Leitsatz (amtlich)

a) Die von der Rechtsprechung entwickelten Prospekthaftungsgrundsätze, die an ein typisiertes Vertrauen des Anlegers auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der von den Prospekthaftungsverantwortlichen gemachten Angaben anknüpfen (BGHZ 71, 284 u. st. Rspr.), finden auch auf Prospekte Anwendung, mit denen für den Erwerb von Aktien außerhalb der geregelten Aktienmärkte geworben wird.

b) Ein Anleger, der mit einem in erheblichen Punkten unrichtigen oder unvollständigen Prospekt geworben worden ist, kann, wenn er die Beteiligung in Kenntnis der ihm verschwiegenen oder unrichtig dargestellten Umstände nicht erworben hätte, im Wege des Schadensersatzes Rückgängigmachung seiner Beteiligung verlangen, auch wenn die im Prospekt unrichtig dargestellten Risiken nicht mit denjenigen identisch sind, die zu dem späteren Wertverfall der Anlage geführt haben.

 

Normenkette

BGB § 276

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 30.01.1992)

LG Frankfurt am Main

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30. Januar 1992 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als auch die gegen den Beklagten zu 1 gerichtete Klage abgewiesen worden ist.

Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Beklagte zu 1 ist Vorstandsvorsitzender der H. AG. Die Hauptversammlung dieser Gesellschaft beschloß am 1. Dezember 1986 eine Kapitalerhöhung in Form der Ausgabe von 30.000 neuen Inhaber-Vorzugsaktien ohne Stimmrecht im Nennbetrag von je 50,– DM zum Ausgabepreis von je 189,– DM. Gleichzeitig sollten 15.000 Inhaberstammaktien (Gattung B) der bisherigen Altaktionäre im Nennbetrag von je 50,– DM zum Stückpreis von 210,– DM verkauft werden. In dem dazu herausgegebenen, von dem Beklagten zu 1 verantwortlich gestalteten Verkaufsprospekt der Gesellschaft vom 1. Dezember 1986 wird der Beklagte zu 1 als der alleinige Vorstand der Gesellschaft bezeichnet. In dem beigefügten Jahresabschluß werden die „Gesamtbezüge des Vorstandes” mit 300.000,– DM angegeben. Tatsächlich hatte die Gesellschaft in diesem Zeitpunkt bereits weitere Vorstandsmitglieder bestellt, deren in Form von Provisionen gezahlten Bezüge in dem Jahresabschluß ohne besonderen Ausweis nur in dem Titel „Personalaufwand” enthalten waren. Hinsichtlich der bis dahin an keiner Wertpapierbörse gehandelten Aktien der Gesellschaft heißt es, nach Vorlage der Bilanz für das Jahr 1986 solle bei einer deutschen Börse ein Antrag auf eine geregelte Preisfeststellung auf DM-Basis gestellt werden. Auf Seite 12 des Verkaufsprospekts wird versichert, daß alle Jahresabschlüsse der Gesellschaft den uneingeschränkten Bestätigungsvermerk der Wirtschaftsprüfer erhalten hätten.

„Im Dezember 1986” schloß die Hauptversammlung der H. AG mit der H. Vermögensverwaltungsgesellschaft GbR, vertreten durch den Beklagten zu 1, eine Vereinbarung, worin sich diese aus dem Beklagten zu 1 und zwei weiteren Vorstandsmitgliedern der AG bestehende Gesellschaft „zur Durchführung einer begrenzten Marktpflege zur Vermeidung übermäßiger Kursveränderung während einer Übergangszeit bis zur Börseneinführung, längstens jedoch bis zum 15. Januar 1988” verpflichtete. Hierfür sollte die GbR, deren Mitglieder sämtlich zugleich Stammaktionäre der H. AG waren, eine Vergütung von 3,5 % des Emissionserlöses erhalten. Insgesamt hat die H. AG in den Jahren 1987 bis 1989 an die GbR einen Betrag von rund 503.000,– DM gezahlt. Die im Mai 1987 gemeinsam mit einer Wirtschaftsprüfergesellschaft bei der F. Wertpapierbörse beantragte Zulassung zum geregelten Markt wurde von dem Börsenvorstand mit Bescheid vom 12. Oktober 1987 mit der Begründung abgelehnt, ein Wirtschaftsprüfer sei nicht als Mitantragsteller im Sinne von § 71 Abs. 2 Satz 3 BörsG geeignet, weil diese Tätigkeit nach einer Stellungnahme der Wirtschaftsprüferkammer nicht mit den Standespflichten eines Wirtschaftsprüfers vereinbar sei. Die infolgedessen nur außerhalb der Börse im sogenannten Telefonverkehr gehandelten Aktien der H. AG fielen in der Folgezeit bis auf einen Kurs von 130,– DM je Aktie.

