Leitsatz (amtlich)
1. Der Kommanditist ist in demselben Umfange wie der persönlich haftende Gesellschafter Schuldner der Gewerbesteuer. Der Senat schließt sich insoweit dem Urteil des Bundesfinanzhofs I 99/54 U vom 2. August 1955 (BStBl 1955 III S. 294, Slg. Bd. 61 S. 250) an.
2. Zur Bedeutung einer ständigen Rechtsprechung, die der Gesetzgeber erkennbar in seinen Willen aufgenommen hat.
3. Es gibt keine verfassungsrechtlichen Grundsätze, daß der Steuergesetzgeber Fragen der Steuerschuldnerschaft oder der Steuerhaftung nur im Rahmen der Struktur des Zivilrechts regeln kann oder daß er dem Steuerfiskus als Steuergläubiger keine bessere Stellung einräumen darf als den Privatgläubigern.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3; GewStG 1955 § 5 Abs. 1; StAnpG § 7 Abs. 3
Tatbestand
Der Bf. war seit dem 1. Januar 1954 Kommanditist der Firma X-KG. Seine Kommanditeinlage von 5 000 DM hatte er voll geleistet. Die KG wurde am 27. September 1956 aufgelöst. Von dem Liquidator der Gesellschaft und auch von dem Komplementär, der in die sowjetische Besatzungszone abgewandert ist, kann die rückständige Gewerbesteuer der KG für 1956, die mit dem Gewerbesteuerbescheid vom 1. April 1959 festgesetzt wurde, nicht beigetrieben werden. Auf Ersuchen der Gemeindebehörde stellte das Finanzamt in einem Bescheid gemäß § 212 a Abs. 2 AO fest, daß der Bf. als Kommanditist persönlicher Steuerschuldner für die rückständige Gewerbesteuer der KG sei.
Sein Einspruch und die Berufung gegen diesen Bescheid blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht sieht den Bf. gemäß § 5 Abs. 1 GewStG als Mitunternehmer und damit als Steuerschuldner und nicht nur als Haftenden für die Gewerbesteuer an. Es führt aus, nach § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG in Verbindung mit § 7 Abs. 3 StAnpG sei der Bf. neben der KG und dem Komplementär Gesamtschuldner für die rückständige Gewerbesteuer und schulde die volle Leistung. Die Haftungsbeschränkung des § 171 Abs. 1 HGB habe nur insofern Bedeutung, als ein für die Gewerbesteuer in Anspruch genommener Kommanditist im Innenverhältnis gegenüber den anderen Gesellschaftern rückgriffsberechtigt sei. Die Haftungsvorschrift des § 113 AO sei hier nicht anwendbar. Das Finanzgericht stützt seine Entscheidung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs I 99/54 U vom 2. August 1955 (BStBl 1955 III S. 294, Slg. Bd. 61 S. 250).
Der Bf. rügt unrichtige Rechtsanwendung und führt aus, auch die Steuergesetze seien im Rahmen der gesamten Rechtsordnung auszulegen. Nach dem Handelsrecht hafte aber der Kommanditist nur beschränkt. Unternehmer und Steuerschuldner sei bei der Gewerbesteuer ebenso wie bei der Grundsteuer und Umsatzsteuer die KG als solche, nicht der einzelne Gesellschafter, vor allem nicht ein Kommanditist. Da die KG "als solche" der Gewerbesteuer unterliege, könne die Haftung des Kommanditisten gemäß § 113 AO nur mit der Haftungsbeschränkung aus § 171 HGB eingreifen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Der Senat tritt den Rechtsausführungen des Urteils des Bundesfinanzhofs I 99/54 U vom 2. August 1955 a. a. O. bei, auf das auch das Finanzgericht seine Entscheidung gestützt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, die die ständige Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs fortgesetzt hat (siehe zuletzt Gutachten des Großen Senats Gr.S. D 1/40 vom 27. April 1940, RStBl 1940 III S. 547, Slg. Bd. 48 S. 313), ist der Kommanditist für das Gewerbesteuerrecht in gleicher Weise wie ein persönlich haftender Gesellschafter Unternehmer (Mitunternehmer) des Gewerbebetriebes und damit Steuerschuldner und nach § 5 Abs. 1 GewStG 1955 in Verbindung mit § 7 Abs. 3 StAnpG Gesamtschuldner für die Gewerbesteuer. Er kann sich als Gesamtschuldner nicht auf die Beschränkung der Haftung eines Kommanditisten bis zur Höhe seiner Einlage nach § 171 Abs. 1 HGB in Verbindung mit § 113 AO berufen. Die beschränkte Haftung nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (Handelsrechts) würde nach § 113 AO nur eingreifen, wenn die Gesellschaft "als solche" der Besteuerung unterliegen würde. Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG bestimmt aber eindeutig, daß nicht die Gesellschaft als solche, sondern der einzelne Gesellschafter Steuerschuldner (Gesamtschuldner) sein soll.
