Leitsatz (amtlich)
1. Der Antrag, einen ersetzenden Steuerbescheid zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens zu machen (§ 68 FGO), ist nicht fristgebunden und führt - vorbehaltlich der Probleme doppelter Rechtshängigkeit und vorgängiger Rechtskraft - zur sachlichen Prüfung des ersetzenden Bescheids auch nach Ablauf der Einspruchs- oder Klagefrist.
2. Die Zurückverweisung gemäß § 127 FGO läßt keine Stellungnahme zur Sache selbst zu. Wird ein Erbschaftsteuerbescheid über eine gemäß § 16 Abs. 2 BewG a. F. kapitalisierte Rente während des Revisionsverfahrens durch einen gemäß § 30 ErbStG umgerechneten Bescheid ersetzt, so kann das Revisionsgericht jedoch nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO verfahren, wenn die Grundlagen der Anfechtung gleich geblieben sind.
2. Die letztwillige Zuwendung einer Unterhaltsrente, in Erwartung derer eine Person dem Erblasser gegen unzureichendes Entgelt Pflege gewährt hat, ist insoweit von der Erbschaftsteuer befreit, als sie selbst - nicht ihr Kapitalwert verglichen mit dem Betrage der Unterentlohnung - als angemessenes Entgelt anzusehen ist, also als vereinbartes Entgelt angemessen gewesen wäre.
Normenkette
FGO §§ 68, 123 S. 2, § 47 Abs. 1 S. 1, §§ 127, 126 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5; AO § 236 Abs. 1; ErbStG § 18 Abs. 1 Nr. 11, § 30
Tatbestand
Die Klägerin, eine damals noch voll arbeitsfähige gelernte Krankenpflegerin, hatte den wegen multipler Sklerose völlig hilflosen Erblasser in den letzten mehr als vier Jahren vor seinem Tode gegen einen Barlohn von zuletzt 160 DM monatlich gepflegt und versorgt. Ihr war für diesen Fall aus den Zinsen des hinterlassenen Kapitals eine Rente von monatlich 500 DM vermacht. Das FA hatte von ihr seit der Einspruchsentscheidung die Erbschaftsteuer aus dem Kapitalwert der Rente (§ 16 Abs. 2 BewG a. F.) abzüglich eines Freibetrags wegen der in Erwartung einer letztwilligen Zuwendung gegen unzureichendes Entgelt gewährten Pflege (§ 18 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG) angefordert. Den dabei als Wert der Unterentlohnung angesetzten Betrag von monatlich 300 DM hat das FG auf 500 DM erhöht; die weitergehende Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Während des Revisionsverfahrens hat das FA (Beklagter) den angefochtenen Steuerbescheid durch einen Rentenbesteuerungsbescheid gemäß § 30 ErbStG ersetzt; sachlich beruht dieser hinsichtlich des Steuersatzes auf der in der Einspruchsentscheidung enthaltenen Wertberechnung. Die Klägerin hat beantragt, den neuen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§ 68 FGO).
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Es ist nicht zu ersehen, ob der Antrag gemäß § 68 FGO innerhalb der Frist für die Anfechtung des ersetzenden Bescheides aus § 30 ErbStG gestellt worden ist. Darauf kommt es jedoch entgegen der Ansicht des FG Berlin (Urteil III 128/64 vom 15. September 1967, EFG 1968, 23) nicht an. Denn § 68 FGO selbst setzt keine Frist; sie ist auch nicht aus anderen Vorschriften abzuleiten. Von anderen Fällen der Klageänderung (§ 67 FGO) unterscheidet sich der des § 68 FGO dadurch, daß der Antrag auch in der Revisionsinstanz gestellt werden kann (§ 123 FGO). Diese Vorschriften hat der Gesetzgeber zum Ausgleich dafür geschaffen, daß es dem Beklagten nach Maßgabe der Vorschriften der AO gestattet ist, einseitig (vgl. dagegen (§ 72 Abs. 1 Satz 2, § 125 Abs. 1 Satz 2 FGO) den rechtshängigen (§ 66 Abs. 1 FGO) Gegenstand der Anfechtung der gerichtlichen Prüfung zu entziehen; § 68 FGO erlaubt dem Kläger, den Beklagten im Prozesse festzuhalten.