Der Kläger, der im Frühjahr 1987 insgesamt 1000 Inhaber-Stammaktien (Gattung B) der H. AG zum Preis von insgesamt 210.000,– DM erworben hat, fordert von dem Beklagten zu 1 Rückzahlung dieses Betrages zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe der erworbenen Aktien. Er fühlt sich durch den ihm persönlich zugesandten Verkaufsprospekt in mehrfacher Hinsicht getäuscht. Er meint, der Prospekt hätte weder die nach seiner Ansicht unzulässige Kurspflegevereinbarung noch die Absicht der Gesellschaft verschweigen dürfen, die geplante Börseneinführung in nicht bankbegleiteter Form vorzunehmen. Darüber hinaus habe er unwahre Angaben über die Zahl der Vorstandsmitglieder der H. AG und deren tatsächliche Bezüge enthalten. Aus diesem Grunde und wegen Fehlens eines erforderlichen Abhängigkeitsberichts habe der Prospekt auch nicht mit dem bei dieser Sachlage unrichtig erteilten Wirtschaftsprüferattest werben dürfen. Hätte er, der Kläger, von diesen im Prospekt verschwiegenen oder doch jedenfalls unrichtig dargestellten Umständen Kenntnis gehabt, so hätte er von einem Erwerb der Aktien der Gesellschaft auch unabhängig von den später eingetretenen Kursverlusten Abstand genommen.

Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Kläger gegen den Beklagten zu 1 seinen in den Vorinstanzen gestellten Antrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Die von der Rechtsprechung entwickelten Prospekthaftungsgrundsätze, die an ein typisiertes Vertrauen des Anlegers auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der von den Prospektverantwortlichen gemachten Angaben anknüpfen (vgl. aus der st. Rspr. insbes.: BGHZ 71, 284; 72, 382; 79, 337; 83, 222; 84, 141; Urt. v. 16. November 1978 – II ZR 94/77, WM 1979, 141, 143 f.; v. 25. November 1981 – IVa ZR 286/80, WM 1982, 90, 91; v. 17. Juni 1991 – II ZR 121/90, WM 1991, 1543), finden auch auf Prospekte Anwendung, mit denen für den Erwerb von Aktien außerhalb der geregelten Aktienmärkte geworben wird (BGH, Urt. v. 25. September 1985 – IVa ZR 237/83, WM 1985, 1520; OLG Frankfurt am Main WM 1988, 1161 mit zustimmender Anmerkung von Assmann, WuB I G.5 Börsenrecht 12.88; teilweise anders Kleinwächter, BB 1987, 1541). Nicht anders als bei Publikums-Kommanditgesellschaften ist der Prospekt in diesen Fällen im allgemeinen die Grundlage für den Beitrittsentschluß des mit ihm geworbenen Interessenten. Er hat deshalb den Beteiligungsinteressenten auch hier ein zutreffendes Bild von der angebotenen Kapitalbeteiligung zu vermitteln. Dazu gehört nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (aaO), daß sämtliche Umstände, die für die Entschließung der mit dem Prospekt angesprochenen Anlageinteressenten von Bedeutung sind oder sein können, richtig und vollständig dargestellt werden. Ändern sich diese Umstände nach der Herausgabe des Prospekts, so haben die Verantwortlichen davon durch Prospektberichtigung oder durch entsprechende Hinweise bei Abschluß des Vertrages Mitteilung zu machen (BGHZ 71, 284, 290 f.; Urt. v. 16. November 1978 aaO; v. 6. Oktober 1980 – II ZR 60/80, WM 1981, 483, 485 unter 3. a), insoweit in BGHZ 79, 337 ff. nicht mitabgedruckt). Wird der Prospekt diesen Anforderungen zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Aufklärung über die zur Beurteilung der beworbenen Kapitalanlage erforderlichen Tatsachen nicht gerecht, indem er für die Anlageentscheidung erhebliche Umstände unrichtig oder unvollständig darstellt, so hat der auf seiner Grundlage geworbene Interessent, der die ihm angebotene Anlage in Kenntnis der ihm verschwiegenen Umstände nicht erworben hätte, gegen den schuldhaft handelnden Prospektverantwortlichen jedenfalls einen Anspruch auf Erstattung der für den Erwerb gemachten Aufwendungen gegen Rückgabe der Anlage. Daß der Beklagte zu 1 als Vorstandsvorsitzender der H. AG und der für die Herausgabe des Prospekts und dessen Inhalt Verantwortliche zu den danach für Prospektmängel haftenden Personen gehört, bedarf unter den gegebenen Umständen keiner näheren Begründung.

