Telekom-Vergleichsangebot an 16.000 Kapitalanleger beendet 20-jähriges Musterverfahren
Mit der Annahme des Vergleichs dürfte nicht nur der 20-jähriger Musterrechtsstreit endlich einen Abschluss finden, auch der Großteil der übrigen noch klagenden Aktionäre dürfte an dem jetzigen Angebot nicht vorbeikommen. Aktionäre hatten im Zusammenhang mit dem 3. Börsengang der Telekom massenhaft Klagen wegen falscher Prospektangaben erhoben.
Wütende Anleger verklagten Telekom & Co
Beginnend mit den Neunziger Jahren wurde die Telekom in mehreren Schritten privatisiert. Sowohl nach dem zweiten als auch nach dem dritten Börsengang hatten Anleger die Telekom reihenweise wegen unrichtiger Prospektangaben verklagt. Die Anleger fühlten sich getäuscht, da die Telekom nach ihrer Auffassung in ihren Prospekten Risiken verschleiert oder unrichtig dargestellt hatte und hierdurch die in der Folgezeit einsetzende rasante Talfahrt der Telekom-Aktie für die Anleger nicht vorhersehbar war. Bereits im Jahr 2001 kam es daher zu einer Reihe von Anlegerklagen. Die Klagen richteten sich gegen
- die Telekom AG,
- die Bundesrepublik Deutschland,
- die KfW sowie
- gegen einige Konsortialbanken.
Umstrittene Bewertung des Immobilienvermögens
Neben einer ganzen Reihe von Prospektrügen stand im Mittelpunkt der Verfahren nach dem zweiten Börsengang die Frage, ob die Prospektangaben zum Immobilienvermögen der Deutschen Telekom-AG zutreffend waren. Die Anleger rügten, dass die Wertangaben zu den Immobilien wesentlich überhöht waren. Aufgrund dieser nicht realistischen Werte seien sie zum Kauf von Aktien verleitet worden. Die Anleger beriefen sich auf §§ 45 BörsG, 13 VerkProspG. Nach diesen Vorschriften kann der Erwerber von Wertpapieren, die aufgrund eines Prospekts zum Börsenhandel zugelassen wurden, Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn wesentliche Prospektangaben unrichtig oder unvollständig sind.
BGH wies die Anleger zurück
Der BGH hatte wie schon zuvor das OLG die Anlegerrüge zurückgewiesen, in seiner Entscheidung allerdings ausdrücklich klar gestellt, dass der anlässlich des 3. Börsengangs der Telekom vom gleichen Senat bejahte Prospektfehler in Bezug auf die konzerninterne Übertragung von Aktien des US-Telekommunikationsunternehmens „Sprint“ (BGH, Beschluss v. 21.10.2014, XI ZB 12/12) von dieser Entscheidung nicht betroffen ist. Damit waren Schadensersatzansprüche der Anleger im Rahmen des zweiten Börsengangs endgültig vom Tisch und gleichzeitig die Chancen für Schadensersatzansprüche der Anleger im Rahmen des dritten Börsengangs deutlich erhöht (BGH, Beschluss v. 22.11. 2016, XI ZB 9/13).
Buchgewinn entsprach nicht der Realität
Der vom BGH bestätigte Prospektfehler hinsichtlich der Sprint-Beteiligung folgte aus der Ausweisung eines Buchgewinns in Höhe von 8,2 Milliarden EUR für die Übertragung von Aktien des amerikanischen Wettbewerbers Sprint, obwohl das Aktienpaket tatsächlich noch nicht veräußert war. Über 16.000 Anleger verklagten daraufhin die Telekom mit dem Argument, hierdurch seien die Ausgabepreise für die Aktie deutlich überhöht gewesen, ohne diese unrichtige Prospektangabe hätten sie die Aktien zu diesem Preis nicht erworben.
Weitere Negativmeldungen folgten
In der Folgezeit produzierte die Telekom weitere Negativmeldungen, unter anderem die Zahlung in Höhe von 16 Milliarden Euro im Rahmen der Erststeigerung der UMTS Lizenzen sowie den in der Wirtschaft stark kritisierten, weil zu teuren Zukauf des US-Mobilfunk-Unternehmens VoiceStream. Die Telekom Aktie verlor in den folgenden Monaten ca. drei Viertel ihres Werts bezogen auf den Zeitpunkt Juni 2000.