Ob diese Regelung auf dem Gedanken beruht, der materielle Gegenstand der Anfechtung bleibe im alten und im neuen Steuerbescheid weitgehend der gleiche (so etwa zum alten Recht Urteil des BFH VI 132/63 U vom 16. Oktober 1964, BFH 81, 93, BStBl III 1965, 32), kann dahingestellt bleiben. Eine Befristung des Antrags nach § 68 FGO kann jedenfalls nicht mit der Begründung gefordert werden, daß die selbständige Anfechtung des ersetzenden Bescheides befristet ist (§ 236 Abs. 1 AO, § 45 Abs. 1 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO) und daß folglich dieser Bescheid nach Ablauf der Frist, sofern nicht angefochten, unanfechtbar werde und in Bestandskraft erwachse. Denn die hier zu entscheidende Frage ist ja gerade, ob die Unzulässigkeit des Einspruchs oder einer isolierten Sprungklage (§ 45 Abs. 1 FGO) dem ersetzenden Bescheid auch Bestandskraft gegenüber dem anhängigen Verfahren und dem dort gemäß § 68 FGO zu stellenden Antrag verschafft. Die Bejahung dieser Frage kann nicht mit sich selbst begründet werden; aus dem Schweigen des § 68 FGO folgt also ihre Verneinung. Auf die Kollisionsprobleme bei doppelter Anfechtung (§ 66 Abs. 2, § 110 Abs. 1 FGO) ist hier nicht einzugehen.
Ist während des Revisionsverfahrens ein neuer oder geänderter Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens geworden (§§ 68, 123 Satz 2 FGO), so kann der BFH das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen (§ 127 FGO). Wird nach dieser Vorschrift verfahren, so ist auf die Sache selbst nicht einzugehen; die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das FG wird allein dadurch getragen, daß in bezug auf den neuen Verfahrensgegenstand die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlichen tatsächlichen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht vorliegen.
Diese Verfahrenslage ist hier nicht gegeben. Denn der neue Bescheid beruht auf derselben tatsächlichen Grundlage wie die Einspruchsentscheidung. Die in dieser aus dem Kapitalwert der Rente angeforderte Erbschaftsteuer ist lediglich nach Maßgabe des § 30 ErbStG in eine solche aus dem Jahreswert der jeweils laufenden Rentenbeträge umgerechnet worden. Dagegen hat die Klägerin keine selbständigen Einwendungen erhoben.
Die Revision führt somit zur sachlichen Prüfung der angeforderten Steuer. Da sie begründet ist, der festgestellte Sachverhalt (§ 118 Abs. 2 FGO) aber eine abschließende Entscheidung nicht zuläßt, war die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Dieses Ergebnis ist nur scheinbar das gleiche wie das in § 127 FGO vorgesehene. Dort wird nicht zur Sache entschieden; hier trifft aber das Revisionsgericht eine Entscheidung zur Sache mit der Folge des § 126 Abs. 5 FGO.
Der Erfolg der Revision beruht auf anderen als den vorgetragenen Gründen (§ 118 Abs. 3 Satz 2 FGO; vgl. umgekehrt § 126 Abs. 4 FGO). § 18 Abs. 1 Nr. 15 ErbStG greift nicht ein. Denn diese Vorschrift befreit eindeutig nur Zuwendungen unter Lebenden. Ein Vermächtnis (§§ 2147 ff. BGB) kann nicht deshalb einer Zuwendung unter Lebenden gleichgesetzt werden, weil der rechtsunkundige Erblasser angeblich eine Schenkung unter Lebenden verfügen wollte (§ 516 BGB), das indessen nicht getan hat (vgl. dazu auch § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG, § 2301 BGB). Das FG hat jedoch der Befreiungsvorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG einen zu engen Inhalt gegeben.