II. 1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts soll eine Haftung des Beklagten zu 1 für die unrichtigen Angaben des Prospekts über die Zahl der Vorstandsmitglieder der H. AG und deren Bezüge sowie für die in dem Prospekt betriebene Werbung mit einem möglicherweise unzutreffenden Wirtschaftsprüferattest jedoch jedenfalls deshalb ausscheiden, weil diese Prospektfehler nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem vom Kläger erlittenen Schaden stünden. Das Berufungsgericht meint unter Berufung auf Teile des Schrifttums (Canaris in GroßKomm. z. HGB, 3. Aufl. 1981, Bankvertragsrecht, Rdn. 2298; Pleyer-Hegel, ZIP 1985, 1370 ff., 1373; Assmann, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 1990, § 7 Rdn. 86), auch bei der Prospekthaftung müsse der eingetretene Schaden im Schutzbereich der Prospektpflicht liegen. Dem Anleger müsse es verwehrt sein, Schadensersatz und damit im Ergebnis Rückgängigmachung seiner Anlageentscheidung wegen jeder Falschangabe in dem Prospekt, auf die er vertraut habe, auch dann zu verlangen, wenn sich diese wirtschaftlich nicht negativ auf die Entwicklung der Anlage ausgewirkt hat. Dies fordere auch der Gedanke der Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten: Dem Anleger könne kein Ersatzanspruch wegen eines Prospektfehlers zustehen, wenn der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Prospekturhebers entstanden wäre. So liege es auch im vorliegenden Fall. Selbst nach den Angaben des Klägers sei der Kursverlust der Aktien nicht auf die in dem Prospekt unrichtig oder unvollständig wiedergegebenen Umstände, sondern allein darauf zurückzuführen, daß die Aktien bis heute nicht zum Handel an der Börse zugelassen seien. Diese Beurteilung ist, wie die Revision zutreffend rügt, nicht frei von Rechtsfehlern.

2. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei Prüfung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Schlechterfüllung der Prospektpflicht und dem Schaden des Anlegers nicht maßgeblich auf das letzte mögliche Glied der Kausalkette in Gestalt der Entwertung oder des Verlustes der Beteiligung abzustellen (BGH, Urt. v. 25. November 1981 – IVa ZR 286/80, WM 1982, 90, 91; dahingestellt gelassen im Urt. v. 12. Februar 1986 – IVa ZR 76/84, ZIP 1986, 562, 564; das Sen.Urt. v. 21. Oktober 1991 – II ZR 204/90, WM 1991, 2090 ist nicht einschlägig; es befaßt sich lediglich mit dem Schutzgesetzcharakter von § 264 a StGB). Es kommt vielmehr entscheidend auf die Ursächlichkeit des Aufklärungsmangels für den Beteiligungsentschluß des Anlegers an. Ist mithin ein in wesentlichen Punkten unrichtiger Prospekt ursächlich für den auf seiner Grundlage erklärten Beitritt des Anlegers zu einer Gesellschaft oder den Erwerb von Wertpapieren gewesen, so ist dem Anleger derjenige Schaden zu ersetzen, den er dadurch erlitten hat, daß er den Angaben vertraut hat, mit denen in dem Prospekt für die betreffende Investition geworben wurde (vgl. zuletzt Sen.Entsch. v. 28. September 1992 – II ZR 224/91, ZIP 1992, 1561). Der in seinem Vertrauen enttäuschte Anleger ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn die für den Prospekt Verantwortlichen ihrer Aufklärungspflicht nachgekommen wären. Da er in diesem Fall die Anlage nicht erworben hätte, besteht der ihm zu ersetzende Schaden in dem Betrag, den er für den Erwerb der später vom Wertverfall betroffenen Anlage aufgewendet hat (vgl. auch BGHZ 79, 337, 346 unter 6.).

An dieser Rechtsprechung ist auch nach erneuter Überprüfung festzuhalten. Bei der zunächst vor allem für die rechtliche Beurteilung von Schutzgesetzverletzungen (§ 823 Abs. 2 BGB) entwickelten Rechtsfigur des Rechtswidrigkeitszusammenhangs/Schutzzwecks der Haftungsnorm geht es im wesentlichen darum, die Haftung des „Täters” für solche Schäden auszuschließen, die nicht als Verwirklichung derjenigen Gefahr angesehen werden können, die durch die von dem „Täter” verletzte Verhaltensnorm hintangehalten werden soll (vgl. dazu sowie zu den einzelnen hier in Betracht kommenden Fallgruppen statt aller MüKO/Mertens, BGB 2. Aufl. § 823 Rdn. 40/41 m.w.N.). Dieser rechtliche Gesichtspunkt könnte nur dann zu der von dem Berufungsgericht für richtig erachteten Einschränkung der Haftung für Prospektfehler führen, wenn sich der Sinn der Prospektaufklärungspflicht darin erschöpfte, den Anleger davor zu schützen, daß der Prospekt unrichtige oder unvollständige Angaben über solche Umstände enthält, die sich später tatsächlich in negativer Weise auf die wirtschaftliche Entwicklung der Anlage ausgewirkt haben. Eine solche Betrachtungsweise griffe indessen zu kurz. Der Schutzzweck der Verpflichtung des Prospektverantwortlichen zur möglichst vollständigen Aufklärung über sämtliche Umstände, denen Bedeutung für die Entscheidung des potentiellen Kapitalanlegers für oder gegen den Erwerb der angebotenen Anlage zukommen kann, beschränkt sich nicht darauf, den Anleger nur vor einigen ganz bestimmten mit der Anlage verbundenen Risiken, nämlich gerade denjenigen, die sich später tatsächlich verwirklichen, zu warnen. Vielmehr soll durch eine umfassende Aufklärungspflicht gegenüber den mit dem Prospekt geworbenen Interessenten deren Recht zur Selbstbestimmung über die Verwendung ihres Vermögens sichergestellt werden. Der Anleger hat trotz und gerade wegen der Tatsache, daß er mit seiner Anlage ein Risikogeschäft eingeht und ihm dieses wirtschaftliche Risiko bleiben muß, ein Recht darauf, seine Entscheidung eigenverantwortlich in voller Kenntnis sämtlicher für die Beurteilung dieses Risikogeschäfts maßgeblicher Umstände zu treffen. Dabei stellt sich der schließlich für oder gegen die Beteiligung an der angebotenen Anlage gefaßte Entschluß stets als das Ergebnis einer in Ausübung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts getroffenen Gesamtentscheidung dar, bei der alle Vor- und Nachteile sowie sämtliche mit der betreffenden Anlage verbundenen Chancen und Risiken gegeneinander abgewogen worden sind (vgl. dazu auch Hertens a.a.O. Rdn. 423 c im Anschluß an H. Schmid, NJW 1984, 2601, 2604 für die Aufklärungspflicht vor medizinischen Eingriffen). Da dem Anleger diese in eigener Verantwortung zu treffende Entscheidung von niemandem, am wenigsten von dem Anbieter der Anlage, abgenommen werden kann und darf, hat ihm der Beteiligungsprospekt, mit dem für die Anlage geworben wird, ein möglichst vollständiges Bild von den für eine sachgerechte Beurteilung der Anlage erheblichen Umständen zu vermitteln. Infolgedessen stellen in wesentlichen Punkten unrichtige oder unvollständige irreführende Prospektangaben eine rechtswidrige Verletzung der ihm gegenüber bestehenden Verhaltenspflichten des Prospektverantwortlichen dar. Der Anleger, der von einer Beteiligung abgesehen hätte, wenn er zusätzlich zu den ihm bekannten Risiken und Unwägbarkeiten der Anlage auch die im Prospekt verschwiegenen Umstände gekannt hätte, kann deshalb von dem für den Prospekt Verantwortlichen, wenn dieser schuldhaft gehandelt hat, verlangen, auf dem Schadensersatzwege so gestellt zu werden, als hätte er die Anlage nicht getätigt. Da ihn die verletzte Prospektaufklärungspflicht gerade vor Anlageentscheidungen schützen soll, die er in voller Kenntnis aller für die Beurteilung des Angebots maßgeblichen Verhältnisse nicht getroffen hätte, fällt der von ihm erlittene Schaden in Gestalt einer andernfalls nicht erworbenen Beteiligung und der dafür gemachten Aufwendungen in den Schutzbereich der Verhaltensnorm (Aufklärungspflicht), ohne daß es ausschlaggebend darauf ankommen kann, ob sich später gerade die im Prospekt verschwiegene Gefahr als solche verwirklicht hat. Dies wird besonders deutlich, wenn der Anleger die Rückgängigmachung seiner Beteiligung verlangt, weil sie ihm im Hinblick auf bestimmte, im Prospekt verschwiegene Nachteile oder Risiken als nicht lohnend oder zu gefährlich erscheint. Dieses Recht kann der Anleger nicht dadurch verlieren, daß die Anlage nachträglich aus Gründen wertlos wird, die mit denjenigen, derentwegen er im nachhinein von dem Erwerb Abstand nehmen will, unmittelbar nicht zusammenhängen.

