerung von Leistungen der Klägerin an den Antragsteller und Beschwerdeführer des vorliegenden Verfahrens (Beschwerdeführer), einen ehemaligen Arbeitnehmer der Klägerin, betraf. Erstmals mit Schreiben vom 24. Februar 1979 beantragte der Beschwerdeführer die Beiladung zu dem Klageverfahren. Das FG lehnte den Antrag mit der Begründung ab, daß nach Rechtskraft des FG-Urteils eine Beiladung nicht mehr möglich sei.
Mit der Beschwerde beantragt der Beschwerdeführer festzustellen, daß seine Beiladung durch das FG "hätte erfolgen müssen, so daß das am 22. Juli 1977 ergangene Urteil des Finanzgerichts wegen nicht erfolgter notwendiger Beiladung nichtig ist und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Finanzgericht zurückverwiesen werden soll".
Sowohl das FA als auch die Klägerin beantragen die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Zu Recht hat das FG den Beschwerdeführer nicht beigeladen; eine Beiladung ist nach Rechtskraft des Urteils des FG nicht mehr möglich.
Mit der Beiladung sollen Dritte, die nicht zu den zunächst am Rechtsstreit Beteiligten gehören, deren rechtliche Interessen aber durch die Entscheidung des FG berührt werden, als Beteiligte in das Verfahren einbezogen werden. Solche Personen sollen Gelegenheit erhalten, sich zur Sach- und Rechtslage zu äußern; die Rechtskraftwirkung des Urteils erstreckt sich dann auf sie (vgl. v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 60 FGO Anm. 3). Daraus ergeben sich für die Beiladung zeitliche Grenzen. Sie ist nicht mehr möglich, wenn das FG-Urteil unanfechtbar geworden ist (vgl. v. Wallis/List, a. a. O., § 60 FGO Anm. 10; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 60 FGO Anm. 2; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 60 Anm. 2), weil sich derjenige, der die Beiladung begehrt, nicht mehr wirksam zur Sach- und Rechtslage äußern und sich die Rechtskraft des Urteils deshalb auch nicht mehr auf ihn erstrekken kann (§ 110 Abs. 1 Satz 1, § 57 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
2. Soweit der Beschwerdeführer nunmehr die Feststellung begehrt, daß seine Beiladung im Verfahren vor dem FG hätte erfolgen müssen und daß das FG-Urteil wegen unterlassener Beiladung nichtig sei, kann er damit ebenfalls keinen Erfolg haben.
a) Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob es zulässig ist, im Beschwerdeverfahren von dem Gestaltungsbegehren, beigeladen zu werden, auf das wiedergegebene Feststellungsbegehren überzugehen. Im Revisionsverfahren wäre eine Klageänderung, wozu zum Teil auch die Änderung der Klageart gerechnet wird (vgl. v. Wallis/List, a. a. O., § 67 FGO Anm. 3), unzulässig (§ 123 FGO). Da der Bundesfinanzhof (BFH) im Beschwerdeverfahren - anders als im Revisionsverfahren, in dem das FG-Urteil nur auf Rechtsfehler überprüft werden darf - die Entscheidung des FG in vollem Umfang prüft und auch neues tatsächliches Vorbringen in der Beschwerdeinstanz möglich ist, erscheint es nicht ohne weiteres ausgeschlossen, in diesem Verfahren das ursprüngliche Begehren zu ändern. Selbst wenn demnach ein solcher Wechsel zulässig wäre, so könnte der Beschwerdeführer damit jedoch im vorliegenden Verfahren keinen Erfolg haben.
b) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob ein FG-Urteil, das nicht angefochten worden ist, wegen unterlassener notwendiger Beiladung unwirksam und deshalb nicht vollstreckbar (so v. Wallis/List, a. a. O., § 60 FGO Anm. 28; Tipke/Kruse, a. a. O., § 60 FGO Anm. 7) oder ob es wirksam und gegen die am Verfahren Beteiligten vollstreckbar ist (so Gräber, a. a. O., § 60 Anm. 18; differenzierend, ohne daß die Frage entscheidungserheblich war, Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 10. März 1964 II C 97.61, BVerwGE 18, 124 [126]). Denn jedenfalls war der Beschwerdeführer vom FG nicht notwendigerweise (§ 60 Abs. 3 FGO) beizuladen.