Gemäß dieser letztgenannten Vorschrift ist steuerfrei ein Erwerb, der Personen anfällt, die dem Erblasser in Erwartung einer letztwilligen Zuwendung unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege oder Unterhalt gewährt haben, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist. Dazu hat das FG in Übereinstimmung mit beiden Parteien ausdrücklich festgestellt, daß das der Klägerin für Pflege und Versorgung gewährte Entgelt unzureichend war, und daß sich die Klägerin mit diesem unzureichenden Entgelt in Erwartung einer letztwilligen Verfügung benügt hat. Demzufolge war zu prüfen, inwieweit das Vermächtnis einer lebenslänglichen Unterhaltsrente als angemessenes Entgelt für die Leistungen der Klägerin anzusehen ist.
Diese Frage hat das FG nicht gestellt. Es hat vielmehr die Unterentlohnung der Klägerin - also den Wert ihrerer Leistungen abzüglich des Wertes ihrer Entlohnung - mit dem aus § 16 Abs. 2 BewG a. F. errechneten Kapitalwert der Rente verglichen und demzufolge der Besteuerung die Differenz aus dem Kapitalwert der Rente und dem Betrage zugrunde gelegt, den die Klägerin bei "angemessener" Entlohnung mehr erhalten hätte.
Bei dieser Art der Berechnung bleibt außer Betracht, daß der Klägerin nicht ein Kapitalbetrag in Höhe eines gemäß § 16 Abs. 1 und 2 BewG a. F. zu errechnenden Rentenwertes zugewandt worden ist, sondern die Rente selbst, und daß somit darüber zu befinden war, ob diese ganz oder teilweise als angemessenes Entgelt anzusehen ist (§ 18 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG). Denn der Gegenstand der Zuwendung wird allein durch das bürgerliche Recht bestimmt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG); erst auf deren Bewertung für die Zwecke der Besteuerung sind die Vorschriften der §§ 22 ff. ErbStG und des BewG anzuwenden. Diese beeinflussen aber nicht die Frage, ob und inwieweit das Zugewandte, wenn es als Entgelt vereinbart worden wäre, eine angemessene Gegenleistung dargestellt hätte oder im Zeitpunkt des Todes darstellt.
In vielen Fällen wird auch dieser unmittelbare Vergleich zu keinem anderen oder keinem wesentlich anderen Ergebnis führen als die Berechnungsmethode des FG. Hat z. B. eine verhältnismäßig junge Frau, welche die Krankenpflege berufsmäßig betreibt, den Erblasser nur kurze Zeit betreut und sich hernach anderen Aufgaben zugewandt, so kann je nach den näheren Umständen auch dann, wenn ihr eine Unterhaltsrente zugewandt worden ist, als "angemessenes Entgelt" im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG nur der Geldbetrag anzusehen sein, um den sie zu nieder entlohnt worden ist.
So liegt es hier aber nicht. Die Klägerin war selbst bereits in höheren Jahren, als sie die Pflege des Erblassers aufnahm. Unterstellt man, daß sie - wie sie behauptet hat - nahezu drei Jahrzehnte nicht mehr im Krankenpflegeberuf tätig war, und daß sie erst durch die Scheidung ihrer Ehe gezwungen wurde, sich ihre Altersversorgung zu sichern, so mag sie geneigt gewesen sein, auf eine im arbeitsrechtlichen Sinn angemessene Entlohnung zugunsten einer gleichmäßigen Altersversorgung zu verzichten. Das gilt insbesondere dann, wenn die Klägerin von der Sozialversicherung keine ausrerichende Leistung zu erwarten hatte.
§ 18 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG befreit, "soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist". Er arbeitet also mit einer Fiktion; denn wäre das Zugewendete selbst Entgelt, so bedürfte es der Befreiung nicht, weil das Zugewandte ohnehin nicht der Erbschaftsteuer unterläge (§ 1 Abs. 1 ErbStG). Es kommt also darauf an, ob die Zuwendung als vertragliches Entgelt angemessen wäre (unbeschadet dessen, daß ein nachträgliches "Entgelt" auch dann angemessen sein kann, wenn es zur Zeit der Leistung noch nicht geboten war).