3. Nach alledem ist der entscheidende Gesichtspunkt beim Auseinanderfallen der im Prospekt verschwiegenen Umstände und derjenigen, die später tatsächlich zu einer Entwertung der Anlage geführt haben, nicht das Fehlen eines notwendigen Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen der Verletzung der Prospektaufklärungspflicht und dem von dem Anleger erlittenen Schaden – dieser besteht bereits in dem Erwerb der bei pflichtgemäßer Aufklärung nicht vorgenommenen Beteiligung –, sondern die Frage, ob die Kenntnis des im Prospekt verschwiegenen Umstandes den Anleger tatsächlich von dem Erwerb der Anlage abgehalten hätte oder der Prospektfehler lediglich als Vorwand zur Rückgängigmachung einer Investitionsentscheidung benutzt wird, die sich später aus anderen Gründen, die mit diesem Mangel nichts zu tun haben, als nachteilig erwiesen hat. Aus diesem Grunde hat der Senat bereits in seinen Entscheidungen vom 17. Juni 1991 und vom 28. September 1992 (jeweils aaO) darauf hingewiesen, daß der Tatrichter unbeschadet der Tatsache, daß die Lebenserfahrung grundsätzlich für die Ursächlichkeit eines in wesentlichen Punkten unrichtigen Prospektes für den auf seiner Grundlage erfolgten Beitritt spricht, bei der von ihm nach § 286 ZPO vorzunehmenden Gesamtwürdigung, ob er von der Ursächlichkeit des Aufklärungsmangels für den Beitrittsentschluß überzeugt ist, neben den von dem Geschädigten vorgetragenen Gründen, warum er sich bei Kenntnis aller ihm zu offenbarenden Umstände gegen den Vertragsschluß entschieden hätte, auch die objektive Bedeutung der verschwiegenen Tatsache für die Werthaltigkeit des Anlageobjekts zu berücksichtigen hat. In bezug auf Umstände, die wegen ihrer geringen Bedeutung offenkundig im allgemeinen nicht dazu geeignet sein konnten, die Investitionsentscheidung eines Anlageinteressenten zu beeinflussen, dürfte darüber hinaus regelmäßig bereits eine Aufklärungspflicht fehlen.

