Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg zu den Finanzgerichten bei Anfechtung eines Duldungsbescheids der Finanzbehörde bzw. Antrag auf vorbeugend negative Feststellungsklage
Leitsatz (amtlich)
Sowohl gegen einen Duldungsbescheid der Finanzbehörde, mit welchem diese einen anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch geltend macht, als auch gegen einen bloß drohenden Duldungsbescheid dieses Inhalts ist für den Anfechtungsgegner ausschließlich der Rechtsweg zu den FG gegeben.
Normenkette
GVG § 17a; AnfG 1999 § 7; AO § 191 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 19.05.2005; Aktenzeichen 21 W 1452/05) |
LG München I (Entscheidung vom 24.01.2005; Aktenzeichen 9 O 5558/04) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 21. Zivilsenats des OLG München vom 19.5.2005 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Gründe
[1]I.
Die Klägerin erwarb treuhänderisch Beteiligungen an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Danach kündigte das Finanzamt, das Forderungen gegen die bisherigen Inhaber der Beteiligungen hat, der Klägerin an, es werde diesen Erwerb nach Maßgabe der Vorschriften des Anfechtungsgesetzes i.V.m. § 191 AO anfechten.
[2]Die Klägerin hat vor dem LG Klage auf Feststellung erhoben, dass der verklagte Freistaat zur Anfechtung nicht berechtigt sei. Später erließ das Finanzamt zwei Duldungsbescheide gegen die Klägerin, wogegen diese Einspruch einlegte, über den noch nicht entschieden ist.
[3]Der Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtsweges gerügt. Daraufhin hat die Klägerin gem. § 17a Abs. 3 GVG beantragt, die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges auszusprechen. Das LG hat den ordentlichen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das FG München verwiesen (§ 17a Abs. 2 Satz 1 GVG). Die sofortige Beschwerde der Klägerin nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG hat das OLG als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Klägerin.
[4]II.
Das statthafte (§ 17a Abs. 4 Satz 4 GVG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
[5]1. Allerdings hat der Senat (BGH, Urt. v. 29.11.1990 - IX ZR 265/89, WM 1991, 249 f.) in einem vergleichbaren Fall angenommen, für eine vorbeugende negative Feststellungsklage sei der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben, weil es an einer ausdrücklichen Rechtswegzuweisung fehle und der Rückgewähranspruch nach § 7 AnfG 1879 dem bürgerlichen Recht zuzuordnen sei. Dieser verwandele sich nicht in einen öffentlich-rechtlichen Anspruch, wenn das Finanzamt von dem ihm nach der Rechtsprechung des BFH zustehenden Wahlrecht Gebrauch mache und den Anspruch nicht durch Anfechtungsklage, sondern im Wege eines Duldungsbescheides nach § 191 AO geltend mache. Als belastender Verwaltungsakt könne der Duldungsbescheid jederzeit einseitig zurückgenommen bzw. widerrufen werden.
[6]2. An dieser Auffassung kann für das nunmehr geltende Recht nicht festgehalten werden.
[7]a) Fehlt eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers, richtet sich der Rechtsweg nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, BGHZ 97, 312, 313 f.; 102, 280, 283; 108, 284, 286). Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Anfechtungsanspruch nach § 7 AnfG. Dabei handelt es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit (BGH, Urt. v. 29.11.1990a.a.O.; Huber, Anfechtungsgesetz 9. Aufl., § 7 Rz. 19; Paulus in Kübler/Prütting, InsO § 13 AnfG Rz. 10; vgl. ferner für den insolvenzrechtlichen Anfechtungsanspruch BGHZ 114, 315, 320; BGH, Beschl. v. 2.6.2005 - IX ZB 235/04, NJW-RR 2005, 1138, 1139).
[8]b) Seit der Einfügung des § 191 Abs. 1 Satz 2 AO durch das Steuerbereinigungsgesetz vom 22.12.1999 (BGBl. I, 2601) liegt jedoch eine Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers vor. Nach dieser Vorschrift hat die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens zwingend durch Duldungsbescheid zu erfolgen, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist.