Allerdings hat der Senat ein Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers gegen einen an seinen Arbeitgeber gerichteten Lohnsteuerhaftungsbescheid bejaht. Er hat außerdem entschieden, daß der Arbeitgeber "als Adressat" des Lohnsteuerhaftungsbescheids in dem vom Arbeitnehmer allein in Gang gesetzten Anfechtungsverfahren notwendig beizuladen ist (vgl. Urteil vom 29. Juni 1973 VI R 311/69, BFHE 109, 502, BStBl II 1973, 780). Daraus folgt indessen nicht, daß umgekehrt der Arbeitnehmer in dem vom Arbeitgeber eingeleiteten Anfechtungsverfahren gegen einen Lohnsteuerhaftungsbescheid beigeladen werden muß (im Urteil vom 12. Januar 1968 VI R 117/66, BFHE 91, 306, BStBl II 1968, 324, ließ der Senat die Entscheidung dieser Frage ausdrücklich offen).
Die Beiladung ist nur dann notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 60 Abs. 3 Satz 1 FGO). Dies ist jedoch im Verhältnis von Arbeitgeber zu Arbeitnehmer im Lohnsteuerhaftungsverfahren nicht der Fall. Denn der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer, der Arbeitgeber dagegen lediglich Haftungsschuldner; für die Inanspruchnahme als Schuldner und als Haftungsschuldner sind aber unterschiedliche Voraussetzungen gegeben, die zum Teil in keinem Zusammenhang miteinander stehen. Insbesondere kann der Arbeitgeber in Haftungsverfahren Einwendungen sowohl gegen seine eigene Haftung vorbringen als auch geltend machen, daß die Steuerschuld des Arbeitnehmers nicht oder nicht in der verlangten Höhe besteht. Weiter ist es denkbar, daß der eine Anspruch verjährt ist, der andere aber nicht; auch kann das FA gegenüber einem Anspruchsgegner aufgrund einer Lohnsteuer-Anrufungsauskunft gebunden sein, gegenüber dem anderen Anspruchsgegner jedoch nicht. Da somit im Haftungsverfahren des Arbeitgebers häufig Rechtsfragen entschieden werden, die mit der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers persönlich nicht in Zusammenhang stehen, muß die Entscheidung im Haftungsverfahren des Arbeitgebers nicht notwendigerweise mit derjenigen im Einkommensteuerveranlagungs- oder Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren des Arbeitnehmers korrespondieren; die Entscheidung muß also gegenüber dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer nicht einheitlich ergehen. Auch der Gesichtspunkt, daß der Adressat des Bescheids am Verfahren beteiligt sein müsse (BFHE 109, 502, BStBl II 1973, 780), spielt hier keine Rolle. Denn Adressat des Haftungsbescheids ist der Arbeitgeber; er ist durch die Anfechtung Beteiligter des Verfahrens. Dementsprechend hat es der Senat bisher auch nie beanstandet, wenn ein FG den oder die Arbeitnehmer in einem vom Arbeitgeber gegen einen Haftungsbescheid eingeleiteten Anfechtungsverfahren nicht beigeladen hat. Der Senat hätte dies aber tun müssen, wenn die Beiladung des Arbeitnehmers notwendig wäre; denn eine unterlassene notwendige Beiladung ist als Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteil vom 21. März 1969 III R 100/66, BFHE 95, 523, BStBl II 1969, 493).
Daß die Beiladung des Arbeitnehmers im Haftungsverfahren des Arbeitgebers möglich erscheint (so Gräber, a. a. O., § 60 Anm. 11), ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Denn diese sog. einfache Beiladung i. S. des § 60 Abs. 1 FGO steht im Ermessen des FG. Unterbleibt sie, obwohl sie im Einzelfall möglich gewesen wäre, so kann dies jedenfalls nach Unanfechtbarkeit des FG-Urteils nicht mehr mit Erfolg gerügt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 73290 |
BStBl II 1980, 210 |
BFHE 1980, 310 |