4. Da das Berufungsgericht von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt aus die Ursächlichkeit der unterlassenen Aufklärung des Klägers über die eingangs erwähnten Umstände nur unterstellt hat, muß die Sache schon aus diesem Grunde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Dabei wird das Berufungsgericht im Rahmen der von ihm nachzuholenden tatrichterlichen Gesamtwürdigung vor allem auch darüber zu befinden haben, inwieweit nach seiner Überzeugung die Kenntnis des Klägers von dem im Prospekt verschwiegenen Umstand, daß die H. AG nicht wie angegeben nur ein Vorstandsmitglied mit jährlichen Bezügen von 300.000,– DM, sondern vier Vorstandsmitglieder mit Bezügen in Höhe von insgesamt 1,2 Mio. DM hatte, seinen Beteiligungsentschluß beeinflußt hätte, obwohl die Bezüge der drei nicht genannten Vorstandsmitglieder in dem Jahresabschluß unter dem Titel „Personalaufwand” enthalten gewesen sein sollen. Der Kläger hat dazu insbesondere vorgetragen, er hätte in diesem Fall die Aktien nicht gekauft, weil ihm eine Gesellschaft, bei welcher der Vorstand für sich allein circa 8 % der gesamten Umsatzerlöse des Unternehmens von rund 15 Mio. DM in Anspruch nahm, keine Gewähr für eine hinreichend solide, auf die Wahrung der Interessen ihrer Aktionäre bedachte Geschäftsführung geboten hätte.

5. Darüber hinaus steht außer Zweifel, daß der Prospekt die Anleger über die geplante Kurspflegemaßnahme und ihre Einzelheiten hätte unterrichten müssen. Sollte diese Planung zur Zeit der Herausgabe des Prospekts noch nicht vorgelegen haben, so wäre es geboten gewesen, daß die Verantwortlichen den Prospekt nachträglich durch eine Ergänzung berichtigt oder den Anlageinteressenten bei Vertragsschluß eine entsprechende Mitteilung gemacht hätten (BGHZ 71, 284, 290 f.). Der vom Berufungsgericht offengelassene Zeitpunkt des förmlichen Abschlusses der Kurspflegevereinbarung ist dagegen für das Bestehen der Aufklärungspflicht nicht erheblich.

Die Notwendigkeit, die geplante Kurspflegemaßnahme gegenüber den Beteiligungsinteressenten offenzulegen, folgt im vorliegenden Fall aus einer Mehrzahl von Umständen. Zum einen muß eine so breit angelegte, längerfristig gedachte Beeinflussung des Aktienkurses der Gesellschaft vor der Börseneinführung durch eine von der Gesellschaft beauftragte Gruppierung, wie sie im vorliegenden Fall geplant war und in der Folge auch durchgeführt worden ist, schon als solche mindestens als ungewöhnlich, wenn nicht sogar als bedenklich (vgl. dazu Lutter/Gehling, WUB II A § 71 a AktG 1.92) gelten. Hinzu kommt, daß die damit beauftragte Gesellschaft bürgerlichen Rechts ausschließlich aus den Mitgliedern des Vorstandes der H. AG bestand, die zugleich deren bisherige Hauptaktionäre waren und auf diese Weise vermittels der ihnen von der AG als Gegenleistung zu zahlenden Kurspflegegebühr von 3,5% des Emissionsvolumens einen nicht von vornherein als unerheblich abzutuenden Teil des Emissionserlöses auf sich umleiteten. Der Kenntnis eines solchen zumindest außergewöhnlichen Sachverhalts kann Bedeutung für die Beteiligungsentscheidung der Interessenten nicht abgesprochen werden. Sie hätte deshalb in dem Prospekt oder einem Nachtrag gegenüber den Anlegern offengelegt werden müssen (so ausdrücklich Lutter/Gehling aaO). Für das Bestehen dieser Aufklärungspflicht ist es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ohne Bedeutung, ob die Mitglieder der Gesellschaft bürgerlichen Rechts später für die von ihnen betriebene Kurspflege infolge der nicht vorausgesehenen ungünstigen Entwicklung des Kurses der Aktien der H. AG tatsächlich mehr aufgewendet haben als die ihnen von der Gesellschaft als Entgelt insgesamt gezahlten 503.000,– DM. Ebensowenig kommt es für das Gebot der Offenlegung der geplanten Kurspflege darauf an, ob diese Zahlung zudem gegen das aktienrechtliche Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 AktG) verstieß. Auf diese Frage ist deshalb im Rahmen der vorliegenden Entscheidung nicht einzugehen.