Gegen diese Rechtsauslegung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs sind zwar Bedenken erhoben worden. Der Senat ist aber der Auffassung, daß die bisherige Rechtsprechung der Wortfassung des Gesetzes entspricht und die über das Handelsrecht hinausgehende steuerrechtliche Schuldnerschaft des Kommanditisten nicht sinnwidrig ist. Nach Auffassung des Senats würde es gegen den klar hervorgetretenen Willen des Gesetzgebers verstoßen, wenn der Bundesfinanzhof die bisherige Rechtsprechung aufgeben würde. Denn wie in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 99/54 U a. a. O. dargelegt ist, hat der Gesetzgeber, obwohl ihm die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und die dagegen erhobenen Bedenken bekannt waren und die Inanspruchnahme des Kommanditisten in anderen Gesetzen, z. B. im Grundsteuergesetz, bewußt anders geregelt ist, davon abgesehen, bei den mehrfachen Änderungen des GewStG, besonders auch bei der Neufassung des § 5 Abs. 2 im Gesetz vom 27. Dezember 1951 (BGBl 1951 I S. 996, BStBl 1952 I S. 2) eine Fassung zu wählen, die die bisherige Rechtsprechung ausschließt. Daraus darf gefolgert werden, daß der Gesetzgeber die Rechtsprechung gebilligt und in seinen Willen aufgenommen hat. Die Steuergerichte können daher, zumal neue Gesichtspunkte für die Beurteilung der Rechtsfrage nicht hervorgetreten sind, diese Rechtsprechung nicht aufgeben, ohne sich über den Willen des Gesetzgebers hinwegzusetzen und in den der Gesetzgebung vorbehaltenen Bereich der Steuerpolitik einzugreifen. Sie würde damit die Grenzen ihres verfassungsmäßigen Auftrags in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG), nämlich das vom Gesetzgeber im Rahmen des GG gesetzte Recht auszulegen und anzuwenden, überschreiten (vgl. Urteil des Senats VI 13/57 U vom 1. August 1958, BStBl 1958 III S. 390, Slg. Bd. 67 S. 300).
Im übrigen ist es ein Gebot der Rechtssicherheit, daß ein oberes Bundesgericht von einer langjährigen festen Rechtsprechung nicht abgeht, wenn nicht schwerwiegende Gründe dafür sprechen. Zu diesem Grundsatz hat sich der Große Senat des Bundesfinanzhofs in der Entscheidung Gr.S. 1/63 S vom 13. November 1963 (BStBl 1964 III S. 124) ausdrücklich bekannt. Auch der Senat hat in seiner Rechtsprechung schon mehrfach diesen Rechtsgedanken herausgestellt (vgl. z. B. Urteile VI 154/57 U vom 17. Juli 1959, BStBl 1959 III S. 345, Slg. Bd. 69 S. 218; VI 84/60 U vom 24. Februar 1961, BStBl 1961 III S. 288, Slg. Bd. 72 S. 515). Auch das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung 2 AZR 322/60 vom 15. Februar 1962 (Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bd. 12 S. 278) ausdrücklich diesen Grundsatz als Richtschnur für seine Rechtsprechung betont.
Eine andere Frage ist allerdings, ob der Gesetzgeber nicht dadurch, daß er in § 5 Abs. 1 GewStG die Inanspruchnahme des Kommanditisten für Steuerschulden über die Vorschriften des Handelsrechts hinaus ermöglicht, gegen Verfassungsgrundsätze verstößt. Der Senat verneint diese Frage, hält also § 5 Abs. 1 für verfassungsgerecht. Auch in anderen Fällen ist die steuerrechtliche Inanspruchnahme über das bürgerliche Recht oder Handelsrecht hinaus erstreckt worden. So haftet z. B. der Erwerber eines Betriebes für Steuern, bei denen die Steuerpflicht sich auf den Betrieb des Unternehmers gründet, gemäß § 116 AO wesentlich weiter als er nach § 25 HGB für andere Betriebsschulden haftet. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 845/58 vom 24. Januar 1962 (Entscheidungen des Bundesverfasfungsgerichts Bd. 13 S. 331, BStBl 1962 I S. 500), die die Nichtigkeit des § 8 Ziff. 6 GewStG betreffend die Zurechnung der Geschäftsführergehälter bei personenbezogenen Kapitalgesellschaften ausspricht, ist zwar bemerkt, daß der Gesetzgeber und die Gerichte gehalten seien, die Ordnungsstruktur des Zivilrechts in Betracht zu ziehen. Der Senat braucht auf die gegen diese Entscheidung erhobenen Bedenken (siehe z. B. Flume, Der Betrieb, 1962, S. 381) nicht einzugehen, weil die Entscheidung einen Sonderfall betraf, bei dem der Steuergesetzgeber nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in der steuerlichen Behandlung der personenbezogenen Kapitalgesellschaften nicht in jeder Richtung konsequent verfahren war. Jedenfalls kann aus dieser Entscheidung keineswegs ein Verfassungsgrundsatz abgeleitet werden, der besagt, daß der Gesetzgeber auch Fragen der Steuerschuldnerschaft oder der Steuerhaftung nur im Rahmen der Struktur des Zivilrechts regeln kann oder daß er dem Steuerfiskus als Steuergläubiger keine bessere Stellung einräumen darf als den Privatgläubigern. Der Senat ist vielmehr der Ansicht, daß auch verfassungsrechtlich die Sicherung des Gewerbesteueraufkommens den Steuergesetzgeber dazu berechtigen konnte, den Kommanditisten über die Grenzen des § 171 HGB hinaus zum Schuldner der Gewerbesteuer zu machen. Der Steuergesetzgeber kann es den Gesellschaftern einer KG überlassen, nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts untereinander den Ausgleich zu schaffen, wenn ein Kommanditist bei der Besteuerung der KG stärker in Anspruch genommen wird, als es den bürgerlich-rechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entspricht.
Ob allerdings die gegenwärtige Regelung zweckmäßig ist oder ob nicht besser die gewerbesteuerrechtliche Inanspruchnahme des Kommanditisten im Wege der Gesetzesänderung den grundsteuerrechtlichen und handelsrechtlichen Vorschriften angepaßt würde, ist als steuerpolitische Ermessensfrage der richterlichen Prüfung entzogen.
Fundstellen
Haufe-Index 411048 |
BStBl III 1964, 433 |
BFHE 1964, 550 |
NJW 1964, 2273 |