Lex Telekom ermöglichte Musterverfahren
Im Jahr 2006 eröffnete das OLG Frankfurt ein sogenanntes Kapitalanlegermusterverfahren auf der Grundlage des zu diesem Zweck neu geschaffenen Kapitalanlegermusterverfahrensgesetzes (KapMuG). Hierzu betrieb ein - inzwischen bereits verstorbener - Kleinanleger, der nun von seinen Erben vertreten wird, ein Kapitalmusterverfahren vor dem OLG, dass zwischenzeitlich beim BGH landete und von diesem wieder an das OLG zurückverwiesen wurde. Das OLG sollte klären, ob die Information der Öffentlichkeit über die Umstände der Sprint-Beteiligung ursächlich für negative Kursreaktionen der Aktie war.
OLG drängte auf Vergleichsabschluss
Das OLG hat die Einholung eines - sehr teuren - Sachverständigengutachtens zu dieser Frage in Aussicht gestellt und die Parteien dringend zum Abschluss eines Vergleichs aufgefordert. Einen solchen Vergleichsvorschlag hat die Telekom nun vorgelegt.
Wesentlicher Inhalt des Telekom-Vergleichsangebots
Nach dem vorgelegten Angebot will die Telekom
- ihren Anlegern den von diesen gezahlten Kaufpreis für die Aktien erstatten
- abzüglich der zwischenzeitlich ausgezahlten Dividenden sowie
- abzüglich eines fiktiven Kurswertes von 16,50 Euro, der in etwa dem derzeitigen tatsächlichen Kurswert entspricht.
- Aktionären, die ihre Aktien zwischenzeitlich veräußert haben, soll die Differenz zwischen den Erwerbskosten und dem Verkaufserlös ebenfalls abzüglich geflossener Dividenden erstattet werden.
- Zudem will die Telekom Prozesszinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszins zahlen.
An dem jetzigen Angebot kommt keiner vorbei
Das OLG hat das Vergleichsangebot als äußerst großzügig und praxisgerecht gelobt. Das Gericht betonte zwar die Freiwilligkeit der Annahme des Angebots, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass die Ablehnung eines solchen Angebots weder rechtlich noch ökonomisch vernünftig wäre. Der Anwalt des Musterklägers bzw. seiner Erben kündigte die Annahme des Vergleichs bereits ein. Die Anlegerschutzvereinigung DSW rät den Aktionären ebenfalls zur Annahme des Angebots. Alles andere führe zu einer Fortführung von unübersehbar kostenintensiven Rechtsstreiten.
Bittere Pille für Nicht-Kläger
Die Zeichen für eine endgültige Beendigung der Querelen zwischen Aktionären und Telekom stehen also gut. Allerdings gilt eine für einige Telekom-Aktionäre eine bittere Einschränkung: Das Vergleichsangebot gilt
- nur für Anleger, die Telekom-Aktien in den Zeitraum 27. Mai bis 19. Dezember 2000 erworben haben und
- deren mögliche Schadensersatzansprüche nicht verjährt sind.
Das bedeutet, nur wer geklagt oder eine Schlichtungsstelle eingeschaltet und damit verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen und aufrechterhalten hat, gehört zu den potentiellen Zahlungsempfängern.
16.000 Telekom-Aktionäre erhalten Schadenersatz
Im Ergebnis gilt das Angebot der Telekom immerhin für ca. 16.000 noch klagende Telekom- Aktionäre und wird daher für die Telekom nicht billig werden. Sämtliche betroffenen Aktionäre sollen spätestens bis zum Sommer 2022 ein konkretes Angebot der Telekom unter Berechnung der jeweiligen Schadenersatzhöhe erhalten.
(OLG Frankfurt, 23 Kap 1/06).
Hintergrund: BGH-Entscheidung zum 3. Telekom-Börsengang
Der BGH hatte das Verfahren Ende 2020 mit folgendem Leitsatz an das OLG zurückverwiesen:
a) Für den Haftungsausschluss des § 46 Abs. 2 Nr. 2 BörsG a.F. hat der Anspruchsgegner darzulegen und zu beweisen, dass sich die dem unrichtig prospektierten Sachverhalt innewohnenden Risiken nach dem Erwerb entweder nicht realisiert haben oder dass sich die Risiken zwar realisiert haben, dies jedoch ohne Einfluss auf eine nach dem Erwerb eingetretene Börsenpreisminderung geblieben ist.
b) Zum Nachweis des Haftungsausschlusses des § 46 Abs. 2 Nr. 2 BörsG a.F. ist der Vollbeweis zu erbringen (§ 286 ZPO). Das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO findet keine Anwendung.
c) Zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 BörsG a.F. hat der Anspruchsgegner den Nachweis zu führen, dass im jeweiligen Einzelfall der individuelle Erwerbsentschluss nicht durch den fehlerhaften Prospekt beeinflusst wurde (BGH, Beschluss v. 15.12.2020 - XI ZB 24/16).
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