Damit wird das Berufungsgericht auch diesen Prospektfehler, hinsichtlich dessen es bisher gleichfalls die erforderliche Ursächlichkeit lediglich (stillschweigend) unterstellt hat, in die von ihm nachzuholende Gesamtwürdigung, ob der Kläger die Beteiligung auch bei Kenntnis der im Prospekt verschwiegenen Umstände erworben hätte, einzubeziehen haben.

6. Die damit in bezug auf sämtliche vorstehend erörterten Prospektmängel erforderliche neue mündliche Verhandlung und Entscheidung gibt dem Berufungsgericht zugleich Gelegenheit, sich auch insoweit mit der von dem Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung und den dazu aufgestellten Tatsachenbehauptungen auseinanderzusetzen, zu denen das Berufungsgericht bisher aufgrund seines abweichenden Rechtsstandpunktes keine Feststellungen getroffen hat.

III. Im Ergebnis zu Recht verneint das Berufungsgericht dagegen eine Prospekthaftung des Beklagten zu 1 wegen fehlender Angaben über das geplante Zulassungsverfahren.

Es kann für die Entscheidung des Rechtsstreits dahinstehen, ob der Prospekt zumindest in einem Nachtrag Angaben darüber hätte enthalten müssen, daß die H. AG von der durch die Änderung des Börsengesetzes seit dem 1. Mai 1987 wirksamen Öffnungsklausel (§ 71 Abs. 2 Satz 3 BörsG) Gebrauch machen und sich für die Mitantragstellung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft anstelle eines Kreditinstituts bedienen wollte, weil sich nicht ausschließen ließ, daß die Wahl dieses neuartigen, bisher noch nicht praktizierten und erprobten Weges zu Schwierigkeiten und Verzögerungen bei der Zulassung führen konnte. Denn jedenfalls wird die Entscheidung des Berufungsgerichts in diesem Punkt durch seine Hilfsbegründung getragen, wonach ein auf die unterbliebene Offenlegung dieses Umstandes gestützter Prospekthaftungsanspruch des Klägers bei Einreichung der Klage am 29. Dezember 1989 verjährt wäre. Der Anspruch aus der von der Rechtsprechung entwickelten Prospekthaftung verjährt, wie der Senat bereits in BGHZ 83, 222 entschieden hat, in entsprechender Anwendung von § 20 Abs. 5 KAGG und § 12 Abs. 5 AuslInvestmG in sechs Monaten seit der Kenntnis des Prospektfehlers, spätestens aber in drei Jahren seit dem Beitritt zur Gesellschaft. Die Geltung der kurzen sechsmonatigen Verjährungsfrist hat der Senat ganz wesentlich (a.a.O. Seite 226 f.) auf die Erwägung gestützt, daß der Anleger, der Kenntnis von den ihm im Prospekt verschwiegenen Umständen erlangt, die er bei seiner Anlageentscheidung noch nicht berücksichtigen konnte, sich alsbald entscheiden muß, ob sie ihm Grund zur Rückgängigmachung seiner Beteiligung geben, und nicht spekulativ zuwarten darf, ob die Beteiligung gleichwohl ein Erfolg wird. Diese Erwägung fordert sogar verstärkt Berücksichtigung, wenn man wie der Senat (oben unter II.) daran festhält, daß der Schutzzweck der prospektrechtlichen Aufklärungspflicht in der Verletzung des Rechts des Interessenten auf eigenverantwortliche Anlagedisposition besteht und sich nicht darauf beschränkt, den Anleger davor zu bewahren, gerade durch einen ihm im Prospekt verschwiegenen Umstand später einen Schaden in Gestalt einer Wertminderung seiner Anlage zu erleiden. Diese Erwägungen verlangen Geltung auch für den Fall eines Erwerbs nicht zum Börsenhandel zugelassener Aktien aufgrund eines Verkaufsprospekts. Es ließe sich nur schwer rechtfertigen, warum der Prospekthaftungsanspruch des Erwerbers eines Kommanditanteils an einer Publikums-Kommanditgesellschaft hinsichtlich der Verjährungsregeln anders zu beurteilen sein sollte als derjenige des Käufers von Aktien außerhalb der geregelten Aktienmärkte (so zutreffend Assmann in WuB aaO).