Unter den dargestellten Umständen wäre zwischen dem Erblasser und der Klägerin ein Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB) des Inhalts denkbar gewesen, daß die Vergütung der Klägerin zu Lebzeiten des Erblassers nur in freier Kost und einem verhältnismäßig niederen Barlohn bestanden hätte, zum Ausgleich dieser zeitlichen Unterentlohnung aber der Wert dieser Vergütung - sofern die Klägerin den Erblasser bis an sein Lebensende pflegt - der Klägerin lebenslänglich gewährt werden solle. Eine derartige patriarchalische Gestaltung eines Dienstverhältnisses ist möglich; sie war früher in der Landwirtschaft, teilweise aber auch in größeren Haushalten üblich.
Schuldrechtlich gesehen hat eine solche Vereinbarung aleatorischen Charakter. Je länger der Dienstherr lebt und je größer demzufolge der fiktive Entlohnungsrückstand wird, um so geringer wird die Wahrscheinlichkeit, daß der Dienstleistende mit dem "Altenteil" kalkulatorisch auf seine Rechnung kommt. Umgekehrt kann ihm eine solche Vereinbarung aber auch - wirtschaftlich gesehen - vorteilhaft sein, sofern der Dienstberechtigte früh stirbt und er selbst noch eine verhältnismäßig hohe Lebenserwartung hat. Das demzufolge höhere Entgelt verliert dadurch, sofern der frühe Todesfall nicht vorhersehbar war, nicht den Charakter des "Angemessenen". Denn es lag von vornherein im Wesen einer solchen Vereinbarung, daß je nach Umständen, welche keiner der Vertragsschließenden bestimmen konnte, das rechnerische Saldo von Leistung und Gegenleistung entweder dem Dienstherrn oder dem Dienstleistenden zugute kommt. "Angemessen" ist ein derartiges Entgelt schon dann, wenn es unter Berücksichtigung dessen, was bei Antritt des Dienstes zu erwarten war, und des Risikos, das der Dienstleistende demzufolge eingegangen ist, angemessen erscheint.
Kraft der in § 18 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG im letzten Nebensatz enthaltenen Fiktion ist diese Beurteilung auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Denn die Klägerin hat sich - wie behauptet, in Kenntnis des Testaments - bis zum Tode des Erblassers mit einer unzureichenden Entlohnung zufriedengegeben in der Erwartung, kraft dieses Testaments für ihren Lebensabend gesichert zu sein. Sie ist freiwillig beim Erblasser geblieben. Demzufolge kommt ihr § 18 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG nicht nur insoweit zustatten, als die Zuwendung den Wert der tatsächlich erbrachten Leistungen abgilt, sondern auch unter dem Gesichtspunkt, daß die Pflege und Versorgung des Erblassers unter der aleatorischen Ungewißheit, wie lange der Klägerin überhaupt die erwartete Rente zufließen würde, ihrerseits einen angemessenen Ausgleich zulassen.
Das hat das FG nicht geprüft; von dieser Frage wird auch der neue, auf § 30 ErbStG gestützte Bescheid beeinflußt. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Die Klägerin kann nunmehr die im Revisionsrechtszug unbeachtlichen tatsächlichen Behauptungen nachschieben, wonach der Wert der Arbeitsleistung der Klägerin höher gewesen sei, als das FG angenommen hatte.
Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung der Sache wird sich das FG auch damit auseinandersetzen müssen, daß die Klägerin nicht erst seit dem Tode der Frau des Erblassers bei diesem tätig war. Die Klägerin hat dazu in der mündlichen Verhandlung vor dem FG behauptet, sie habe nach Aufnahme des Dienstes beim Erblasser zunächst dessen krebskranke Frau gepflegt. Trifft das zu, so kann diese nicht in der Lage gewesen sein, ihrerseits den Erblasser zu pflegen. Es ist daher nicht klar, weshalb das FG bei Anwendung des § 18 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG nur die Zeit nach dem Tode der Frau berücksichtigt.
Fundstellen
Haufe-Index 67881 |
BStBl II 1968, 210 |
BFHE 1968, 27 |