[9]aa) Der Duldungsbescheid ist ein Verwaltungsakt. Wendet sich der Betroffene hiergegen, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten selbst dann nicht gegeben, wenn die Regelung nicht durch Verwaltungsakt hätte erfolgen dürfen, weil das Rechtsverhältnis privatrechtlich ausgestaltet ist (BVerwGE 84, 274, 275; Rennert in Eyermann/Fröhler, VwGO 11. Aufl., § 40 Rz. 61; Kopp/Schenke, VwGO 14. Aufl., § 40 Rz. 15a). Bereits daraus ergibt sich, dass auch für eine negative Feststellungsklage, mit der die Berechtigung des Steuergläubigers in Abrede gestellt wird, Rückgewähransprüche nach dem Anfechtungsgesetz durch Duldungsbescheid geltend zu machen, nur noch der Rechtsweg zu den FG (§ 33 FGO) eröffnet ist, wobei diese als Vorfrage zu klären haben, ob die Voraussetzungen des zivilrechtlichen Rückgewähranspruchs vorliegen (vgl. Gräber/Koch, FGO 5. Aufl., § 33 Rz. 30 Stichwort "Haftung, Duldung"; Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 191 AO Rz. 7, 146; § 33 FGO Rz. 42). Bestätigt wird dies durch die Gesetzesbegründung, wonach Ziel der Neufassung des § 191 Abs. 1 AO u.a. die "Vermeidung erheblichen Aufwandes bei den AG" war (BT-Drucks. 14/1514, 48).
[10]bb) Für den Rechtsweg macht es keinen Unterschied, ob der Betroffene sich gegen einen erst drohenden Duldungsbescheid wendet. Der Betroffene will hier die Tätigkeit der hoheitlichen Verwaltung beeinflussen, nämlich ein bestimmtes Unterlassen vorschreiben. Dies kann nur auf dem öffentlich-rechtlichen Rechtsweg erreicht werden.
[11]Dafür spricht auch die Prozessökonomie, weil der Anfechtungsgegner nach Erlass eines Duldungsbescheides ohnehin Anfechtungsklage zum FG erheben muss, sofern nicht die Steuerbehörde das Einspruchsverfahren gem. § 363 AO aussetzt; durch die Erhebung einer negativen Feststellungsklage des Anfechtungsgegners vor dem Zivilgericht verliert die Finanzbehörde nicht ihr Recht, den Rückgewähranspruch durch Duldungsbescheid geltend zu machen und die Sache damit vor die Finanzgerichtsbarkeit zu ziehen (BFH/NV 2002, 757, 758). Die vorübergehende Befassung des Zivilgerichts mit der Angelegenheit würde auch die vom Gesetzgeber mit der Einfügung des § 191 Abs. 1 Satz 2 AO verfolgte Entlastung der Zivilgerichte weitgehend vereiteln.
[12]Würde der Rechtsweg davon abhängen, ob sich der Betroffene bereits gegen einen drohenden oder erst gegen einen erlassenen Duldungsbescheid wendet, hinge es vielfach vom Zufall ab, ob der Anfechtungsgegner das Verfahren vor die Zivilgerichte oder die FG bringt. Dies wäre der Rechtssicherheit abträglich.
[13]Auch für die Klage des Betroffenen gegen einen drohenden Duldungsbescheid ist demnach nur der Finanzrechtsweg eröffnet (ebenso Beermann/Gosch/von Beckerath, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung § 33 FGO Rz. 117; Gräber/Koch, a.a.O.; Tipke/Kruse, a.a.O. § 191 AO Rz. 146). Die Klägerin wird dadurch nicht schutzlos gestellt, weil sie ihr Klagebegehren als vorbeugende Unterlassungsklage vor den FG geltend machen kann (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O. § 191 AO Rz. 146, § 40 FGO 18; Gräber/Koch, a.a.O. § 40 Rz. 33).
[14]3. Die von der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge, die Verweisung an das FG habe auch deshalb nicht erfolgen dürfen, weil das Einspruchsverfahren gegen die Duldungsbescheide noch nicht abgeschlossen sei, greift nicht durch. Auf die in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidungen des BGH (Beschl. v. 19.11.1992 - V ZB 37/92, WM 1993, 77; v. 3.8.1995 - IX ZB 80/94, ZIP 1995, 1451) kann sich die Klägerin nicht berufen. In beiden Fällen hatte das angegangene Zivilgericht den Zivilrechtsweg verneint, mangels Durchführung des vorgesehenen Verwaltungsverfahrens jedoch von einer Verweisung an das VG abgesehen, sondern die Klage sofort als unzulässig abgewiesen. Dieses Vorgehen hat der BGH gebilligt. Bei Übertragung dieser Rechtsprechung hätte das LG die Klage mangels Zulässigkeit des Zivilrechtsweges und fehlender Durchführung des steuerlichen Einspruchsverfahrens direkt als unzulässig abweisen können. Dies ist nicht Ziel der Rechtsbeschwerde. Eine reformatio in peius zu Lasten der Klägerin kommt nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschl. v. 16.6.2005 - IX ZB 285/03, ZIP 2005, 1371 und IX ZB 264/03, ZIP 2005, 1372, 1373).
Fundstellen
Haufe-Index 1560911 |
DStR 2006, 1901 |
DStZ 2006, 711 |
HFR 2007, 77 |