Wie das Berufungsgericht verfahrensfehlerfrei festgestellt hat, war dem Kläger bereits seit 1988 bekannt, daß der Antrag auf Börsenzulassung im Jahre 1987 nicht mit einem Kreditinstitut, sondern einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gestellt und im Hinblick darauf abschlägig beschieden worden war. Entgegen der Ansicht der Revision wurde der Lauf der Verjährungsfrist nicht erst dadurch in Gang gesetzt, daß die Aktionäre auf der Hauptversammlung der Gesellschaft am 18. September 1989 im einzelnen über die Gründe informiert wurden, die zur Ablehnung des Antrags auf Börsenzulassung geführt hatten. Auch wenn man zugunsten des Klägers die oben offengelassene Frage nach dem Vorliegen eines Prospektfehlers bejaht, hätte dieser nur in dem Unterlassen einer Aufklärung darüber bestehen können, daß die Gesellschaft sich bei der beabsichtigten Börsenzulassung voraussichtlich nicht der Mitwirkung eines Kreditinstituts bedienen, sondern von dem durch die (bevorstehende) Änderung des Börsengesetzes neueröffneten Weg der Antragstellung mit einem anderen Unternehmen, insbesondere einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Gebrauch machen würde. Aus der Neuheit dieses Weges ergab sich notwendigerweise, daß mit ihm noch keine langjährigen Erfahrungen vorliegen konnten. Da dem Kläger dieser im Prospekt nicht mitgeteilte Umstand einschließlich der Ablehnung des Antrags bereits im Jahre 1988 bekannt geworden war, verfügte er mithin schon in diesem Zeitraum über sämtliche Kenntnisse, die für seine Entscheidung, ob er mit Rücksicht auf sie von seinem Recht auf Rückgängigmachung seiner Beteiligung Gebrauch machen sollte, erforderlich waren. Auf die genauen Gründe, die für die Ablehnung des Antrages maßgebend gewesen waren und die wohl auch für den Beklagten zu 1 bei Herausgabe des Prospekts noch nicht im einzelnen voraussehbar waren, kann es für diese Entscheidung nicht ankommen. Bei dieser Sachlage ist die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach ein auf diesen Komplex gestützter Prospekthaftungsanspruch des Klägers bei Einreichung der Klage am 29. Dezember 1989 verjährt wäre, rechtlich nicht zu beanstanden.

 

Unterschriften

Boujong, Dr. Hesselberger, Röhricht, Stodolkowitz, Dr. Greger

 

Fundstellen

BGHZ

BGHZ, 106

BB 1993, 2108

NJW 1993, 2865

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1993, 1467

DNotZ 1994, 445

ZBB 1993, 257

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